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1. DAS SIEDLUNGSWESEN
Die Lage und die Formen der Siedlung werden durch die natürliche Gestaltung des
Landes vorgezeichnet. Die Existenz von Küstenplätzen, von Wohnhöhlen und Burgen ist
nur unter bestimmten physikalischen Bedingungen denkbar. Von diesen physikalischen
Bedingungen der Siedlung möchte ich vor allem die hervorheben, die mir für das fnyke-
nische Kulturgebiet von besonderer Bedeutung zu sein scheinen, nämlich die gegenseitige
Durchdringung von Land und Meer und die Verteilung von Ebenen und Gebirgen. Erd-
geschichtlich gehen diese beiden Bedingungen auf dieselbe Quelle zurück.
Die griechischen Gebirgslinien streichen in einem großen südlich ausladenden Bogen
von Epirus über die Peloponnes und Kreta nach Kleinasien hinüber.1) In die langen par-
allelen Gebirgsketten sind aber zahlreiche Einbrüche eingesenkt, die die heutige Erdober-
fläche im wesentlichen gestaltet haben. Die größten und tiefsten Einbrüche überflutete das
Meer: so entstanden die ägäische Inselwelt und die zerrissene Küste; die kleinen binnenlän-
dischen Einbrüche wurden von den Ablagerungen der Flüsse ausgefüllt: so entstanden die
Alluvialebenen.2)
Von den drei Einbruchstälern Thessaliens ist eines, der Golf von Volo, vom Meere
überflutet worden; die beiden andern füllten sich mit Alluvialablagerungen, die sie zu den
fruchtbarsten Ebenen Griechenlands umschufen. Die Ebenen vonArgos und Messenien sind
Einbruchstäler, deren größerer Teil vom Meere eingenommen wurde, während der Rest durch
Flußablagerungen zugeschüttet wurde. Das Einbruchstal des Euripos wurde ganz vom Meere
durchspült, die Einbrüche des Kopaisbeckens und der attischen Mesogeia wurden dagegen
wieder von Alluvialanschwemmungen ausgefüllt.
Ist nun die gegenseitige Durchdringung von Land und See für die fortschreitende
Kulturentwicklung von allergrößter Bedeutung3), so ist für die erste Besiedlung des Landes
das Vorhandensein und die günstige Verteilung von Tiefebenen mit anbaufähigem Boden
doch noch mehr wert. Die Zahl und Ausdehnung solcher Ebenen ist im mykenischen Kultur-
gebiet aber äußerst gering: in Kreta beträgt die Ausdehnung noch nicht 3*4 % des Gesamt-
areals der Insel (Fabricius), im fruchtbaren Lakonien doch nur 24% (Bölte); das ganze an-
gebaute Land des heutigen Griechenland macht nur 18Y2% der Gesamtfläche des Landes
aus (Philippson). Dazu kommt, daß das anbaufähige Land durch steile Bergzüge in kleine
Parzellen zerlegt und von einander abgesondert ist; die größten der griechischen Ebenen
außer den thessalischen sind doch nur wenig über 200 qkm groß.4) Das Verhältnis von
Gebirge und Ebene ist für die Besiedlung.sehr wenig günstig.
Ebenso ungünstig ist die geologische Struktur des Landes5), mit der die Quellwasser-
verteilung zusammenhängt, die im regenarmen Griechenland von ganz besonderer Bedeu-
tung ist. Der größte Teil der Erdoberfläche Griechenlands besteht aus Kalk, an dem die
Ackerkrume nur schwer haftet, und der das Wasser rasch durchsickern läßt; in der Regel
treten daher Quellen erst unterhalb der Kalkschicht da auf, wo diese auf eine undurchlässige
1) Philippson, Verhandl. d. Berl. Ges. f. Erdk. XXIV 1897, Taf.6; Annales de geographie VII
1898, Taf. 3.
2) Bölte, Jahrb. d. Fr. Deutsch. Hochstifts zu Frankfurt 1910, 216 ff.
3) Philippson, Land und See der Griechen, Deutsche Rundschau 1905, 365 ff.
4) Neumann-Partsch, Physik. Geogr. v. Griechenl. 1885, 152. 5) Bölte, a. a. 0.
1. DAS SIEDLUNGSWESEN
Die Lage und die Formen der Siedlung werden durch die natürliche Gestaltung des
Landes vorgezeichnet. Die Existenz von Küstenplätzen, von Wohnhöhlen und Burgen ist
nur unter bestimmten physikalischen Bedingungen denkbar. Von diesen physikalischen
Bedingungen der Siedlung möchte ich vor allem die hervorheben, die mir für das fnyke-
nische Kulturgebiet von besonderer Bedeutung zu sein scheinen, nämlich die gegenseitige
Durchdringung von Land und Meer und die Verteilung von Ebenen und Gebirgen. Erd-
geschichtlich gehen diese beiden Bedingungen auf dieselbe Quelle zurück.
Die griechischen Gebirgslinien streichen in einem großen südlich ausladenden Bogen
von Epirus über die Peloponnes und Kreta nach Kleinasien hinüber.1) In die langen par-
allelen Gebirgsketten sind aber zahlreiche Einbrüche eingesenkt, die die heutige Erdober-
fläche im wesentlichen gestaltet haben. Die größten und tiefsten Einbrüche überflutete das
Meer: so entstanden die ägäische Inselwelt und die zerrissene Küste; die kleinen binnenlän-
dischen Einbrüche wurden von den Ablagerungen der Flüsse ausgefüllt: so entstanden die
Alluvialebenen.2)
Von den drei Einbruchstälern Thessaliens ist eines, der Golf von Volo, vom Meere
überflutet worden; die beiden andern füllten sich mit Alluvialablagerungen, die sie zu den
fruchtbarsten Ebenen Griechenlands umschufen. Die Ebenen vonArgos und Messenien sind
Einbruchstäler, deren größerer Teil vom Meere eingenommen wurde, während der Rest durch
Flußablagerungen zugeschüttet wurde. Das Einbruchstal des Euripos wurde ganz vom Meere
durchspült, die Einbrüche des Kopaisbeckens und der attischen Mesogeia wurden dagegen
wieder von Alluvialanschwemmungen ausgefüllt.
Ist nun die gegenseitige Durchdringung von Land und See für die fortschreitende
Kulturentwicklung von allergrößter Bedeutung3), so ist für die erste Besiedlung des Landes
das Vorhandensein und die günstige Verteilung von Tiefebenen mit anbaufähigem Boden
doch noch mehr wert. Die Zahl und Ausdehnung solcher Ebenen ist im mykenischen Kultur-
gebiet aber äußerst gering: in Kreta beträgt die Ausdehnung noch nicht 3*4 % des Gesamt-
areals der Insel (Fabricius), im fruchtbaren Lakonien doch nur 24% (Bölte); das ganze an-
gebaute Land des heutigen Griechenland macht nur 18Y2% der Gesamtfläche des Landes
aus (Philippson). Dazu kommt, daß das anbaufähige Land durch steile Bergzüge in kleine
Parzellen zerlegt und von einander abgesondert ist; die größten der griechischen Ebenen
außer den thessalischen sind doch nur wenig über 200 qkm groß.4) Das Verhältnis von
Gebirge und Ebene ist für die Besiedlung.sehr wenig günstig.
Ebenso ungünstig ist die geologische Struktur des Landes5), mit der die Quellwasser-
verteilung zusammenhängt, die im regenarmen Griechenland von ganz besonderer Bedeu-
tung ist. Der größte Teil der Erdoberfläche Griechenlands besteht aus Kalk, an dem die
Ackerkrume nur schwer haftet, und der das Wasser rasch durchsickern läßt; in der Regel
treten daher Quellen erst unterhalb der Kalkschicht da auf, wo diese auf eine undurchlässige
1) Philippson, Verhandl. d. Berl. Ges. f. Erdk. XXIV 1897, Taf.6; Annales de geographie VII
1898, Taf. 3.
2) Bölte, Jahrb. d. Fr. Deutsch. Hochstifts zu Frankfurt 1910, 216 ff.
3) Philippson, Land und See der Griechen, Deutsche Rundschau 1905, 365 ff.
4) Neumann-Partsch, Physik. Geogr. v. Griechenl. 1885, 152. 5) Bölte, a. a. 0.