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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Schwab, Alexander: Zur Abteilung: "Städtebau und Landesplanung"
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0106

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fühl dafür, wie im tiefsten kritisch und krisenhaft die
Lage aller Kunst in unsrem Übergang zur „neuen
Zeit" ist. Bei den „reinen" Künsten jedenfalls ist
weder das seelische „Woher" ihrer Manifestationen,
noch das soziale „Wofür" irgendwie klar oder durch
consensus omnium gesichert. Um wieviel fragwür-
diger noch ist daher eine vorgebliche Städtebau-
„Kunst", wenn man das Wort als verwandt mit Dicht-
kunst, Malkunst, ja sogar mit Baukunst auffaßt, —
wo doch im Städtebau weit mehr, ja ganz anders,
mit gebieterischen gesellschaftlichen Kräften, der
Zweck sein Recht verlangt und durchsetzt.

Von der doppelten Krisis des Städtebaus als
„Kunst" haben freilich die keine Ahnung, die etwa in
den neuen Entwurf eines preußischen Städtebau-
gesetzes so groteske Bestimmungen hineinschrei-
ben wie die, daß „städtebaulich befriedigende Bil-
der" zu schaffen seien, oder daß Baupolizei und
Landeskonservator gemeinsam die „künstlerische
oder geschichtliche Bedeutung" bestehender Stra-
ßen, Plätze, Ortsbilder usw. zu beurteilen hätten.
Und ebenso ahnungslos gegenüber dem wirklichen
Problem sind die Versuche, städtebauliche Ent-
würfe, die für das Repräsentationsbedürfnis von
Ubergangsdiktaturen wie der Kemal Paschas ge-
schaffen werden, als Realisationen „moderner Städ-
tebaukunst" auszugeben, wo sie doch nur (histo-
risch begreifliche) letzte Ausläufer des dekorativen
Städtebaus aus der für Europa-Amerika verschwun-
denen absolutistischen Epoche darstellen.

Gewiß bleibt dem Städtebau eine künstlerische
Aufgabe übrig. Aber man kann heute kaum den Ver-
such wagen, sie auszusprechen. Nur der kann hof-
fen, dieser Aufgabe gestalterisch näherzukommen,
der die Spannungen der gesellschaftlichen Kräfte
unsrer Zeit erlebt hat und ein Bild der neuen Be-
ziehungen zwischen Individuum und Masse, zwischen
Mensch und Natur, zwischen Person und Wirt-
schaftsapparat in sich trägt. Wer heute Städtebau-
kunst treiben will, ohne durch diese Entwicklung
durchgegangen zu sein, wird unaufhaltsam ins De-
korative abgleiten.

Angesichts dieser Lage wird man vielleicht gut
tun, in Köln überhaupt nicht von Kunst im Städtebau
zu sprechen. Will man sich zu dieser Beschränkung
nicht entschließen, so wäre wohl nötig, die krisen-
hafte Lage und die Gefahr des Dekorativen aufzu-
zeigen, daneben aber nach den wenigen Arbeiten
zu suchen, die als positive Beispiele für künftige
Möglichkeiten gelten können: einiges aus den Arbei-
ten zur Erweiterung des Reichtags und aus der Be-
handlung Berliner Probleme in der großen Berliner
Kunstausstellung 1927 käme hier in Frage.

VI.

Nach der Kunst noch rasch ein zweites Nega-
tivum: die Wissenschaft. Wie von allen Dingen so
gibt es natürlich auch eine Wissenschaft vom Städ-
tebau; aber man sollte sie nicht, wie in Deutsch-
land so sehr üblich, mit der Sache selbst verwech-
seln. Und: wie zu allen Dingen des gesellschaft-
lichen Lebens ist auch zum Städtebau vielfache
Wissenschaft ein nützliches ja nötiges Hilfsmittel;
aber die konkreten Entscheidungen vorschreiben
kann die Wissenschaft nicht.

Hierin sind Städtebau und Landesplanung eng
verwandt mit der Politik, auch ist ja Landesplanung

nichts andres als die höchste Disziplin der Bau-
politik.

Insofern man mit Recht von der Politik behauptet,
sie sei eine Kunst — in diesem Sinne kann man
gewiß auch vom Städtebau sagen, daß er eine
Kunst ist.

Nun hat freilich — mit größerer Gewißheit als
die Kunst — die Wissenschaft ihren gesicher-
ten Platz in der Städtebauabteilung der Kölner
Ausstellung. Aber eben nur in diesen zwei For-
men: einmal als eine Nebengruppe, der Praxis
nachgeordnet: die Versuche zur wissenschaftlichen
Aufzeichnung, Sammlung, Klärung der Praxis —
sodann als dienendes Glied im Unterbau der
Praxis: Bereitstellung des Materials aus vielfachen
Wissenschaftszweigen, Unterlagen für die Ent-
schließungen des Praktikers.

VII.

Nach diesen Andeutungen einer notwendigen
Grenzberichtigung — zurück zur städtebaulichen
Tätigkeit selbst. Sie ist äußerst komplexer Natur,
und wenn man versucht sie zu definieren — bei-
spielshalber als zusammenfassende und voraus-
schauende Ordnung der baulichen Produktion unter
denGesichtspunktender politischen, kulturellen, wirt-
schaftlichen und sozialen Leistungsaufgabe — so ist
damit nicht viel getan. Aber vielleicht ist gerade aus-
stellungstechnisch in recht glücklicher Form ein Ge-
fühl dieser Vielfältigkeit zu vermitteln, indem die
historischen (und auch noch gegenwärtigen) Versuche
einer abstrakten allgemeingültigen Theorie, d. h.
also die Leistungen des geometrischen Städtebaus,
deutlich ins Licht gesetzt werden — mit ihren
Vorzügen, aber insbesondere auch mit ihren
Mängeln.

Der geometrische Städtebau, vorgebildet etwa in
den castra der römischen Legionen, nach Blüte-
zeiten in Barock und später, heute doch immerhin
noch von einer Kraft wie Le Corbusier vertreten, ab-
strahiert von zahlreichen konkreten Merkmalen, näm-
lich von den individuell-verschiedenen der einzelnen
Städte, um das Idealbild „der" Stadt, heute also:
„d e r" modernen Großstadt, zu zeichnen, um „die
beste Stadt" zu konstruieren.

Dabei passiert es freilich, daß gerade Le Corbu-
sier zwar in seiner Argumentation sich rationaler
Gedankengänge bedient, in der Zielrichtung aber
durchaus bestimmt wird von einem ästhetischen
Prinzip, von der „Schönheit der Geometrie". Damit
eben erweist sich der abstrakte Charakter des geo-
metrischen Städtebaus, d. h. seine Unzulänglichkeit
gegenüber den städtebaulichen Aufgaben der Neuen
Zeit, die nur verstanden werden können aus ihrer
Wesensverwandtschaft mit der Form des organi-
schen Lebens. Denn dem organischen Leben sind
gerade auch die sozialen und wirtschaftlichen Auf-
gaben verwandt, die nicht einem geometrischen
Schema, sondern nur einer „Rationalität" höherer
Ordnung sich erschließen.

Vielleicht wäre nichts dagegen einzuwenden, daß
in Köln der geometrische Städtebau seinen Platz
als historische Vor- und Ubergangsform und viel-
leicht auch als gedankliche Hilfskonstruktion findet.
Ästhetisch betrachtet kann er nur als eine Gattung
des dekorativen Formalismus gelten.

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