Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

DOI Artikel:
Le Corbusier: Wo beginnt die Architektur?
DOI Artikel:
Bier, Justus: Zur Reform der Kunstgewerbemuseen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0223

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
-tung, Sie sind Lyriker, Sie werden sich verlieren!"
Und trotzdem hat mich das rationale Denken auf
einige aktive Werte gebracht, auf die die „Wohn-
maschine" Anspruch erheben kann:

1. Dachterrasse und Garten.

2. Häuser auf Pfahlrosten.

3. Längliche Fenster.

4. Abschaffung der Gesimse.

5. Lockerer Grundriß.

6. Freie Fassade.

Auf die Vorwürfe antwortete ich: „Jawohl, ich
will Gedichte schaffen, weil es mich nicht inter-
essiert, durch dürftige Werte zu befriedigen. Aber
ich erkenne Gedichte nur dann an, wenn sie nicht
aus „freien Rhythmen" bestehen; ich fordere ein

Gedicht in festen Worten (im vollen Sinn des Wor-
tes) und nach klarer Syntax gruppiert. „Die Wohn-
maschine" ist erst auf dem Weg zu einer Architek-
tur."

Die Lyrik zu unterdrücken ist nicht menschenmög-
lich. Und wenn es so weit kommen sollte, würde es
die Arbeit ihres eigentlichen Sinnes berauben: um
das Dienen. Um das Dienen sowohl dem Bedürfnis,
wie dem Herzen, wie dem Geist. Die „Wohnma-
schine" könnte nicht in Gang gebracht werden, wenn
sie uns gar keine geistige Nahrung geben würde.

Wo beginnt die Architektur?

Sie beginnt dort, wo die Maschine aufhört.

Le Corbusier

ZUR REFORM DER KUNSTGEWERBEMUSEEN

Wir haben mit der Veröffentlichung des Programms von Dr. With, Köln, im letzten Heft diese Frage
angeschnitten. Auch die beiden ersten Aufsätze dieses Heftes beschäftigen sich mit aktuellen
Museumsfragen. Wir veröffentlichen gern auch die folgenden Ausführungen von Dr. Bier. Die Aus-
führungen zeigen in ihren Forderungen eine deutliche Übereinstimmung. Die Forderungen nach modernen
Formen der Ausstellungen und Museen, und nach Einbeziehung der Erörterung der Probleme der ge-
staltenden Arbeit in den Lehrplan der Hochschulen hängen (siehe Mitteilungen des D.W. B. Heft 15, 3. Jahr)
eng zusammen.

Die Kunstgewerbemuseen, auch die bestgeleite-
ten, befinden sich heute in einer Krisis. Diese Kri-
sis hängt mit der Entwicklung zusammen, die die
Kunstgewerbemuseen genommen haben: von der
Vorbildersammlung einer Zeit der Stilnachahmung
zur Qualitätssammlung, die durch ihre werk- und
formgerechten Beispiele zu selbständiger Nach-
schöpfung anzueifern sucht. Andere, früher mitten
im Leben stehende Sammlungen haben inzwischen
ihr Schwergewicht ganz auf den Ausbau der histo-
rischen Bestände verlegt, ohne unmittelbar den
Faden in die Gegenwart zu suchen. Sie sehen ihre
Aufgabe in der Bewahrung und Erhaltung unersetz-
licher Überlieferungswerte — der Typus des Kunst-
tresors, auch dann, wenn die Darbietung die Dinge
uns als künstlerische Werte nahe bringt.

Der große Optimismus, mit dem im vorigen Jahr-
hundert die Gründung von Kunstgewerbemuseen
betrieben wurde, ist heute dahin, und es regt sicn
selbst Zweifel an jenen im Sinn des Werkbund-
gedankens geführten Sammlungen, weil immer deut-
licher wird, wie wenig sich in vielen Gebieten die
werk- und formgerechte Qualitätsarbeit gegenüber
der Einstellung auf immer neue Form v a r i a t i o n ,
auf Befriedigung des Neuheitenbegehrs und auf
Verschleißware durchsetzen läßt. Alle Sammlungen
und Ausstellungen, die sich die Aufgabe setzen,
nur einwandfrei gelöste Dinge zu zeigen, leiden
unter der notwendig esoterischen Auswahl der
Gegenstände, die einem ganz bestimmten Kreis von
Werkstätten ihre Entstehung verdanken und in ihrer

Wirkung auf eine ebenso esoterische Schicht von
Produzenten und Konsumenten begrenzt bleiben.

Die große Aufgabe der Kunstgewerbemuseen
scheint uns aber gerade die Sprengung dieser eso-
terischen Absperrung. Das neue Museum müßte
weniger Kunstgewerbemuseum als Museum für ge-
staltende Arbeit in Industrie und Handwerk m i t d e r
Abstellung auf Umfassung unserer ge-
samten Produktion sein.

Der entscheidende Mangel unserer heutigen
Museen und Ausstellungen liegt darin, daß sie die
gezeigten Objekte isoliert darstellen, herausgeris-
sen aus dem Kontinuum von Produktion und Ver-
brauch, ohne Angabe des für die wirtschaftliche
und formale Bewertung entscheidend wichtigen
Preises und häufig ohne präzise Bestimmung der
Art der Herstellung, der konstruktiven und zweck-
lichen Bedingtheit. Sehr viele Gegenstände würden
als vorzügliche Leistungen, als nicht absolute, aber
relative Qualitätsarbeit die Aufnahme in eine solche
Sammlung rechtfertigen, sobald die Preisangabe er-
möglicht, sie als billigste Verschleißware zu erken-
nen, die für den Bezieher eines Minimaleinkommens
berechnet, dem Gegenstand eine wirtschaft-
lich geprägte Form gibt.

Nur zwischen Gegenständen gleicher Produk-
tionsbedingungen, gleicher Preisstellung und glei-
cher Absatztendenz kann auf die Form als solche
hin verglichen werden. Und hier bleibt den Museen
eine wesentliche Möglichkeit — wenn ihnen über-
haupt der Kontakt mit der Industrie gelingt, und das

181
 
Annotationen