Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 2.1927

DOI Artikel:
Qualität oder Quantität?: eine kultur- und wirtschaftspolitische Betrachtung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13210#0236

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
deshalb, weil er dem eitlen Bestreben des
Massenmenschen, sich abheben, etwas Be-
sonderes darstellen, die Blicke auf sich len-
ken zu wollen, entgegenkam, sondern weil
er in der Tat ein Wohltäter aller derjenigen
wurde, denen der furchtbare Zwang zur all-
gemeinen Uniformität der Lebensweise wie
eine Kette dünkte, der sie sich, wenn auch
nur zeitweilig, wie entronnen fühlten, wenn
sie ihre Sinne an dem Besitz eigenartiger
Waren erfreuen, wenn sie ihren Geist in
höhere, über der allgemeinen geistigen
Fläche liegende Gedankenbahnen lenken
konnten.

Wir sprechen diese Dinge nicht aus Grün-
den philosophischer Kontemplation, son-
dern in dem außerordentlich materiellen
Bestreben aus, dem Wiederaufbau der deut-
schen Wirtschaft zu nützen. Die Stimmen,
die aus dem uniformsten der kultivierten
Erdteile, aus Amerika, zu uns herausdrin-
gen, sind es, die uns den eigentlichen An-
laß dazu geben. Alles was wir von drüben
hören, zeigt uns: Amerika verkommt an sei-
nem typisierten Reichtum. Nichts ist so ge-
eignet, die Individualität zu fördern, als
Reichtum, d. h. die Möglichkeit, eigen-
artige Bedürfnisse zu erwecken und zu pfle-
gen. Nichts muß deshalb deprimierender
für ein Volk sein, als wenn es merkt, daß es
mit seinem individuellen Reichtum nichts
weiter anzufangen vermag, als ihn zu typi-
sieren. Über dem Streben nach der Heran-
schaffung materiellen Besitzes, der ja an
und für sich recht geeignet ist, den Erden-
kindern ihr höchstes Glück, nämlich das
Glück der Persönlichkeit zu vermitteln,
haben die Amerikaner vergessen, daß nur
ein mit höchstwertigen Eigenschaften aus-
gestatteter Geist die materielle Masse des
Beichtums so zu gestalten vermag, daß die-
ses Persönlichkeitsglück aus ihr hervor-
gehen kann. Die Fülle der Güter ist da,
aber der Geist ist, weil er sich nur darauf
einstellte, diese Güter heranzuschaffen und
zu konservieren, stumpf geworden und
daher nicht mehr in der Lage, sie besser und
eigenartiger gestaltet zu genießen. Nun, wo
er die Mittel hätte, etwas mit der Materie
anzufangen, fehlt ihm die innere Kraft
dazu.

Wir haben in den wirtschaftlichen Beratun-
gen unserer an öffentlichen und privaten

Parlamenten jeder Art so reichen Zeit kaum
einen Gedanken öfter gehört als den, daß
uns nur durch Vermehrung der Produktion
geholfen werden könne. Der Gedanke der
horizontalen und rationalen Wirtschaft, der
ja im wesentlichen nichts als ihre Unifor-
mierung bedeutet, ist uns deshalb so hoch
angepriesen worden, weil eine Verviel-
fachung der Produktion durch diese Wirt-
schaft erzielt werden könne, weil Amerika
uns gerade dadurch so außerordentlich
überlegen ist, daß auf den Kopf des einzel-
nen die vielfache Produktenmenge mehr
kommt als in Deutschland, und weil der
Stein der Weisen darin gesucht wird, eben
die deutschen Produkte zu vermehren.
Wir halten aus den eben angeführten Grün-
den diesen Gedanken für in der Wurzel ver-
fehlt. Der heute kaufkräftigen Welt fehlt
nicht die Fülle, sondern ihr fehlt die bessere
Eigenart der Produkte. Der reiche Teil der
Welt geht an der Fülle seiner uniformen
Produkte innerlich zugrunde, der Markt
stagniert, nicht weil das Publikum die Pro-
dukte an und für sich nicht aufzunehmen
vermöchte, sondern weil es von der Natur
gezwungen, sich zu entwickeln, scheut,
immer wieder die gleichen Produkte ent-
gegenzunehmen. Der Drang zur nicht vor-
handenen Qualität läßt die vorhandenen
Quantitäten versumpfen, und der Verkehr
erlahmt allmählich.

Hier und hier allein, so glauben wir,
liegt die wirtschaftliche Wellaufgabe von
Deutschlands Zukunft. Deutschland hat in
Friedenszeiten und auch noch heute wie
kein anderes Land der Welt Köpfe und
Hände, die Qualitätsware zu erdenken und
herzustellen vermögen. Nicht eine Verviel-
fachung der Quantität der deutschen Pro-
dukte wird ihm in Zukunft den Zugang zum
Weltmarkte wieder öffnen und ihm den bit-
ter notwendigen Beichtum wieder zuführen.
Nicht horizontale und rationelle Wirtschaft
mit ihrer vermehrten quantitativen Produk-
tionsmöglichkeit ist die Rettung, sondern
allein Erhöhung der Qualität seiner Erzeug-
nisse wird die auf dem Wellmarkte ange-
häufte Warenquantität ihrer besonderen
Eigenschaft wegen aus dem Wege räumen.
Bringt in eine Gesellschaft von tausend uni-
formen Geistern einen Geist hinein, dessen
Fläche zwei Stufen höher liegt als das allge-

226
 
Annotationen