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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 2.1927

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Riezler, Walter: Einheit der Welt: ein Gespräch
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https://doi.org/10.11588/diglit.13210#0246

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EINHEIT DER WELT

EIN GESPRÄCH

Der Leser: Nicht ohne Verwundern betrachte ich
die Bilder dieses neuen Heftes, und ich glaube,
es wird auch andern so gehen: es ist nicht leicht
zu durchschauen, was mit dieser Zusammenstel-
lung von Photographien geineint ist. Freilich sind
es schöne Aufnahmen, — aber sie scheinen mir
doch nicht so recht geeignet zu sein, das Problem
der Photographie, und noch dazu gerade in der
Zeitschrift „Die Form", besonders zu erhellen.

Der Herausgeber: Das war auch unsere Absicht
nicht dabei! Ich glaube, ein ästhetisch-formales
Problem des Lichtbildes gibt es gar nicht, oder
es ist doch ein recht oberflächliches Problem,
im wahrsten Sinne: nur um die Oberfläche, ob
diese mehr oder weniger Heiz habe, kann es sich
handeln. Denn man wird doch die Versuche, eine
Lichtbildaufnahme der künstlerischen Wirkimg,
d. h. der Wirkung einer gestalteten Erscheinung
zu nähern, nicht ernst zu nehmen brauchen. Die
Versuche, das Lichtbild von dem Naturvorbild
ganz zu lösen oder das Naturvorbild nur als Wir-
kungsmitlei zu benutzen, mögen schon eher in
die Nähe der echten Kunstformen führen — denn
hier wird ja in der Tat eine Erscheinung geschaf-
fen, die ihre Gesetze in sich selber trägt und
ihren eigenen, oft geheimnisvollen Ausdruck be-
sitzt. Aber hier kommt gerade dieses Problem
ganz gewiß nicht in Frage: daß es Herrn Renger-
Palzsch, der uns diese Aufnahmen zur Verfügung
stellt, auf das Gegenständliche des Naturvorbildes
ankam, das ist doch klar. Gerade weil sie nichts
anderes sein wollen wie erstaunlich fein und stark
geschaute und auf die Platte gebannte Natur —
als solche sind sie allerersten Ranges! — sind sie
für die Fragen, auf die es uns hier ankommt,
so ausgezeichnet geeignet.

Der Leser: Dann soll vielleicht durch diese Ge-
genüberslellung von Natur- und Kunstformen et-
was ähnliches gezeigt werden, wie es vor dreißig
Jahren Ilaeckel in seinen „Kunslformen der
Natur" fatalen Angedenkens versucht hat? Ist es
an dem einen Versuche, der die Hauptschuld an
der Ornamentik des Jugendstils trägt, nicht ge-
nug? Haben wir nicht längst erkannt, daß der
„künstlerische" Eindruck, den diese Naturformen
vielleicht machen — aber nur auf Menschen von
zweifelhafter künstlerischer Anlage —, mit dem
„Wesen" dieser Formen und mit dein Wesen der
Kunst gar nichts zu tun hat? Ist es nicht wichti-

ger, immer wieder den großen Gegensatz zu be-
tonen, der alle Naturformen von der „Kunst"
trennt: daß im einen Falle die Formen aus dem
freien Spiel der Nalurkräfte entstehen — so daß
überall da „Form", man kann auch sagen
„Rhythmus", in der AVeit ist, wo zwei oder
mehrere Kräfte aufeinander wirken, gegenein-
ander kämpfen und schließlich zu lebendigem
Ausgleich kommen, — im anderen Falle der be-
wußte Künsllergeist des Menschen ein Naturvor-
bild, oder freierfundene Formen, zu Harmo-
nien umgestaltet, die es in der Natur nicht gibt?

Der Heiausgeber: Sie haben mit Ihrer Kritik der
Haeckelschen „Kunslformen" ganz recht. Es war
sicher etwas naiv gedacht, wenn Hacckel gerade in
diesen komplizierten Symmetrien, die er an mi-
kroskopischen Tieren als Ergebnis des gleichmäßi-
gen, ungehemmten Wachstums nach beiden Seifen
vorfand, etwas „Künstlerisches", d. h. in diesem
Falle „Ornamentales" sehen wollte, und es ist
kein Wunder, daß die Anwendung auf das mo-
derne Kunstgewerbe so fatale Ergebnisse hatte,
denn da sollte ja eine reine Wachslumsform auf
eine Schmuckform übertragen werden, — wäh-
rend doch das „Ornament" in der Natur — die
ganze Natur ist voll von reinen Schmuckformcn,
die aus dem Überfluß, nicht aus dem „Kampf
ums Dasein" stammen! — ganz anderen, freieren
Gesetzen folgt, vor allem die Symmetrie so gut
wie niemals kennt. Aber Sie müssen ja auch
sehen, daß die Bilder der Natur, die wir hier
zeigen, ganz anderer Art sind, und die kurzen
und eindringlichen Worte, die Dr. Lötz unter
die Bilder gesetzt hat, können Ihnen zeigen, daß
es uns gar nicht darauf ankommt, die Gegen-
sätze, die zwischen den Bildungen der Natur und
denen der Kunst bestehen, zu verwischen.

Der Leser: So wären also die Ähnlichkeiten, die
wir auf diesen Bildern zwischen der Nalurform
und der Kunstform so unverkennbar wahr-
nehmen, nur als „Spiel der Natur", als eine Art
„.Zufall" aufzufassen? Das scheint mir aber dann
kein ernsthaftes Problem zu sein, kaum ernst-
hafter, als wenn jemand die Eisblumen am Fen-
ster auf ihre Ähnlichkeit mit vegetabilischen For-
men — die doch sicher nicht kristallinischen Ur-
sprunges sind wie jene! — untersucht.
Der Herausgeber: Wir wollen die Eisblumen hier
aus dem Spiele lassen! Ich kann nicht glauben,

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