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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Rundschau
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RUNDSCHAU

Die Tradition,
Schultze-Naumburg und wir

Schultze-Naumburg, der vor 25 Jahren sich eine
Tradition verschrieb und seither reichlich und un-
beirrt von ihr einnahm, hat soeben die Entdeckung
gemacht, und der Uhu, der Vogel Ullsteins und
der Pallas Athene, verbreitet sie*), daß der neue
Slil in der Baukunst eine Erfindung kultur- und
traditionsloser Menschen ist, die keine Liebe zur
deutschen Heimat besitzen. Dazu bemerkt er noch,
daß „im deutschen Volkskörper mongolides, ne-
grides und manches andere Blut" eine nicht un-
beträchtliche Rolle spiele, das, ohne es zu wissen,
von dem nordischen Formen- und Kulturkreise
loszukommen suche. Wenn man so etwas sagt,
muß man wohl von sich selbst des Glaubens sein,
einem „nordischen Kulturkreise" anzugehören
und diesem Lebensraum gemäß zu handeln. Wir
wollen uns nun nicht auf eine Untersuchung der
Blutsubstanz der verschiedenen Slilbekenner im
Räume der deutschen Landschaft einlassen, aber
wir müssen doch einmal einer Auffassung entge-
gentreten, die, gern noch politisch schattiert, heute
überall auftritt, und die eine der lustigsten Gedan-
kenlosigkeiten verrät, die sich die historisierenden
Kulturforderer Arm in Arm mit den Blut- und
Rassetümmlern leisten. Wenn man schon von die-
sen Dingen in der Baukunst reden will — die Mo-
dernen reden nicht viel davon, da ihnen an der
Zukunft mehr liegt als an der Vergangenheit ■—
so sind gerade die Neuen diejenigen, die einem
nordischen Kulturkreise gemäß handeln, und
Schultze-Naumburg ist es, der die Tradition einer
Form pflegt, die als ein Fremdes, als von Orient,
Hellas und Rom stammend auch „mongolidem
und negridem Blute" näherstehend, in den Le-
bensraum der nordischen Völker hereinhängt. Wer
kämpft denn eigentlich den Kampf der Wald-
bioeönose gegen die Wüstenbiocönose, zu dem völ-
kische Männer aufrufen, Schultze-Naumburg oder
die Neuen? Haben die Bewahrer der Tradition
noch nicht darüber nachgedacht? Auf weilen
Strecken unseres Geist- und Seelenlebens ist be-
reits alter Boden nordischer Geslaltwerdung wie-
der erobert, ist die Oberhoheit der griechischen
und lateinischen Welt und ihrer in Bildung ent-
arteten Nachkommen aus dem Geschlecht der Hu-
manisten wieder beseitigt, aber noch kann das
Häuserbauon vom Griechischen und Lateinischen
nicht herunterfinden, noch statten wir unsere nor-
dische Landschaft aus mit der Architektur der
Mittelmeervölker, die Sch.-N. zwar als „stark ver-
wandten Blutes" anspricht, die aber trotzdem
nicht dem nordischen Kulturkrcise angehören.

•) Der Uhu, Aprllhclt 1926. S. 30 u. f. £. „Wer hat Recht?"

Nun die Neuen auch in der Baukunst einen An-
sturm auf die Welt des Mittelmeeres unterneh-
men, nun wir auch unserem eigenen landschaft-
geborenen Bauwillen zum Leben verhelfen wollen,
findet Sch.-N., daß gerade diese Neuerer „vom
nordischen Kulturkreise loszukommen suchen,
weil ihr Blut es befiehlt". Wir glauben Sch.-N.
gern, daß ihn selbst eine große Liebe zu seiner
Heimat ergriffen hat, denn anders können wir
seine Blindheit für ihr wahres Wesen nicht
erklären.

Das Ornament sei nicht wesentlich am Bau und
etwas Sekundäres, sagt Sch.-N. Auch die Moder-
nen sagen das, nur noch etwas deutlicher. Außer-
dem aber handeln sie danach. Wäre Sch.-N. nur
einmal auf die Idee gekommen, das Ornament als
unwesentlich auch einmal wegzulassen wie die Mo-
dernen, so wäre er dem Wesentlichen des Bauens
und damit auch uns, schon einen Schritt näher ge-
kommen. Den Weg ging Tcssenow. Als die Mo-
dernen auf dem Wege zum Wesentlichen des Bau-
ens vorstießen, kamen auch sie, wie Sch.-N. auf
die Rhythmisicrung des Baukörpers. Aber auch hier
fanden sie noch nicht das Wesentliche des Bau-
ens, wichtiger als die Rhythmisierürig war schon
das Problem der Harmonisierung, d. i. das der
Maßbestimmung der Einzelteile auf Grund ihrer
Lebenswichtigkeit am ganzen Bau. Das aber be-
durfte einer neuen Bestimmung des Baues, d. h.
also seiner Wesenhai'tigkeit. Nicht Rhythmisierung
noch Harmonisierung sind wesenhaft am Bau,
sondern einzig seineLeistung für das Leben. Rhyth-
misicrung und Harmonisierung sind nur Probleme
seiner Gestallung und abhängig vom Wesen des
Baues. Damit sind wir auf dem Boden einer Gc-
staltfindung, der ganz und gar Heimatboden ist,
Boden des nordischen Kulturkreiscs, den wir da-
mit von den letzten Spuren des Einbruchs reini-
gen, den vor etwas mehr als 1000 Jahren die go-
staltgeberischen Mächte der Mitlelmeerkulluren in
ihn unternahmen. Freilich meint Sch.-N. gerade
diese Einbruchskullur, die „in Jahrtausenden (es
ist nur eins) in deutschem Land gewachsen sei",
als deutscher Mann sich nicht nehmen lassen zu
dürfen. Er will nicht, daß dieses deutsche Land
fremde Züge annehme, er, der doch selber fremde
Züge trägt — wenn er doch gotisch baute! ■—
und schilt uns Fremdlinge, uns, die wir alles.
Fremde an den Bauten abstreiften, die wir zum
Wesentlichen des Baues vorzudringen uns zum
Ziele setzten, was doch wohl immer als eine be-
sonders deutsche Tugend hingestellt wurde.
Mensch, sei wesentlich, ruft Angelus Silcsius. Ist
Sch.-N.'s bourgeoiser Barock wesentlich? Wer
gehorcht dem Blute? Mensch, sei wesentlich.

Hugo Häririg

V Ji R A S T W O R T LI C II F Ü 11 DEM INHALT: DR.-IN G. WALTER C U R T BEHRENDT, BERLIN W 35

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