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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 3.1928

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Tschichold, Jan: Fotografie und Typografie
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https://doi.org/10.11588/diglit.13709#0160

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die hauptfrage, welche schrift man zum
folo wählen müsse, hat man früher auf ver-
schiedenste weise zu lösen versucht; vor
allem durch Verwendung grau wirkender
oder manchmal wirklich grauer Schriften,
durch sehr zarle und stark individualistische
typen und dergleichen mehr, wie auf allen
anderen gebieten ging man auch hier auf
eine nur äußerliche angleichung der auf-
bauteile, also auf nivellierung, aus. so ent-
stand höchstens ein einheitliches grau, das
aber über den kompromiß nur schlecht hin-
wegtäuschte.

die neue typografie hat mit einem schlage
die lösung herbeigeführt, indem sie bei
ihrer absieht, aus elementaren zeitgemäßen
formen eine künstlerische einheit zu bilden,
eigentlich überhaupt keine schriftfrage
kennt (sie mußte mit notwendigkeit die
grotesk wählen) und sie das fotoklischee als
ein ebenfalls elementares darstellungsmit-
tel vorzugsweise verwendet, gelangt sie zu
der Synthese: fotografie + grotesk!

beim ersten zusehen scheint es, als ob die
härte der klaren, eindeutigen schwarzen
schriftformen dieser type mit den oft sehr
weichen grautönen der fotos nicht zusam-
menstimmen könnten. beide zusammen
ergeben freilich kein gleichmäßiges grau,
denn ihre harmonie beruht gerade auf
ihrem form- und farbkontrast. beiden ist
aber gemeinsam: die Objektivität und un-
persönliche form, die sie als zeitgemäße
mittel erweist, ihre harmonie ist also nicht
bloß eine äußerlich formale, wie sie früher
irrtümlich angestrebt worden war, und auch
keine willkürlichkeit; denn es gibt nur eine
objektive schriftform — die grotesk — und
nur eine objektive auf Zeichnung unserer
umweit — die fotografie.

damit ist der individualistischen form der
grafik: handschrift — Zeichnung heute die
kollektive form: typo — foto gegenüberge-
treten.

als typofoto bezeichnen wir jede Synthese
von typografie und fotografie. heute kön-
nen wir mit hilfe des fotos vieles besser
und schneller ausdrücken als auf den um-
ständlichen wegen der rede oder schreibe,
das fotoklischee reiht sich damit den buch-
staben und linien des Setzkastens als ein zeit-
gemäßes, aber differenzierteres typografi-
sches aufbauelement an. es ist auch im

rein materiellen sinne jenen grundsätzlich
gleich, ganz offenbar wenigstens im buch-
druck, wo dies durch die Zerlegung der
Oberfläche in (gewissermaßen typogra-
fische) erhabene rasterpunkte und die ge-
meinsame schrifthöhe bewirkt wird, in den
modernen druckverfahren tiefdruck und
offset entfällt ein solcher maßstab vollkom-
men, hier würde eine entgegengesetzte
meinung in der materiellen form keine
stütze für die behauptung der ungleichartig-
keit mehr finden, nachdem wir heutigen
die abneigung der buchkünstler gegen das
foto im buch nicht kennen und auch der
luxusbegriff des „schönen buches" der Ver-
gangenheit angehört, sieht der buchgestal-
ter unserer zeit im fotoklischee einen den
typen usw. ebenbürtigen bestandleil auch
des buches.

die einordnung des klischees in den übri-
gen satz ist den geselzen einer sinngemäßen
typografie und einer harmonischen flächen-
gestaltung unterworfen.

man darf sagen, daß das typofoto eins
der bezeichnendsten grafischen ausdrucks-
mittel der heuligen typografie und reklame
ist. nur eines geringen Zeitraumes wird es
bedürfen, bis sich auch die noch teilweise
stark von hier ganz unberechtigten „tradi-
tionellen" auffassungen beeinflußten popu-
lären formen des typofotos (vor allem die
illustrierten Zeitungen und ein teil der
reklame) von diesen befreien und durch
eine bewußte konsequent zeitgemäße gestal-
lung das kulturelle niveau der gegenwart
erreichen.

die großen möglichkeiten der fotografie
selbst sind bisher, von dem engen kreise
weniger fachleute abgesehen, noch kaum
erkannt, geschweige denn erschöpft worden,
es ist aber kein zweifei, daß die grafische
kultur der Zukunft sich des fotos in noch
weit höherem maße als die gegenwart be-
dienen wird, die fotografie wird für unser
Zeitalter so symptomatisch sein wie für die
gotik der holzschnitt. hieraus ergibt sich
für alle grafischen berufe die notwendigkeit,
schon heute die techniken der fotografie
und der reproduklion soweit als möglich
schöpferisch auszubauen und sie rechtzeitig
auf die höheren anforderungen einer nahen
zukunft vorzubereiten.

jan tschichold, ring neue werbe gestalter

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