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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Gutzeit, Kurt: Das Problem des Raums im Drama
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0146

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DIE FORM/MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
Symbol seines Weltbildes geschaffen, das er nun hinein verwebte in den Rhythmus der dramatischen
Handlung durch das aus dem Drama herauswachsende besondere Spiel von Chor und Einzeldarsteller.
Dieses Abbild vollkommenster Harmonie und Einheit des Welterlebens im antiken Drama geht ver-
loren, als in den folgenden Jahrhunderten im menschlichen Erlebnisbewußtsein die Vorstellung der
Jenseitigkeit geistiger Welt, der Dualismus zur Herrschaft kommt. Im Theatergebäude wird dies darin
kenntlich, daß anstelle der einheitlichen Raumform die Zweiheit von Zuschauer-„raum“ und Bühnen-
bild“ tritt!
Dem zeitlich wie räumlich ganz im Gegenwärtigen ruhenden Daseinsbewußtsein des Griechen hatte
die Unveränderlichkeit des Schauplatzes, die dekorative Starrheit der Skene entsprochen ; nun verlangte
die Dichtung von der Bühne den Wechsel des Schauplatzes und größtmögliche Wandelbarkeit der De-
koration, gleichwie die Zeiträume der Dichtung Vergangenheit und Zukunft in weitester Spanne um-
schlossen ! Der Darsteller wird wandelbarer in seiner Kunst, ebenso das Kostüm und die Szenerie!
Darsteller und Zuschauer sind nunmehr stark von einander getrennt: ideell wie räumlich! Der Zu-
schauer erhält einen formal in sich geschlossenen Raum ; der Darsteller spielt vor einem gerahmten
auswechselbaren Bild. Bühnentechnisch wurde die neue Aufgabe gelöst in der perspektivischen gemalten
Kulissen-, Bogen- und Prospektendekoration; architektonisch im Rang- und Logenhaus, das in Italien
und Frankreich seine Heimat hat und von dort ausgehend die Welt erobert.
Dieser Typ des Theatergebäudes herrscht bis in unsere Zeit, führt jedoch neuerdings zu den viel-
fältigsten Konflikten und Unmöglichkeiten, worin sich ein neuer Darstellungsstil einer kommenden
Theaterkunst ankündigt.
Unterdessen ist in den letzten Jahren im Dekorationsprinzip der Bühne eine neue Einrichtung ge-
funden worden, die in ihrer Folge von größter Tragweite für die gesamte Theaterkunst werden kann,
für die Darstellung auf der Bühne wie auch für die Form des Theatergebäudes: Die Beherrschung des
Lichtes in der modernen elektrischen Beleuchtungstechnik, die früheren Zeiten versagt war, hat unge-
ahnte Möglichkeiten eröffnet: sie ermöglicht im Lichthorizont der Bühne die künstliche Darstellung
des atmosphärischen Naturraumes, im Scheinwerfer die Darstellung von Lichtkegeln als Sonnen- bezw.
Mondstrahlen oder als Raumstücke.
Die verschiedenen neuen technischen Einrichtungen blieben bisher ohne baulich umgestaltenden
Einfluß auf die Form von Bühne und Zuschauerraum, sondern wurden ohne weiteres der gerahmten
Bühne eingefügt. In welcher Weise jedoch das künstliche Licht berufen sein könnte, das Theater-
gebäude von Grund aus umzugestalten und so zu der lange gesuchten Form eines spezifisch deutschen
Theatertyps zu führen, möge der folgende Vorschlag dartun:
Denken wir uns einen Theaterraum über kreisförmigem Grundriß. Im Mittelpunkt der Anlage das
Orchester; der Kreisumfang ein künstlicher Lichthorizont, der Wand und Decke des Raumes verschwin-
den läßt, dem Zuschauer das Erlebnis eines „unendlichen Lichtraumes“ gebend! Zu diesem Zwecke ist
also gewissermaßen der Lufthorizont, der im modernen Theater bisher nur den Raum der Bühne ab-
schließt, nunmehr weiter auch um den gesamten Zuschauerraum herumgeführt, was am besten durch
eine Transparentbeleuchtung erreicht wird.
In diesem Lichtkreis steht nun — geschieden im Kreisdurchmesser — in der einen Raumhälfte ein
Halbkreisamphitheater, während die andere Hälfte unsere neue Bühne ist, in die die Dekoration nach
einfachem, rein architektonischem Prinzip hineingebaut wird. Der eigentliche Spielplatz liegt in einer
gewissen, durch die Sehverhältnisse bedingten Breite in der Mitte des Bühnenraumes und wird seitlich
abgedeckt durch nach Bedarf bewegliche Vorhangsäulen, die den Paraskenien des antiken Theaters

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