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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Gellhorn, Alfred: Wohngerät und Werkkultur
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0341

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Wohngerät und werkkultur

VON DR.-ING. ALFRED GELLHORN, BERLIN

j

e mehr man, so heißt es, von Kultur spricht, Raum genug für das, was die eigentliche Aus-
desto weniger hat man sie. Und trotzdem können Strahlung einer Persönlichkeit ist und keine be-
wir nicht umhin, an ihr bewußt zu arbeiten, in der stellte Arbeit, die sich jeder Parvenü kaufen
Hoffnung auf ein Ergebnis, wenn wir uns nur an kann. Darum braucht es nicht trostlose Unform
die faktischen Grundlagen aller Lebensäußerung zu sein, die gern — zu rasch mit sich zufrieden —
halten. Wo liegt das Problem? Alles, was das das mißverstandene Schlagwort von der neuen
Wohnen betrifft, ist räumlich gebunden und er- Sachlichkeit als den neuen Stil anpreist,
füllt einen bestimmten Zweck. Statt dessen be- Unsere Produktion könnte sehr wohl aus eigener
zieht sich heute jede Arbeit auf das einzelne Ob- Initiative dahinwirken und sich entsprechend
jekl, ohne daß eine gemeinsame Beziehung er- umstellen. Was dem heute entgegensteht, ist
kartnt, ein Ganzes sinngemäß durchorganisiert nicht die Gewohnheit des Publikums, das
wäre, und statt einer absoluten Vorstellung gar nicht so unbelehrbar ist. Man weiß,
des eigentlich Notwendigen gibt es tausend Spiel- daß alle Bedürfnisse und Geschmackswand-
arten, zufallsgemäß von Geschmack und Einfall hingen „gemacht"' werden können. Der Wider-
bestimmt, stand liegt zunächst mehr in den individu-
Jeder Besteller will etwas Besonderes, ohne eilen Kleinbetrieben, dem Kunstgewerbe. Der
selbst etwas Besonderes zu sein. Und so schon in diesem Begriff liegende Widersinn ist
strengen sich Bau- und Werkkünstler an, durch nichts besser erwiesen, als durch den Nic-
allen diesen törichten Wunsch zu erfüllen, und dergang dessen, was es umfaßt. Mit allen wohl-
die Ausstaltungshäuscr unterhalten mit viel un- meinenden Anstrengungen hat man es nicht ver-
produktiver Kapilalfestlegung reichassortierte hindern können, daß handwerkliche Technik ab-
Lager von „individuellen Wohnräumen nach starb, daß Form und Gehalt sich keineswegs ent-
Künstlerentwürfen". In Wirklichkeit kann man sprechen, und. daß daneben im Wirtsc'haftskampf
ja alles kaufen, nur keine Eigenart. Es kommt die Industrie vordrang. Wäre diese wenigstens
daher stets auch ungefähr das Gleiche her- ein Ersatz geworden! Aber auch sie bildet einen
aus; die Salons und Herrenzimmer unterschei- Widerstand gegen das zu Erreichende; sie infi-
den sich voneinander durch rechte Äußerlichkei- zierte sich mit den gleichen geschmäcklerischen
ton, Stilformen vom Barock bis zum Konstrukti- Äußerlichkeilen und ist weil davon entfernt, Voll-
vismus. Was aber hat das mit dem Menschen zu kommenes zu leisten. So sind wir jetzt so weit,
tun?! Gerade die absolute Lebensform wird daß man keinen brauchbaren Türbeschlag be-
nicht gesucht. Bei alledem kommt die Produk- kommen kann, daß außer einfarbigen Stoffen
tion nicht zur Buhe. Durch Modewandlung und keine Textilien zu haben sind, die sich harmonisch
Absalzkrisen geheizt, arbeitet sie unwirtschaftlich dem Ensemble einer Wohnung einpassen, wenn
und ohne klares Ziel, versäumt ihre eigenste man sie nicht nach besonderem Entwurf anferti-
Aufgabe. gen läßt, und daß die historischen Möbelformen
Im Grunde umfaßt das Wohnen, ganz gleich noch immer den Markt beherrschen; worauf auch
welche Zimmerzahl, Klasse, Vermögenslage, stets die bestjurierten Ausstellungen keine Einwirkung
den gleichen Ablauf des täglichen Lebens: Schla- haben.

fen, Essen, Kochen. Waschen, Hausarbeit, Kinder Bei allen Dingen des täglichen Gebrauchs wird
und Muße. Wie der Hausbau, so braucht auch die fehlende Geschmackskultur durch eine höchst
die Einrichtung eine grundlegende logische Er- irrige Wertvorstellung ersetzt. Für den, der Be-
fassung dieser Bedürfnisse und eine Vernunft- scheid weiß, sind natürlich die Realwerte von
gernäße Lösung der räumlichen Disposition. In „.echter Bronze" oder „massivem Holz" krasse
der Kleidung gilt es gerade als Zeichen von Laienmärchen, die nur möglich sind durch die
Takt, seine Persönlichkeit nicht andeuten zu vorherrschenden Wünsche. (Verlangen doch so-
wojlen. Je sicherer man seiner selbst ist, desto gar noch immer weite Kreise den billigen Reich-
mehr verzichtet man darauf, sein Wesen äußer- tum des Dekors, die „bunten Muster" des Fach-
lich zu betonen. Wir sind eher gewohnt, Geist jargons!) Um schön zu sein, muß ein Stück wert-
im umgekehrten Verhältnis zu seiner Manifestie- voll und etwas Besonderes sein. Möglichst Hand-
rung zu vermuten. Das Gleiche muß für das arbeit! Es schmeichelt dem Herrenbewußtsein und
Wohnen gelten. Auch hier ist ein gewisser Ver- dem Besitzbegriff, zu wissen, daß es eigens ange-
zicht ein Zeichen von Stärke, geht jedenfalls fertigt wurde, auch wenn es ganz unpersönlich
das Gemeingültige vor. Viele Energien spart in irgend einem Haus- oder Wcrkslattbelrieb auf
man so, die man nützlicher anwenden mag. Vorrat hergestellt wurde, auch wenn zu diesem
Sachgemäßer Rahmen der Häuslichkeil aber gibt Behuf ganz überflüssige, womöglich sinnstörende

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