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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 2.1927

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Meißner, Else: Kunstschutz auf Textilmuster
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https://doi.org/10.11588/diglit.13210#0102

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KUNSTSCHUTZ AUF TEXTILMUSTER

VON DR. ELSE MEISSNER, DRESDEN

Eine sehr angesehene, mit ersten Künstlern zu-
sammenarbeitende sächsische Texlilfirma legte
kürzlich der Sächsischen Landesstelle für Kunst-
gewerbe eine Anzahl ihrer Stoffe vor nebst Nach-
ahmungen, die von teilweise gleichfalls angesehe-
nen Firmen stammten. Sie wollte dadurch die
Aufmerksamkeit auf die Mißachtung des künstle-
rischen Lirheberrechtes lenken, die gerade in der
Textilindustrie weit verbreitet ist, ja, die z. T. so-
gar als rechtmäßig verteidigt wird mit der Begrün-
dung, daß das Kunstschutzgesetz Textilmuster
nicht oder nur in besonderen Ausnahmen umfasse.
Diese Auffassung, die heutigem Rechtsempfinden
ganz zuwiderläuft und künstlerischer Arbeit auf
texlilem Gebiet nur den kürzeren, an Anmeldung,
Musterhinterlegung usw. geknüpften Schutz nach
dem Geschmacksmustergesetz lassen würde, ist
allerdings auch in der juristischen Literatur zum
Kunslschulzgesetz nicht ohne Fürsprecher; sie ist
aber nur verständlich aus der Geschichte des Ge-
setzes. Bekanntlich waren nach dem alten Kunst-
schulzgesetz von 1876 nur Werke der sogenannten
freien Kunst geschützt, und erst das Kunstschutz-
gesetz von 1907 dehnt den Schutz auch auf Werke
der angewandten Kunst aus, indem es dem § 1 „Die
Urheber von Werken der bildenden Künste und
der Photographie werden nach Maßgabe dieses
Gesetzes geschützt" in § 2 Abs. 1 den Satz folgen
läßt: ,,Die Erzeugnisse des Kunstgewerbes gehören
zu den Werken der bildenden Künste."
Man sollte glauben, daß damit jeder Zweifel aus-
geschlossen ist. Dem ist aber nicht so; denn nun
geht der Streit um die Frage: was ist Kunstge-
werbe? Und der Zeit entsprechend, in der das
Gesetz entstand und die meisten Kommentare er-
hielt, wurde dem Begriff Kunstgewerbe teilweise
eine Deutung gegeben, die uns heute fast lächeln
macht. Juristische Autoritäten wie Schanze u. a.
halten noch den sogen. „Bildwerkcharakter" für'
notwendig, d. h. sie wollen einen Gebrauchsgegen-
stand nur dann als Werk des Kunstgewerbes und
damit der bildenden Kunst gelten lassen, wenn
er mit der Darstellung eines Naturgegenstandes
verbunden ist!

Zur Ehre der Rechtswissenschaft und der Recht-
sprechung muß gesagt werden, daß an anderen
Stellen auch eine sehr viel tiefere Einsicht in das
Wesen der angewandten Kunst vorhanden war.
Es würde zu weit führen, hier die vielen Versuche,
den Begriff der bildenden Kunst mit Einschluß
des Kunstgewerbes scharf zu umgrenzen, zu kenn-
zeichnen. Am nächsten kommt unserer heutigen
Auffassung von künstlerischem Schaffen wohl
Oslerrieth. Diejenigen, die den Schutz der ange-
wandten Kunst einschränken wollen, finden je-
doch eine Stütze in den Motiven zum Kunstschutz-
geselz, in denen es heißt:

„Es versteht sich von seihst, daß nicht jede beliebige
bildnerische Ausgestaltung oder Verzierung den Gegen-
stand in die Sphäre eines Werkes der bildenden Künste
erhebt., Vielmehr wird hier, wie allgemein, der Ge-
sichtspunkt maßgebend sein, ob, unabhängig von 4em
Gebrauchszweck der Sache, eine individuelle künstle-
rische Leistung vorliegt. Daß aber bei dieser Prüfung
der höhere oder niedere Kunstwert nicht ins Gewicht
fällt, ist schon heute anerkannten Rechtes und bedarf
keiner besonderen Hervorhebung im Gesetze. — 'Im
übrigen wird durch das Fallenlassen des $ ik des Kunst-
schutzgesetzes der Geltungsbereich des Musterschutzge-
setzes vom Ii. Januar 1876 nicht berührt. Deshalb
unterliegen solche Formschöpfungen, welche, ohne als
Werke der bildenden Künste angesprochen werden zu
können, als Vorbilder für die geschmackvolle Darstellung
gewerblicher Erzeugnisse dienen sollen, nach wie vor den
Bestimmungen dieses Gesetzes. Hierher werden nament-
lich die Linienmuster der Texiiigewerbe und der Tape-
tenindustrie, die Vorlagen der Konfektion und der Be-
kleidungsindustrie ............zu zählen sein. Der-
artige Erzeugnisse bedürfen, um den Schutz gegen Nach-
bildung zu erlangen, der Anmeldung bei dem Muster-
register."

Da aber weder die Motive noch die Kommentara
zum Gesetz bindendes Recht darstellen, so ist von
praktischer Bedeutung für die heutige Bechtslage
nur die Stellungnahme des Reichsgerichtes. Nun
liegt seit der Verabschiedung des Gesetzes im Jahre
1907 bis zum heutigen Tage noch keine einzige
Reichsgerichtsentscheidung über den Kunstschutz
der Textilmuster vor. Als Anhaltspunkte können
also nur die Reichsgerichtsenlscheidungen auf
anderen Gebieten der angewandten Kunst dienen,
die verwandte Fragen berühren. Um ihrer grund-
sätzlichen Bedeutung willen seien die wichtigsten
Stellen daraus hier wörtlich angeführt:

Reichsgerichtsentscheidung vom 4- April 1910
(Strafsachen Bd. 43 S. 329)

„Der Begriff (Werke der bildenden Künste) ist der
gleiche wie im S 1 des früheren Kunstschutzgesetzes vom
g. Januar 1876 und wurde von der unter der Herrschaft
dieses Gesetzes ergangenen reichsgerichtlichen Recht-
sprechung dahin festgestellt, daß als Werk der bildenden
Künste anzusehen ist jede individuelle geistige Schöp-
fung, die mit den Darstellungsmilteln der Kunst hervor-
gebracht und vorzugsweise für die Anregung des ästhe-
tischen Gefühls durch Anschauen bestimmt ist, ohne
Rücksicht auf den höheren oder geringeren künstleri-
schen Wert und ohne Rücksicht darauf, ob das Werk
neben dem ästhetischen Zwecke noch einem praktischen

Gebrauchszwecke dient....... Der erkennende Senat

hat keine Veranlassung, von dieser auch in der Literatur
überwiegend vertretenen Auffassung des Begriffes:
.Werk der bildenden Kunst' abzuweichen und vermag
auch nicht der einschränkenden Auslegung beizutreten,
welche Schanze dem Begriffe dahingibt, daß als Werk
der bildenden Künste nicht jedes künstlerische Gebilde
zu erachten sei, sondern nur ein solches, das den Charak-
ter eines Bildwerks habe, das Träger eines Bildes sei,
d. h. der Darstellung eines außer uns in der Wirklichkeit
oder wenigstens in unserer Vorstellung existierenden

Gegenstandes.......Geht man von der vorerörterten

Bestimmung des Begriffes eines Werkes der bildenden
Künste aus, so verliert die Frage, ob Erzeugnisse des
Kunstgewerbes ohne weiteres Kunstschutz genießen, oder
nur, sofern sie Werke der bildenden Kunst sind, ihre

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