RAPHAELS UMBRISCHE ZEIT
Lehrzeit
Idealisierte Vorstellung
von dem jungen Zeichner
Durch die verwirrende Menge von Zeichnungen, die man Raphaels Jugendzeit Die Zeichnungen der
zuschreibt, führt zu ihm selbst nur ein sicherer Weg: nur was als Studie
zu einem ausgeführten Gemälde gedient hat, kann den festen Grund für
weitere Schlüsse bieten. Und die wechselnde Malweise dieser Bilder gibt
uns auch die andere wichtige Erkenntnis, daß schon der werdende Künstler zu jeder
Stunde über eine große Vielseitigkeit des Ausdrucks und der Technik verfügte. Denn
so unvereinbar scheinen einander, nur verbunden durch die Gleichheit des Kolorits
und das tiefe Raumgefühl, Gemälde von peinlicher Vollendung und freiester Andeutung
gegenüberzustehen, daß man die großen Altäre und die kleinen Bilder zeitlich hat
trennen wollen. Aber ein Werk wie die Krönung Maria vereinigt beide Stile, das
Email subtiler Modellierung im Hauptbild, bei den Predellen ein andeutendes und
körniges Hinstreichen der Farbe.
Was die durch Morelli und Wickhoff geschärfte Kritik dem jungen Raphael an
Studien gelassen, gab ein geschlossenes und fertiges Bild von ihm als Zeichner, und
es war bestechend, denn an der Aufstellung des Maßstabes war das Herz beteiligt.
In jedem Blatt dokumentierte sich der Geschmack des Liebhabers, der sich eine
Gallerie erlesenster Stücke anlegen würde. Dieser idealisierte Zeichner stand schon
ohne Schwäche und Befangenheit als der künftige Herrscher in seinem Reiche da.
Erfrischend fällt der Unterschied auf zwischen den ausgeführten Figuren der
»Krönung Mariä« mit dem konventionellen Ausdruck der Schule Peruginos und den
gesunden, voll Anmut und Schwung sich gebenden Gestalten der Studien. Die
Körper scheinen vollkommen beherrscht, und an den runden, jugendlichen Gliedern
zeigt der schwellende und verklingende Strich des Metallstifts den Meister, der die
Formen allein durch Modulation der Linien zu runden versteht. Knapp und sicher
sind, wo Ausführlichkeit nötig war, die musizierenden Engel in Lille, Oxford, London,
der ungläubige Thomas, Wicars schönstes Blatt modelliert, nur in einer einzigen,
von links nach rechts anspringenden Strichlage, die, sich erweiternd und verengend,
zugleich die Schatten im duftigsten Helldunkel belebt. Die Feder läuft unabgesetzt
und ohne Wiederholung um die Formen; dann ist die Plastik schon vollkommen,
und die Reihe ungekreuzter Striche scheint nur da, um durchsonnte Schatten an-
zudeuten. Mit diesen sparsamen Mitteln, im weichen Gelb des Bister, gelang es ihm,
der Stockholmer Epiphanie die leuchtende Heiterkeit des »Sposalizio« zu geben. Die
Mittelgruppe der Darbringung in Oxford nimmt schon die Kühnheit der reifsten
Florentiner Zeit vorweg.
Lehrzeit
Idealisierte Vorstellung
von dem jungen Zeichner
Durch die verwirrende Menge von Zeichnungen, die man Raphaels Jugendzeit Die Zeichnungen der
zuschreibt, führt zu ihm selbst nur ein sicherer Weg: nur was als Studie
zu einem ausgeführten Gemälde gedient hat, kann den festen Grund für
weitere Schlüsse bieten. Und die wechselnde Malweise dieser Bilder gibt
uns auch die andere wichtige Erkenntnis, daß schon der werdende Künstler zu jeder
Stunde über eine große Vielseitigkeit des Ausdrucks und der Technik verfügte. Denn
so unvereinbar scheinen einander, nur verbunden durch die Gleichheit des Kolorits
und das tiefe Raumgefühl, Gemälde von peinlicher Vollendung und freiester Andeutung
gegenüberzustehen, daß man die großen Altäre und die kleinen Bilder zeitlich hat
trennen wollen. Aber ein Werk wie die Krönung Maria vereinigt beide Stile, das
Email subtiler Modellierung im Hauptbild, bei den Predellen ein andeutendes und
körniges Hinstreichen der Farbe.
Was die durch Morelli und Wickhoff geschärfte Kritik dem jungen Raphael an
Studien gelassen, gab ein geschlossenes und fertiges Bild von ihm als Zeichner, und
es war bestechend, denn an der Aufstellung des Maßstabes war das Herz beteiligt.
In jedem Blatt dokumentierte sich der Geschmack des Liebhabers, der sich eine
Gallerie erlesenster Stücke anlegen würde. Dieser idealisierte Zeichner stand schon
ohne Schwäche und Befangenheit als der künftige Herrscher in seinem Reiche da.
Erfrischend fällt der Unterschied auf zwischen den ausgeführten Figuren der
»Krönung Mariä« mit dem konventionellen Ausdruck der Schule Peruginos und den
gesunden, voll Anmut und Schwung sich gebenden Gestalten der Studien. Die
Körper scheinen vollkommen beherrscht, und an den runden, jugendlichen Gliedern
zeigt der schwellende und verklingende Strich des Metallstifts den Meister, der die
Formen allein durch Modulation der Linien zu runden versteht. Knapp und sicher
sind, wo Ausführlichkeit nötig war, die musizierenden Engel in Lille, Oxford, London,
der ungläubige Thomas, Wicars schönstes Blatt modelliert, nur in einer einzigen,
von links nach rechts anspringenden Strichlage, die, sich erweiternd und verengend,
zugleich die Schatten im duftigsten Helldunkel belebt. Die Feder läuft unabgesetzt
und ohne Wiederholung um die Formen; dann ist die Plastik schon vollkommen,
und die Reihe ungekreuzter Striche scheint nur da, um durchsonnte Schatten an-
zudeuten. Mit diesen sparsamen Mitteln, im weichen Gelb des Bister, gelang es ihm,
der Stockholmer Epiphanie die leuchtende Heiterkeit des »Sposalizio« zu geben. Die
Mittelgruppe der Darbringung in Oxford nimmt schon die Kühnheit der reifsten
Florentiner Zeit vorweg.