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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Mumford, Lewis: Bourgeous culture and machine art
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0383

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ÜBERSETZUNG:

BÜRGERLICHE KULTUR UND MASCHINE

In den letzten zehn Jahren ist die Durchbildung Heute stehen die besten industriellen Formen in
der modernen industriellen Form mit Riesenschritten psychologischem Gegensatz zu den Prinzipien die-
vorwärtsgekommen. Die Erfolge beschränken sich ser Gesellschaft. Sie sind billig; sie sind allgemein;
nicht mehr auf Gegenstände wie Automobile und sie erfüllen ihren bestimmten Zweck; aber, um den
Aeroplane, die an und für sich Erzeugnisse neuer Geboten der Verschwendung zu genügen, müßte
Bedingungen und neuer Verhältnisse sind. Die mo- eine Gebrauchsform teuer aussehen, einzigartig er-
derne Form hat auch angefangen, die traditionellen scheinen und neben der mehr oder weniger ge-
Künste zu erobern und das Gefühl für die abstrakte glückten Erfüllung des eigentliches Zwecks, auch
Form (die in unserer Zeit zuerst in den Werken von der Eitelkeit und Selbstgefälligkeit des Eigentümers
Picasso, Bracque, Brancusi, Duchamps-Villon in dienen. Hier stehen wir vor einer wirklichen Schwie-
Europa, oder denen von Stieglitz, Benton und Storrs, rigkeit. Ungeachtet der herrschenden Politik eines
z. B. in den Vereinigten Staaten, zum Ausdruck ge- Landes ist die Maschine immer Kommunist: das
bracht worden ist) hat auch in das Gebiet der Archi- ganze gesellschaftliche Leben und der Ritus der
tektur und des Kunstgewerbes endgültig seinen Ein- Länder des westlichen Europa ist aber aufgebaut
zug gehalten. Unsere Porzellane, Glaswaren, Tep- auf finanziell unterschiedenen Schichten und Stu-
piche und Stühle fangen an, einen gemeinsamen fen. Das Ziel der Gebrauchskunst und des Kunst-
Geist zu verraten: sie haben die reinen Linien, den gewerbes der Vergangenheit ist es immer gewesen,
verfeinerten Sinn für das Geeignete und die herr- diese sozialen Unterschiede graziös zu dokumen-
lichen Proportionen, die immer in der Maschinen- tieren. Nebenher haben diese Künste öfters Form-
arbeit vorhanden sein müssen, denn ohne diese Schönheit erzielt, beiläufig mögen sie auch gewis-
Merkmale hat sie wenig Reize, mit denen sie das sen anderen Zwecken dienen: der Geist, der im
Auge oder den Sinn fesseln kann. großen ganzen diese Künste beseelte, war die Re-
ich glaube, man kann sagen, daß die Richtlinien Präsentation,
für die Formung des Maschinenerzeugnisses schon Die Maschine hat in diesen Zuständen Umwälzun-
feststehen: der Erfolg von irgendeinem Einzelent- gen hervorgerufen. Mit ihrer Hilfe haben wir jetzt
wurf beruht jetzt auf der Geschicklichkeit des eine Macht zur Verfügung, die jedem Mitglied der
Künstlers und seiner Eigenart: Die Tradition ist Gesellschaft ein gleiches Recht auf die wesent-
schon vorhanden. liehen Lebensgüter sichert. Die Ästhetik, die mit
Die Frage der Formung wird nicht endgültig in diesem Produktionssystem verbunden ist, unter-
dem Atelier und in der Fabrik gelöst. Es ist klar, scheidet sich naturgemäß von der Ästhetik, die für
daß der Sieg, den Wright, Gropius, Le Corbusier und das Zeitalter der Handarbeit passend war: wenn
Mies van der Rohe sich auf dem Gebiet der Archi- diese Ästhetik nicht formuliert und allgemein ange-
tektur errungen haben — ein Sieg, der das Ergebnis wendet wird, kann die Maschine nie rationellen und
der Arbeit von Hunderten von namenlosen Schöp- wirkungsvollen Zielen dienen. In diesem neuen Wirt-
fern der maschinellen Form darstellt — in der Ge- Schaftssystem gibt es noch Platz für die Eigenart,
Seilschaft noch nicht fest verankert ist. Moderne denn sie ist ein stetes Attribut der vollentwickelten
Gebrauchskunst ist auf dem Prinzip hervorragender Persönlichkeit; und ich bin weit davon entfernt,
Zweckmäßigkeit begründet. Leider beruht die bür- mit Mr. Buckminster Füller die Zeit zu begrüßen,
gerliche Kultur, die das Abendland beherrscht, wie in der seiner Meinung nach die ganze Welt in sei-
der amerikanische Volkswirtschaftler Thorsten nen standardisierten Häusern von Brooklyn bis Bom-
Veblen in seinem klassischen Werk „Theory of the bay nach einem genau übereinstimmenden Entwurf
Leisure Class" (Theorie der Rentier-Klasse) tref- gebaut, hausen wird. Ich glaube auch nicht, daß die
fend darstellt, auf dem Prinzip maßloser Vergeu- Standardisierung ohne eine beträchtliche Freiheit
dung. Das Endziel der Künste in dieser Gesellschaft der Wahl unter den Typen-Entwürfen ertragbar ist
ist im Grunde genommen nicht, dem Leben zu die- und ohne eine Beweglichkeit der Produktion, die
nen und es zu bereichern, sondern die Finanzlage das freie Schaffen von neuen Entwürfen zuläßt,
des Arbeitgebers zu befestigen. Dieses Ziel ist (Die kostspielige Standardisierung der Muster von
überall zu entdecken: im bescheidensten Arbeiter- Ford ist kein glückliches Beispiel, sondern eine War-
heim, wo Tüllgardinen angemacht werden, um „vor- nung.) Aber die Eigenart, die durch die maschinelle
nehm" zu wirken, wie in den großen Wohnungen der Form erreichbar ist, hat wirklich wenig mit gesell-
Park Avenue. Tatsächlich besteht nach der Mei- schaftlichem Status und dem finanziellen Erfolg zu
nung dieser Gesellschaft der Begriff ..Schönheit" tun. Um die Frage anders zu stellen: Welchen Platz
hauptsächlich darin, daß die Gegenstände auf den kann unsere beste und typischste Gebrauchskunst
ersten Blick Kostbarkeit und Luxus verraten müs- in der bürgerlichen Gesellschaft von heute ein-
sen. Das altmodische Heim ist eine Art Privat- nehmen?

museum gewesen; und eine der Hauptbeschäftigun- Antwort: Es gibt sehr wenig Platz. Ehe die mö-
gen der Hausfrau war es, Museumsdiener zu spie- derne industrielle Form jedes Lebensgebiet erobern
len. Wenn einem weniger bemittelten Mitglied unse- kann, müssen wir unsere Maßstäbe ändern und dem-
rer Gesellschaft solche ..Schönheit'' aus erster Hand entsprechend auch unsere Haltung. Der Gebrauchs-
recht erreichbar ist, dann verlangt es ein billigeres entwurf hat sich am schnellsten verbessert auf dem
Surrogat oder eine Imitation. In Amerika vertritt Gebiet der Hauswirtschaft, z. B. in der Küche, wo
gefärbtes Katzenfell den Hermelin; und degene- es auf praktische Anwendung ankommt, und auch
riertes Rokokomöbel, aus schlecht ausgetrockne- in der Konstruktion der billigen Arbeiterhäuser, wo
fem Holz fabriziert und mit der Maschine geschnitzt, in erster Linie Preiswürdigkeit eine Rolle spielt,
muß den Luxus der Renaissance vorspiegeln. gleichviel, ob der Arbeiter mit dieser Tatsache ein-

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