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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0098

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RUNDSCHAU

DISKUSSIONEN

Lieber Herr Dr. Riezler!

Zu der Diskussion über das Wesen der techni-
schen Form möchte ich auch gern einige Gedanken
beisteuern, in der Hoffnung, daß Sie zu ihnen Stel-
lung nehmen. Fassen Sie also das, was ich Ihnen
schreibe, mehr als gestellte Fragen auf, denn ich
möchte nicht den Anspruch erheben, zu diesem
schwierigen Problem etwas Endgültiges sagen zu
können.

Zuerst möchte ich versuchen, die Wichertschen
Ausführungen in ihrem Sinn noch etwas weiter aus-
zudeuten, um zu zeigen, daß sie zu Schlüssen füh-
ren, die nach meiner Meinung sehr gefährlich sind.

Professor Wiehert sagt, daß die technische Funk-
tion an sich keine formbildende Kraft besitzt, und
billigt dem künstlerischen Gestaltungswillen nicht nur
eine sehr große Vormachtstellung vor der reinen
funktionsbedingten Formung zu, sondern glaubt so-
gar an eine Umprägung der funktionellen Formung
durch den künstlerischen Gestaltungswillen. Das
kommt besonders stark zum Ausdruck in dem. was
er über die Schornsteine sagt. Dort stellt er näm-
lich fest, daß die Schornsteine in ihren Ausmaßen
und in ihrer Form bestimmend für Formgebung und
Formgruppierung des ganzen Schiffes sind und
nimmt dabei an, daß diese Schornsteine in der
Form und Größe technisch gar nicht nötig sind.

Wenn das aber richtig ist, dann müßte man not-
wendigerweise feststellen, daß die „Bremen" auf
der gleichen Entwicklungsstufe der technischen For-
mung wie die früheren Autos steht, deren Form von
der Kutsche übernommen war. Und vom Standpunkt
der „Gesinnung" der Gestaltung müßte diese Lösung
der Schiffsform gar mit dem elektrischen Beleuch-
tungskörper in Form der alten ölhängelampen zu-
sammengestellt werden. Das würde bedeuten, daß
es sich bei der „Bremen" um eine Formgebung han-
delt, die vielleicht „schön", aber nicht konsequent im
Sinne moderner Gestaltung wäre wie das heutige
Auto, das Segelboot oder das moderne Motorboot.
Diese Formen sind konsequent und schön. Dann
hätte also die moderne Funktion, oder besser der
Komplex von Funktionen, den ein solcher Ozean-
dampfer in sich vereinigt, noch nicht die ihm gemäße
moderne Form gefunden.

Wenn Sie mir in diesen Schlüssen folgen, so muß
ich annehmen, daß hier zwischen Ihren Anschau-
ungen — die ich glaube aus den vielen Gesprächen,
die wir hier auf der Redaktion geführt haben, zu
kennen — und denen von Wiehert doch ein größerer
Unterschied besteht, als es aus den im letzten Heft
veröffentlichten Ausführungen hervorgeht. Sie wer-
den es sicher nicht gutheißen, daß heute ein Schiff
gebaut wird, für dessen Form die Kennzeichen einer
älteren Entwicklungsstufe (die Schornsteine) so be-
stimmend sind, wie es hier der Fall sein soll.

Wenn man nun die Einzelheiten nachprüft, die
Wiehert als Belege für eine mehr ästhetische als
technische Gestaltung angibt, so muß man zu der

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Ansicht kommen, daß die technische Funktion doch
viel, viel bestimmender ist als Wiehert annimmt. Das
läßt sich am besten bei einer genaueren Betrach-
tung dessen erörtern, was Wiehert als den plasti-
schen Zusammenschluß der gesamten Aufbauten be-
zeichnet. Dieser Zusammenschluß ist ein erstre-
benswertes Ziel im Schiffbau, auf das immer mehr
und mehr hingearbeitet wird. Vielleicht ist dieses
Ziel ein mehr gefühlsmäßig verfolgtes oder es gehört
zum mindesten zu den unausgesprochenen, aber
selbstverständlichen Gesetzen des Schiffbaus. Sol-
che unausgesprochenen, selbstverständlichen Ge-
setze gibt es in jedem Handwerk. Wenn alles aus
der Kenntnis der Funktion des Schiffes so grup-
piert und geformt wird, daß dem Sturm möglichst
wenig detaillierte Angriffsflächen geboten werden,
ähnlich, wie Menschen und Tiere instinktiv sich im
Sandsturm zusammenkauern —, so kann man das
doch eher mit einem gefühlsmäßigem Erfassen der
Funktion des Schiffes erklären als mit künstleri-
schem Wollen. Weiterhin aber kann man auch kaum
bestreiten, daß mindestens das Gefühl für die Orga-
nisation der Schiffsbedienung, wenn nicht gar An-
gleichung an die Erfahrung, diesen plastischen Zu-
sammenschluß fordern. Soviel ich weiß, ist die Auf-
hängevorrichtung der Rettungsboote bei der „Bre-
men", die gleichzeitig ein sicheres Hinausgleiten der
Boote ermöglicht, eine sehr gute und geschickte
technische Neuerung, für die der Anlaß die Unsicher-
heit der bisherigen Aussetzvorrichtungen für die
Boote war. Das technische Ergebnis ist deshalb auch
formal ein so sehr gutes, weil bei dieser Erfindung
auch das Gefühl für das plastisch sichere Zusammen-
lagern aller Teile des Aufbaus mitgesprochen haben
mag. Aber das ist keine optisch-ästhetische Erwä-
gung, sondern ein sehr starkes Gefühl für die Funk-
tion, wie es der Techniker haben muß, und dieses
Gefühl und natürlich nicht die Funktion selbst ist
der schöpferische Urgrund für die technische For-
mung.

Ganz ähnliches wäre über die Scharfkantigkeit
der Aufbauten zu sagen, die Wiehert beobachtet
hat. Sie ist konstruktiv das Näherliegende, wie ich
auch den rechtwinkeligen Querschnitt der Ventila-
toren für näherliegend halte, wenn nicht funktionelle
Gesichtspunkte auch hier mitsprechen. Bezeichnend
aber ist. daß diese Scharfkantigkeit nur in der Hori-
zontale da ist und daß die Kurven überall da auf-
treten, wo die Teile dem Sturm ausgesetzt sind.
Diese Kurven aber, die geometrisch recht kompli-
ziert sein dürften, treten auch gleichzeitig da auf,
wo sie schiffsorganisatorisch am Platze sind (Kom-
mandobrücke). Wenn auch der große Aufbau zwi-
schen den Schornsteinen rechteckig scharfkantig
gehalten ist, also geometrisch sehr unkompliziert
aussieht, so liegt das daran, daß er vollkommen ein-
gezwängt und eingepaßt ist. Man kann das vielleicht
vergleichen mit der Bebauung eines Geländes, das
zwischen Verkehrsstraßen liegt, die in irgendwie be-
dingten Kurvenformen verlaufen.
 
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