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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0038

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DIE FORM/MONATSSGHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT

schließen wollen. Deshalb haben wir darauf verzichtet,
auch nur den Anschein zu erwecken, als könnten wir
irgend etwas Erschöpfendes geben, und uns von vornherein
auf die Baukunst beschränkt, während doch die Ansätze zu
einem neuen Stil ebenso sehr im Gewerbe wie auch in
den freien Künsten zu finden wären.
Aber auch von der Baukunst unserer Zeit können wir
kein ganz abgerundetes Bild geben. Es fehlen eine ganze
Reihe derjenigen Namen, an die der Fortschritt unseres
Baues in den letzten Jahrzehnten vor allem geknüpft ist;
sie hier anzuführen, ist überflüssig. Und auch der ganze
Kreis der Aufgaben, die unsere Zeit dem Bau stellt, ist
durch unsere Bilder nicht umschrieben. Es schien uns
richtiger, einige wenige Aufgaben herauszugreifen und
daran die Vielseitigkeit der Lösungen zu zeigen.
Mit voller Absicht haben wir Fabrikbauten an den
Anfang gestellt: Kein Problem ist für unsere Zeit bezeich-
nender, keines scheint so weit ab vom Reiche der reinen
Form zu liegen, an keinem kann sich die Gestaltungskraft
des Künstlers, wenn ihm die Formung gelingt, stärker be-
währen. — Daß auch hier die K.raftdes Künstlers nicht zu
herrschen, sondern zu dienen hat, daß es auch hier, wo wir
uns scheinbar weitab von aller lebendigen Natur befinden,
Naturkräfte gibt, die zur Form drängen, und die es nur zu
leiten gilt, dafür ist das Groß-Kraft werk von T schor ne -
witz-Golpa ein schlagender Beweis. Die großen Domi-
nanten der Baugruppe, die in ihrer Wirkung etwas von
mittelalterlichen Städtebildern in Italien hat, sind durch
den technischen Zweck des Werkes vollkommen festge-
legt und in ihrer technischen Eigenart ohne jede Hülle ge-
lassen. Vielleicht hat der Architekt, Wernerlssel,Berlin,
einigen Einfluß auf die Gruppierung gehabt, sicherlich hatte
er dafür zu sorgen, daß diese rein technischen Bauteile ihre
ganz klare und ausgesprochene Formung erhielten.
Von Hans Poelzigs Chemischer Fabrik bei
Posen bilden wir vier Ansichten ab, die bisher noch
weniger bekannt geworden sind. Wir sehen in diesem
Bau, der wohl auch technisch gebunden ist, aber doch in
allen Teilen eine rein baukünstlerische Formung erfor-
derte, eines der größten Meisterwerke unserer Zeit. Hier
ist alles Zweck und zugleich Form, und zwar Form nicht
nur im einzelnen, in der ganz reifen und schlichten Durch-
bildung aller Bauteile, sondern auch Form im großen, die
die Verhältnisse, wie sie durch Zwecke gegeben waren,
gegeneinander ausspielt und Klang von höchster Kraft und
Lebendigkeit werden läßt. Die vier Bilder zeigen die Viel-
gestaltigkeit der Baugruppe. Auch hier wiederum ist die Ver-
wandtschaft mit mittelalterlichen Städtebildern auffallend.
Die Industrie zieht immer mehr baukünstlerische Kräfte
an sich. Wir zeigen Proben von derartigen Bauten von
Wilhelm Kreis und Alfred Fischer, die sie für die
Industrie im Westen geschaffen haben. Hier ist der Wille,
durch die allergrößte Einfachheit der Linienführung das
Rohe und Ungestalte in geformte Einheit zu verwandeln,
deutlich. Dieser Einheit fügt sich alles, und man kann
wahrhaftig nicht behaupten, daß es unmöglich sei, auf
diese Weise die ganze sichtbare Welt der Industrie in klare
und einheitliche Form zu zwingen. Diesem Willen zur
strengsten Form ordnet sich auch das Volkshaus unter,
das Alfred Fischer für Rotthausen gebaut hat: so ist es

zum Ausdruck der strengen Bindungen geworden, die
unsere Zeit wahrscheinlich in immer höherem Maße um
das gesamte Volk schlingt.
An das für unsere Zeit höchst wichtige Problem des
Siedlungsbaues, das uns in einem späteren Hefte ausführ-
lich beschäftigen wird, sollen die beiden Abbildungen von
Siedlungen, die Alfred Fischer im Westen gebaut hat,
nur kurz erinnern. Auch hier geht die Entwicklung offen-
bar in der Richtung zu immer größerer Vereinheitlichung,
die deshalb noch nicht Einförmigkeit oder Starrheit zu
bedeuten braucht. In unserem Falle wenigstens läßt die
Wiederkehr des Gleichen der lebendig bewegten Form
noch genügend freies Spiel.
Aber noch gibt es ja Einzel aufgaben wie in früherer
Zeit zu lösen. Das Haus von Heinrich Tessenow —
der unter den Ersten ist, die ganz reine Typen für Arbeiter-
häuser geschaffen haben, — steht für sich allein in der
Berglandschaft, aus der es herauszuwachsen scheint wie
ein natürliches Gebilde, die es aber auch durch die Klar-
heit und Geschlossenheit seiner Formen beherrscht.
Ein ähnliches Gefühl spricht aus Richard Riemer-
schmids —- dem wir unter anderm in den deutschen
Werkstätten in Hellerau einen der ersten lebendig gestal-
teten Fabrikbauten verdanken — Gräfelfinger Fried-
hof. Aus der in den Linien einförmigen Ebene der Um-
gebung Münchens erhebt sich diese Baugruppe, voll von
feinem und stillem Leben, bescheiden sich dem kleinen
Maßstab des benachbarten Ortes einfügend und doch aus-
drucksvoll, in den Einzelformen weder subjektivistisch
willkürlich noch äußerlich von alten Stilen Formeln über-
nehmend. — Der gleiche Geist, die gleiche liebevolle Ver-
senkung in die Aufgabe, der gleiche Drang, alles aus den
einmaligen Bedingungen zu entwickeln und von da aus
zu einer noch im kleinsten lebensvollen Form zu gelangen,
spricht auch aus den Einzelaufnahmen von anderen Rie-
merschmidschen Bauten, von denen die beiden Innen-
räume von einem Umbau stammen; hier galt es also, mit
Gegebenem zu rechnen und trotzdem lebendig zu bleiben.
Von den Bestrebungen derer, die im tiefsten davon über-
zeugt sind, daß schon heute aus dem Geiste der Zeit eine
ganz neue Bauform entwickelt werden müsse, zeugen die
Bilder des Modells eines Hauses, das Otto Bartning am
Niederrhein errichtet. (Das Haus ist genau in den Formen
des Modells im Rohbau fertig, aber noch nicht photo-
graphierbar.) Hier wächst über einem ganz einfachen und
strengen Grundriß, der nur in dem Musiksaal neue Ele-
mente enthält, eine Raumform von einer sehr starken un-
mittelbar ins Auge fallenden Dynamik, deren Verwandt-
schaft mit den stereometrischen Gebilden des Kubismus
unverkennbar ist. Die Frage, ob diese rein dynamische
Formung genügend objektive Elemente enthält, um von
ihrer Naturnotwendigkeit zu überzeugen, wird man erst
vor dem ausgeführten Bau endgültig entscheiden können.
Die beiden Entwürfe zu Geschäftshäusern von A.
Fischer und Kreis führen noch einmal zurück in das
Reich der strengen Form. Auch die Frage, ob es außer
dieser strengen Form noch andere Möglichkeiten der
Gestaltung von Großstadtstraßen mit Geschäftshäusern
gibt, wird uns einmal im Zusammenhang beschäftigen
müssen. W. R.

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