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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Rundschau
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RUNDSCHAU

DISKUSSION ÜBER DEN ZEILENBAU

In der Behandlung der Doppelgeschoßwohnung in dem Aufsatz von Otto Haesler, den wir an die Spitze
dieses Heftes gestellt haben, treffen wir zwei wichtige aktuelle Bauprobleme, die in der letzten Zeit in
unserer Zeitschrift aufgeworfen worden sind: die Frage des Hochhauses und die Frage des Zeilenbaues.
Im folgenden geben wir noch eine Reihe von Äußerungen zum Thema des Zeilenbaues wieder.

Die Schriftleitung

Städtebau und Siedlungswesen

Alfred Fischer, Karlsruhe

In den beiden Aufsätzen von Behne und De Fries
ist, zum Teil unter Verweisung auf die Dammerstock-
siedlung, die ungemein wichtige Frage angeschnit-
ten, in welcher Form sich unser neues Siedlungs-
wesen der Problematik des Städtebaues einordnet.

Während nun in beiden Aufsätzen „Städtebau"
noch begrifflich als künstlerische Gestaltung und
großräumige, plastische Komposition gewertet wird,
möchte ich, als entgegengesetzten Exponenten, den
städtebaulichen Begriff Otto Haeslers bezeichnen.
Für Haesler entwickelt sich der Städtebau aus der
Keimzelle der Einzelwohnung heraus. Der Aufbau
geschieht von unten nach oben, nicht umgekehrt.

Es kann hier zur kurzen Erläuterung die städte-
bauliche Begriffsstellung des Mittelalters und der
Renaissance herangezogen werden. Wir wissen
heute, daß Städtebau schlechthin keine Erfindung
der Renaissance war, sondern eine in hoher Blüte
stehende Organisationskunst des Mittelalters. (Die
Betrachtung der klassischen Stadtbaukunst der
Antike kann hier außer acht bleiben.) Ich möchte
den fundamentalen Unterschied zwischen mittel-
alterlicher und Renaissance-Erscheinung folgender-
maßen fixieren:

Für das Mittelalter war Stadtbaukunst ein reines
Siedlungsproblem. In der mittelalterlichen Stadt
wurden große Wohnblöcke angelegt, die, an einigen
wenigen Durchgangs- und Verkehrsstraßen gelegen,
eine eigengesetzliche Funktion hatten. Diese Wohn-
blöcke waren zunächst lose und aufgelockert be-
baut, mit reichen Grünflächen durchsetzt und nur
dem Gesetz der allgemeinen Zweckmäßigkeit des
Einzelbaues unterworfen. Daß trotz oder gerade
bei dieser Auffassung einheitliche Straßenbilder ent-
standen, ist ein Beweis für die Homogenität der
mittelalterlichen Baukultur. Erst die Entwicklung
späterer Jahrhunderte bedingte durch sicherheits-
technische Maßnahmen eine Innenkolonisation
dieser großen Baublöcke, eine mehr oder weniger
wirtschaftliche Ausschlachtung, die zunächst durch-
aus nicht im Sinne der Städtegründungen gelegen
war. (Wir wissen heute, daß es nicht mehr angeht,
die mittelalterliche Stadt als gewachsen, im Gegen-
satz zu einer gegründeten zu behandeln.) Beispiele
für diese Entwicklung sind vor allem die altnieder-
ländischen Städte Franecker, Ostende, Amsterdam
u. a. m. (Man vergl. hierüber die genauen Untersuchun-
gen von Eberstadt.) Dem gegenüber steht der
Städtebau der Renaissance als rein plastisch räum-
liches Gestaltungsideal. Für die Renaissance waren
zunächst die räumliche Wirkung von Straßen und
Plätzen das Primäre. Die monumentale Haltung der

äußeren Fassade bestimmte eine grundrißliche An-
ordnung des Hauses, dessen Wesensart und Zweck-
bedürfnis in zweiter Linie kommen.

Die Entwicklung dieser Renaissanceideen stei-
gerte sich bis Versailles, ihre Tradition wirkt noch
heute nach. Als nach der Jahrhundertwende der
Städtebau einen großen Auftrieb bekam, konnte er
nur hier anknüpfen. (Vergl. Camillo Sitte.)

Als Voraussetzung für unsere heutige städtebau-
liche Betrachtung muß man eine Umgrenzung des
Siedlungsbegriffes versuchen. Das Siedlungswesen
ist heute eng verknüpft mit den sozialen Gedanken-
gängen unserer Zeit. Gerade die von De Fries am
Schlüsse seiner Arbeit erwähnte Feststellung über
das Wohnungselend der Großstädte zeigen ja aufs
neue, daß es zur brennendsten Aufgabe des neuen
Siedlungswesens gehört, Massenwohnungen zu
schaffen, die in gewissen Mindestforderungen den
wohntechnischen und wohnungshygienischen Bedin-
gungen genügen. Bei der Rücksichtnahme indessen
auf unsere privatkapitalistische Wirtschaftslage,
können diese Mindestforderungen rationell und in
ausreichender Masse nur in der größeren Siedlung
verwirklicht werden. Diese Großsiedlung aber wird
wieder ein Element modernen Städtebaus. Es würde
zu weit führen, auf alle anderen planschöpfenden
Elemente hinzuweisen, dagegen muß das Verkehrs-
problem gestreift werden.

Der Begriff Gartenstadt, Trabantensiedlung usw.
ist eng verbunden mit verkehrstechnischen Proble-
men, mit dem Wesen der Arbeitskonzentrierung, der
Dezentralisation verwaltungstechnischer Art usw.
Immerhin haben sich für solche Großsiedlungen ganz
bestimmte, reale Forderungen herausgebildet;
erstens muß sie schon im Interesse der Verbindung
von Haus und Garten eine möglichst verkehrsfreie
Insel bilden. Die Randstraßen werden Zubringe- und
Durchgangsverkehr aufnehmen. Diesen Randstraßen
wird man wenig Hausfront geben, um die Wohnungen
der Staubzone zu entziehen. Mit diesen wenigen An-
deutungen ist die Einkleidung der Großsiedlung als
städtebauliches Element in einem vorhandenen
Stadtkomplex gekennzeichnet. Die Großsiedlung
entwickelt sich aber aus sich heraus wieder durch
die Aggregierung der einzelnen Haustypen zu großen
zusammengebundenen Reihen. Hier spricht eine
strenge Forderung der Wirtschaftlichkeit ein vor-
läufig nicht zu umgehendes Muß. Wenn De Fries bei
seiner Siedlung mit einer Gesamtverzinsung von
5,5 v. H. rechnet, so ist dies ein sehr günstiger Einzel-
fall, der leider in den seltensten Fällen in Erschei-
nung treten kann und vom privatwirtschaftlichen
Standpunkt aus, bei unseren heutigen Geldverhält-
nissen, auch gar nicht gerechtfertigt ist. Wenn nun
in beiden Aufsätzen von einer fatalen Reißbrett-

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