Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

DOI Artikel:
Rapp, Franz: Das deutsche Bühnenbild unserer Zeit: Betrachtungen zur Sondergruppe "Das deutsche Bühnenbild unserer Zeit" auf der Deutschen Gewerbeschau München 1922
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0132

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE FORM/MONATSSGHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
Die letzten großen Bühnenarchitekten, welche die Bühne als Raum für die Entfaltung des Schau-
spielers, des Trägers der dramatischen Dichtung, verstanden hatten, waren Carl Friedrich Schinkel und
seine unmittelbaren Schüler gewesen. Sie griffen noch einmal die klaren und doch so phantasievollen
Dekorationsgrundsätze der Burnacini, Bibiena und Fuentes auf und führten sie in frischer Reinheit
auf die Szene. Das ausgehende Barock hatte schon für das erstehende deutsche Drama das passende
Gewand nicht mehr finden können. Die italienische Oper beherrschte das Repertoire der höfischen
Theater und häufte Prunk und technische Wunder auf alles theatralische Geschehen, so daß der sieben-
zigjährige Goethe klagt: „Die guten Leute bedenken nicht, wohin die übermäßige äußere Pracht zu-
letzt unausbleiblich führen muß: das Interesse für den Inhalt wird geschwächt und das Interesse für
den äußeren Sinn an dessen Stelle gesetzt. Doch es wird sicherlich auch wieder eine Reaktion eintre-
ten. Erst müssen die Dekorationsmaler und Maschinisten nichts Neues mehr bieten können, das Publi-
kum von dem Prunk bis zum Ekel übersättigt sein, dann wird man zur Besinnung kommen und das
jetzt zurückgedrängte Echte wieder hervorgeholt und gutes Neues hinzugeschafft werden44. Wir wissen,
daß ein herber Kritiker zu Aufführungen des Faust I den Titel prägte „Automaten und Maschinen mit
Text von Goethe44, wir erkennen ferner die Tragik Schinkels, der „über Theater und Theaterwesen,
über Schauspiel, Dichtung und Tanz so abweichende Gedanken hatte, von dem, was da war und be-
stand44, daß der Berliner Intendant Graf Brühl „nimmermehr hoffen konnte, sich mit ihm zu vereini-
gen44. Es ist nur allzu klar, daß auf dem toten Acker schwere Ähren nicht wachsen konnten, daß Immer-
manns Reformbestrebungen in Düsseldorf ebenso wie Sempers in Dresden ohne Nachfolge blieben.
Wer kennt nicht das Bühneninventar in Bauernschenken, das heute noch die alten Zeiten gar zu
treu in abstruser Unberührtheit bewahrt, die wackelnden Kulissen in ihrer naiven Staffelung, die
wehenden Soffitendecken und die landschaftlichen Prospekte, auf deren Himmel durch die Rampen-
lichter des Schauspielers Schatten geworfen werden!
Englische Anregungen brachten den vielgeschmähten Historicismus der Meininger auf das Theater.
Da gab’s viel Gutes in Regie und Darstellung, das leider nur von gelehrter Geschwätzigkeit, wissen-
schaftlichem Eifer, von Firlefanz und Prunk in der Ausstattung zu bald erstickt wurde. Die allzulaute
Wirklichkeitssucht der Illusionsbühne tötete die künstlerische Wahrheit. Auch Richard Wagner war
hierin der Exponent seiner Zeit. Wir haben an dem Kleben an der äußerlichen Tradition von Bay-
reuth noch schwer zu tragen.
Die Münchener Shakespeare-Bühne, die Ende der achtziger Jahre von Genee, Savits und Lauten-
schläger gefunden wurde, bezeichnet den ersten hoffnungsfreudigen Versuch, aus dem Chaos des wu-
chernden Dekorativen die Geltung des Dramas herauszuheben. Die weit ins Proszenium vorgescho-
bene Vorderbühne wurde der Platz des Schauspielers in Szenen im geschlossenen Raum; die durch
Stufen erhöhte Hinterbühne gab Massenauftritten vor anspruchslosen, landschaftlichen Prospekten
Entfaltung und Rahmen. Und doch war die Zeit für diese neue Form noch nicht gekommen. Die
„Shakespeare-Bühne44 blieb vorerst wesentlich Münchener Angelegenheit.
Nicht von den Klassikern wurde die Neubildung der Bühne getragen, sondern von den modernen
Dramatikern, dem jungen Gerhart Hauptmann und von Henrik Ibsen. Die Gegenwart war leichter
zu meistern als die anspruchsvollen alten Meister. Die Naturalisten vertrugen weder illusionistischen
Überschwang noch abstrakte Stilisierung. Eine neue Wirklichkeit mußte um ihr Werk geschaffen
werden. Das tat Otto Brahm als Leiter des Berliner Deutschen Theaters. Wir stehen an der Schwelle
unserer Zeit, in der der bildende Künstler wieder der Gehilfe des Regisseurs wurde, um aus dem Geiste
der Dichtung den Schauplatz für das Drama zu schaffen.

8
 
Annotationen