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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 2.1927

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Lotz, Wilhelm: Volkskunst und Kunsthandwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.13210#0029

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holt wird. Außer der Handweberei kann
liier vielleicht auch die Glasbläserei als Bei-
spiel genannt werden.
Es bandelt sicli heute dabei aber immer um
Dinge, die nicht für den reinen Gebrauchs-
zweck geschaffen werden, sondern die mehr
schmückenden Charakter tragen, die ab-
sichtslos entstellen, rein aus der Freude am
Material und an der Technik — ein Her-
stellungsvorgang, den wir als künstlerisch
bezeichnen müssen. Wollte man elwa die
Technik des Goldschmieds, die durch ihre
Weiterentwicklung im Dienste des Kultus,
der Höfe und des Bürgertums zu höherer
Vollendung gelangt ist, als die Beste, die
noch in der Volkskunst sitzen, wieder auf
deren Sland zurückführen, so wäre das eine
Beel uzicrung einer hochentwickelten Tech-
nik zum Primitiven hin. Solche Versuche
sind gerade auf diesem Gebiet gemacht
worden und können sämtlich als gescheitert
betrachtet werden. Man kann dagegen eine
Technik vereinfachen und zu ihren wahren
Gegebenheiten zurückführen, wo sie durch
die Entwicklung Werte geopfert hat, die
bei selbstverständlicher primitiver Anwen-
dung vorhanden sind, und die unserem mo-
dernen Gefühl und unserer Formensprachc
entsprechen. Als Beispiel dafür könnte man
die Glasmalerei anführen, wenn sie auch
nie der Volkskunst angehört hat. Denn
während man in der romanischen Zeil mit
den einzelnen farbigen Scheiben Bilder zu-
zusammensetzte, machte sich später in der
Gotik und vor allem in der Benaissance das
Bestreben geltend, die Teilscheibe in sich zu
modellieren und verschiedenfarbig zu bren-
nen, so daß man das eigentliche Mittel die-
ser Technik, wie sie das Zusammenbauen
aus Glasscheiben darstellt, zugunsten einer
Geslaltungsweise aufgab, die in der Tafel-
malerei ihre natürliche Berechtigung hat.
Wenn man hier wieder zu der primitivieren,
aber echteren und selbstverständlicheren
Technik heute teilweise zurückgreift, so ist
das eine Gesundung im künstlerischen Sinn.
Verkehrt aber wäre es, wenn man an Stelle
des Diamanten als Glasschneider wieder die
Zange zum Abbrechen der Scheibenstücke
* verwenden würde.

Die Volkskunst hat ihre tiefen, seelischen
aber zeitlich bedingten Werte. Um ein ganz
krasses Beispiel zu nennen: man kann doch
nicht von dem Bauer, der heute sein elek-
trisches Licht von der Überlandzentrale be-
kommt, verlangen, daß er geschmiedete
Kienspanhalter aufstellt. Für ebenso ver-
kehrt halle ich es, wenn man heute den
Bauern klar machen will, daß sie ihre ur-
alten Volkstrachten tragen sollen. Trach-
tenfeste mögen für Volkskundler und Som-
merfrischler ein, hübsches und interessantes
Bild sein, aber daß die alte aus dem Barock-
kleid stammende Tracht mit ihrer Unmenge
von Böcken und dem enggeschnürlen Mie-
der eine Qual bei der Arbeit ist, bedarf
kaum einer weiteren Erklärung. Es wäre
wichtig, daß einmal ärztlich festgestellt
würde, welchen Schaden das Tragen der
Tracht an der weiblichen Gesundheil an-
richtet.

Man kann verstellen, daß dem heutigen
Kunsthandwerker vor der ganzen techni-
schen Entwicklung unserer Zeit bange wird,
daß er sich auf einen Posten zurückge-
drängt fühlt, der außerhalb der direkten
materiellen Bedürfnisse liegt. Aber der
wirklich handwerklich geschulte Kunst-
handwerker, der von der Pike auf gelernt
hat, wird sich der Volkskunst gegenüber
technisch sicher im Vorteil fühlen und nicht
begreil'en, warum er mit seinem verfeiner-
ten Können Werte nachahmen soll, deren
größter Beiz in der Primitivität der tech-
nischen Handarbeil liegt. Es ist ja Tat-
sache, daß sich nach der sogenannten Volks-
kunst hin nur solche Kräfte Orientieren,
denen es an der guten handwerklichen Vor-
bildung fehlt. Damit soll natürlich nicht
gesagt werden, daß Volkskunst auf der
schlechten Handhabung einer Technik be-
ruht, sondern nur, daß unser heuliges hand-
werkliches Können durch die Entwicklung
in der Stadt sich technisch verfeinert hat.
Dem Kunsthandwerk fehlt es zum großen
Teil an einem Ziel, an einer bestimmten
Blickrichtung. Entweder seine Formen-
sprache ist antikisierend oder es ist eine
falsche und noch schlechtere Auflage des-
sen, was man im schlechten Sinne als
„Kunstgewerbe" bezeichnet. Ks ist gerade-

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