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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Lindner, Werner: Architektur und Ingenieurbau
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0071

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DIE FORM / MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT

Architektur und Ingenieurbau
Von Dr. Werner Lindner

Architekten sind zu Ingenieurbauten von heute nur vereinzelt hinzugezogen worden. Meist sind diese
Werke sozusagen unter Ausschluß der Öffentlichkeit entstanden. Denn wenn namentlich in den In-
dustriegebieten allmählich oder im Nu sich neue großartige Anlagen entwickelten, so haben sie in der
Regel nur durch ihre Riesenhaftigkeit und Eigenartigkeit und wegen ihrer technischen und sozialen
Bedeutung Staunen erregt, kaum wegen ihres oft hohen schönheitlichen Wertes in Gestalt und Wirkung
auf die Umwelt. Auch unter den Bauherren und Erbauern sind nicht viele, die die solchen Werken
neben ihrer praktischen Bedeutung innewohnenden kulturellen Werte erkannt haben. Wie erklärt sich das ?
Der Bauingenieur von heute lernt die Baukunst auf seine Weise auffassen, zugestutzt und eingeschränkt
auf seine Aufgaben, für die „praktisch“ und „zweckmäßig“ oberster Grundsatz ist. Seine Erziehung auf
der Technischen Hochschule sieht den Unterricht in Architektur — ob von antiken Säulenordnungen,
ob von etwas lebendigeren Begriffen ausgehend, hat nicht viel auf sich — als eine liebenswürdige, im
Grunde doch recht entbehrliche Beigabe an. Das architektonische Ausschmücken etwa eines Brücken-
entwurfs oder eines Bahnhofsgebäudes zum Hauptexamen kann deshalb als eine Verbeugung gegen
die freundnachbarliche Fakultät, muß teils aber auch als ein unwillkürlicher Ausdruck von Gering-
schätzung gegenüber einem dem Ingenieur im Grunde ganz belanglos erscheinenden Fach angesehen
werden. Bis zu gewissem Grade mit Recht. Denn ein im Wesen und Ausdruck erfreulicher Ingenieurbau
hat seinen Ursprung wahrlich nicht solcher Erziehung und Anschauung zu verdanken.
Ein Blick in die Vergangenheit. Die Meister der gotischen Kirchen waren Künstler und Ingenieure,
fein empfindende und kühl wägende Menschen zugleich. Gefühlsmäßig, nicht mathematisch geschulte Inge-
nieure. Und doch erscheinen ihre Pfeiler- und Gewölbekonstruktionen Statikern der Gegenwart bewun-
derungswürdig, gleichwertig den errechneten Ergebnissen der modernen Spezialwissenschaft. Daß wir
bei unseren andersartigen Aufgaben, Werkstoffen, Arbeitsweisen und anderer Wertung von Zeit und Ar-
beitsaufwand heute zu vollständig anderen Lösungen kommen, verringert den Vergleichs wert dieser
alten Ingenieurbauten nicht im mindesten.
Die alten Städtebauer waren Architekten und Ingenieure in einer Person. Der Bebauungsplan, einge-
stellt auf den fraglichen Haustypus, war organisch eingefügt in den Kranz der Wehrtürme, in das Stern-
werk meisterlicher Befestigungskunst, bei Küstenstädten unter Ausnützung aller im Gelände ruhenden
Möglichkeiten angepaßt an technisch (für die damalige Zeit) vortreffliche Hafenbauten. Wohlgemerkt,
für diese Städte-, Festungs-, Hafenbauer gab es, und mit der Zeit immer mehr, durchaus „Spezialstudium“.
Albrecht Dürer hat ein regelrechtes Lehrbuch über Festungsbau geschrieben; nach ihm ist in Deutschland,
Frankreich, Holland eine große, systematisch entwickelte Literatur entstanden, weiter über den Schleusen-
bau,Mühlenbau usw.Im 18. Jahrhundert und um 1800 in einer nicht mehr schöpferisch,aber wohl handwerk-
lich vollendeten Höhe, die ihresgleichen sucht. Diese Zeit hat aber auch in derPraxis gehalten, was die Theorie
versprach.Sie weist noch Speicher, ganze Fabrikanlagen wie Salinen u. dergl.auf,die nicht wegen mehr oder

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