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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 3.1928

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Renner, Paul: Gegen den Dogmatismus in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.13709#0323

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GEGEN DEN DOGMATISMUS IN DER KUNST

Es wird heute zuviel über Kunst geredet
und geschrieben von Leuten, in deren Denk-
apparaten (sit venia verbo!) zu schwache
Hemmungen eingebaut sind, so daß es fort-
während zu logischen Kurzschlüssen
kommt. Ich bilde mir nicht ein, Leitungs-
stÖrüngen beseitigen zu können; ich möchte
nur einige Warnungstafeln errichten: Ach-
tung ! Hochspannung!

KLEINSTABEN ODER GROSSTABEN

„wir schreiben alles klein, denn wir
sparen damit zeit, außerdem, warum zwei
alphabete, wenn eins dasselbe erreicht?
warum groß schreiben, wenn man nicht
groß sprechen kann?"

Ich wende mich nicht gegen die gute, von
mir selbst seit Jahren öffentlich vertretene
Sache. (Vergleiche Archiv für Buchgewerbe
1920, Heft 5/6, Seile 102 und viele andere
Publikationen.) Ich wende mich nur gegen
ihre unlogische Begründung. Wessen Zeit
wird denn durch Kleinschreiben gespart?
Gemeint ist wohl die des Schreibers; er
braucht den Taster nicht herunterdrücken,
der an Stelle der Kleinstaben die Großstaben
auf das Papier entläßt. Daß aber dieses
Umschalten bei einem geübten Maschinen-
schreiber wesentlichen Zeilverlust verur-
sache, wird nicht so leicht nachzuweisen
sein. Wenn es die eigentliche Bestimmung
des Briefschreibens wäre, dem SCHREI-
BENDEN Zeit zu sparen, so hätten wir die
Maschinenschrift längst überall durch die
Stenographie ersetzt. Wir DIKTIEREN in
das Stenogramm, aber wir ^ ERSCHICKEN
die Maschinenschrift, weil der Rrief ja
unsere Gedanken nicht lediglich festhalten,
sondern MITTEILEN soll. Wir versetzen
uns beim Schreiben eines Briefes in die
Lage des Empfängers; wir suchen IHM
Zeit zu sparen, nicht uns, wir scheuen
keine Zeit und Muhe, unsere Gedanken in
wohlüberlegtem Aufbau und sinnfälliger
Formulierung so vorzutragen, damit man

sie ohne Mühe und Zeitverlust verstehen
kann. Aus diesem Grunde ist auch die
Orthographie nur nach dem Dienste zu be-
urteilen, den sie dem Leser leistet. Der
Schreibflüchtigkeit zuliebe müßte sie
PHONETISCH sein; phonetisch ist deshalb
die Bechtschreibung der dem schnellen
Schreiben dienenden Stenographie auch
immer gewesen. Wo es aber auf schnelles
Lesen ankommt, werden wir bei der diffe-
renzierteren Rechtschreibung bleiben müs-
sen, die den Wortslamm eindeutig erkennen
läßt. Der moderne Gestalter unterscheidet
sich vom Formalisten der vergangenen Zeit
gerade dadurch, daß er den Zweck, den
funktionellen Bestand seiner Aufgabe mit
viel größerer Aufmerksamkeit durchdenkt.
Wir können von der Schrift entweder
größte Lesbarkeit verlangen oder höchste
Schreibflüchtigkeil; nicht beides zugleich;
ohne Minderung der einen läßt sich die
andere nicht steigern. Indem ich an diese
Tatsache erinnere, will ich die reformbe-
dürftige Rechtschreibung unserer Tage
nicht verleidigen. Und gewiß darf im
Namen der Lesbarkeit nicht gefordert wer-
den, daß jedes Hauptwort mit einem Groß-
buchslaben beginne. Kein Land der Welt
hat diese barocke Häufung der Groß-
buchstaben und auch das deutsche Volk erst
seit Ende des siebzehnten Jahrhunderts.
Wenn deutsche Sprachkenner wie die Brü-
der Grimm diese Rechtschreibung als sinn-
los verworfen haben, hat niemand das Recht,
sie eine deutsche Eigenart zu nennen, die
man pflegen und erhalten müsse. Wir wol-
len den Dessauer Bauhäuslern von Herzen
dafür dankbar sein, daß sie die so oft theo-
retisch erhobene Forderung wieder einmal
zur Tat gemacht haben: nur bitten wir sie,
der guten Sache nicht durch unlriftige und
mißverständliche Argumente zu schaden.
Was soll das heißen, man könne nicht
,,groß sprechen"? Ich denke dabei gar
nicht einmal an die Großsprecherei in

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