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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 2.1927

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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.13210#0202
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Schwabacher hervorgebracht hat, kann doch so
zwangsläufig nicht sein. An ihr kann es kaum
liegen, daß unsere Künstlerschriften historisieren.
Aber sie hat sie ja gar nicht hervorgebracht. Die
alten Typen stammen aus der Schreibschrift oder
aus der Konstruktion (Ludwig XIV.) aus dem
Formgefühl der Epoche und nicht aus der Tech-
nik. Sie sind sehr schwer zu schneiden und ge-
radezu gegen die Technik.

Der Stempelschnitt führt nicht zu alten Formen.
Er kann zu neuen führen, doch bleibt es zweifel-
haft, ob man sich einem, so zu phantastischen
Ausschweifungen neigenden, Führer anvertrauen
soll. Sicher ist, daß er zu einem führt: zu ordent-
licher Arbeit. Er ist keine Formquelle, sondern
eine Arbeitsmethode.

Wer Buchslaben fünfzig bis hundertmal so groß,
als sie nachher aussehen sollen, zeichnen und zu-
sammenstimmen kann, braucht den Stempel-
schnitt nicht.

Er ist nur für bescheidnere Gemüter, die das,
was sie machen, gerne in Originalgröße vor sich
sehen, gerne die Buchstaben während der Arbeit
zu Wortbildern zusammensetzen und hier eine
Ilaaresbreite zufügen, dort wegnehmen wollen.
Große Herren haben wenig Zeit. Da wird eine
Zeichnung gemacht, und man läßt sie auszeich-
nen. Dann korrigiert man und läßt ausführen,
dann korrigiert man wieder und läßt und läßt,
bis die Sachen so aussehen, wie sie aussehen.
Der Slempelschneider klemmt sich eine Lupe ins
Auge und arbeitet stundenlang an einem winzigen
Stahlstück. Ein zehntel Millimeter ist schon eine
ziemlich lange Strecke für ihn. Schlimm genug,
wenn der Künstler an diese Methoden, die seinen
unbestreitbaren Erbbesitz darstellen, nicht mehr
glaubt. — Der von ihm so bewunderte Ingenieur
weiß sie zu schätzen. Aus dem einfachen Grunde,
weil er die schwachen Stellen seiner eigenen Ar-
beitsmethode ganz genau kennt.
Vielleicht habe ich mehr von einem möglichen
als von einem heute vorhandenen Slempelschnei-
der gesprochen. Vielleicht gibt es deren heule
nicht mehr als Gerechte in Sodom und Gomorra.
Das wäre nur ein Grund, den Slahlschnitt in die
Ausbildung des Graphikers einzubeziehen; denn
ob ich im übrigen recht habe oder nicht, einen
großen pädagogischen Wert hat er auf alle Fälle.
Es sollen doch erst einmal Leute von wirklichem
Niveau diese Technik beherrschen, dann wird man
sehen, daß sie für „die Schrift unserer Zeit" ein
unentbehrliches Hilfsmittel ist.

Georg Mendelssohn, Dresden

Georg Mendelssohn, der rühmlichst bekannte Hel-
lerauer Goldschmied, hat selbst einmal versucht,
die Stempel (Matrizen) einer Drucktype zu gra-
vieren. Daraus ist dann in der Dresdener Schrift-
gießerei der Gebr. Butter die Mendelssohn-Type
geworden. Rudolf Koch ist noch einen Schritt
weitergegangen und hat den Gravier-Stichel mit
der Feile und dem Hammer, den Werkzeugen der
allen Stempelschneider, vertauscht. Er hat sich

Punzen zugefeill, mit denen er die Innenform
der Buchstaben in den Stempel geschlagen hat;
den äußeren Umriß der Buchstaben hat er durch
Zufeilen des Stempels selbst gewonnen. So ist
seine „Neuland" entstanden, eine der lebendig-
sten und schönsten Drucktypen unserer Zeit. Sie
ist als künstlerische Leistung so untadelig wie
die prächtige Schmiedeeisenkunst unseres Berli-
ner Meisters Schramm. Wir freuen uns, daß es
auch heute noch Menschen gibt, die so etwas
machen können; wir freuen uns über die beschei-
dene Werkgesinnung dieser wahrhaft großen
Künstler, die so angenehm absticht von dem aka-
demischen Künstlerwahn einer kaum vergangenen
Zeit. Aber Werkgesinnung ist doch nicht ein Pri-
vileg des Handwerks; und die Köpfe, die in den
unserer Zeit eigentümlichen Arbeitsweisen die
Hände in Bewegung setzen, werden nicht immer
von „großen Herren" getragen, die „wenig Zeit
haben" und denen es auf ein zehntel Millimeter
nicht ankommt. Es ist wirklich so, daß trotz
ihres unbestrittenen künstlerischen Wertes a,lle aus
den a,lten handwerklichen Techniken entstande-
nen Formen, auch wenn sie historische Vorbil-
der nicht eigentlich nachahmen, doch unserer heu-
tigen Formenwelt fremd bleiben und einer ver-
gangenen anzugehören scheinen. So passen die
Mendelssohn-Tvpe und Kochs „Neuland" vortreff-
lich zu Originalholzschnitten; eine Netzätzung
hielte ihre Nachbarschaft nicht aus. Die Formen-
welt, die wir a,ls unserer Zeit gemäß empfinden,
scheint überall dort am besten zu gedeihen, wo
wir durch überlegte Organisation und Durchgei-
stigung der Arbeit die Schäden und Gefahren der
geteilten Arbeitsweise und der maschinellen Tech-
nik zu vermeiden suchen; nicht dort, wo wir aus-
nahmsweise einmal zu älteren Arbeitsverfahren
zurückkehren. Die stilbildende Kraft unserer Zeit
kommt ans dem Kampf mit der Maschine, nicht
aus der Flucht vor ihr. Paul Ronner

Leider konnte ein Aufsatz von Dr. Else Meißner
„Die Stellung der Kunstgewerbebibliolheken in
der gestaltenden Arbeit", der noch zum Thema
des vorliegenden Heftes gehört, nicht mehr aufge-
nommen werden, weil das Material zu reichhaltig
war. Der Aufsalz wird deshalb im nächsten Heft
zusammen mit noch einigen Arbeiten von Kunsl-
gewerbeschulen erscheinen.

Wir verweisen auf die Abbildungen von Arbeiten
der staatl. Bauhochschule Weimar im 1. Jahr-
gang S. 269 und 344 ff. Die Arbeit des Bau-
hauses Dessau werden wir in einem der folgenden
Hefte eingehend behandeln.

Anschriften der Mitarbeiter dieses Heftes :

Geheimrat Professor II. Riemerschmid, Direktor der Kölner Werk-

schulen, Köln a. Rh., TJbierring /jo.
Paul Renner, Direktor der Graphischen Berufs-Schulen der gtadt

München und der Meistersehulc für Deutschlands Buchdrucker.

München, Prankhstr. 2.
Professor Adolf Rading, Architekt, Breslau I, Kaiserin Auguslaplatz 3.
H. de Fries, Architekt, Werder a. Havel, Ghausseestr. Ii3b.
Georg Mendelssohn, Kunstschlosser, Dresden, Pfotenhauerstr. 28.

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