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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Hilberseimer, Ludwig: Neue Literatur über Städtebau
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Schwab, Alexander: Typen der Theorie des Städtebaus
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0607

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ten bestimmte künstlerische Formenabsichten zu-
grunde liegen. Er hält es für eine „theoretische Kon-
struktion", in organisch entwickelten Stadtanlagen
„auch nur im geringsten eine bewußt raumbildende
Kraft oder künstlerische Absichten erkennen zu
wollen". Er verkennt hierbei, daß organisch ent-
wickelte und tektonisch gegründete Städte ja nur
Typen sind, die sowohl künstlerisch gestaltet als
auch einfach schematisch durchgeführt sein können.
Typen allein sind noch keine Kunstwerke. Die Ele-
mente der Stadt, Gelände und Gebäude, sind nur
das Material des Städtebaus, dessen Verbindung
mit einem bestimmten System noch nicht die Ent-
stehung eines Kunstwerkes verbürgt. Auch im
Städtebau kommt es, wie auf allen anderen Kunst-
gebieten, auf die Verwirklichung einer bestimmten
Formenabsicht an, die Durchsetzung eines bestimm-
ten Gestaltungswillens. Außerdem spielen bei dem
Werden der Städte bestimmte gesellschaftliche Zu-
stände eine wesentliche Rolle, die auch das gleich-
zeitige Nebeneinander sowohl von organisch entwik-
kelten als auch tektonisch gegründeten Städten so-
wohl bei den Griechen und Römern als auch in der
Gotik erklären. Im Gegensatz zu den nach und nach
entwickelten Heimatstädten hat man es bei den

tektonisch gegründeten Städten mit Kolonialstäd-
ten zu tun, deren Anlage durch militärische und
kolonisatorische Absichten bestimmt wurde und bei
denen die geometrische Form nicht formale Eigen-
tümlichkeit, sondern insofern zweckbestimmt war.
als sie es ermöglichte, ein Stadtterrain schnell, in
primitiver Ordnung und übersichtlich zu bebauen.2)
Die ursprünglich zweckbestimmte Geometrie der
Stadtanlage wird freilich bei den ästhetischen Ab-
sichten des Barock so sehr Selbstzweck, daß der
Gebrauchszweck der Stadt darunter leidet, die
künstlerische Absicht zum Künstlichen wird,

Von einer Nutzanwendung auf den Städtebau
unserer Zeit sieht Zucker bewußt ab. Die Voraus-
setzungen für den Städtebau von heute sind absolut
andere wie die der Vergangenheit. Die Versuche
von Camillo Sitte und später von Ostendorf zeigen
die Unmöglichkeit solcher historischen Orientierung.
Die heutige Stadt unterliegt anderen Bildungsge-
setzen, und ihre ..Schönheit" beruht auf völlig ande-
ren Elementen, die jede Vergleichsmöglichkeit mit
den Städten der Vergangenheit ausschließen.

-) s. Hilberseimer, ,,Entwicklungstendenzen des Städtebaus" in „Die
Form" 1929, S. 209.

TYPEN DER THEORIE DES STÄDTEBAUS

ALEXANDER SCHWAB

Die Natur der Dinge bringt es mit sich, daß im
Städtebau die Theorie einen weit breiteren Raum
einnimmtals in den anderen Bezirken des Bauwesens.
Die Erstellung des greifbaren Objekts bildet hier
den Schnittpunkt umfangreicher Bedingungsreihen,
verantwortungsvoller Entschlüsse, fortwirkender
neuer Ursachen und erheblicher materieller Aufwen-
dungen, so daß jeder einzelne Fall begreiflicher-
weise von ausgiebigen Erörterungen umrahmt ist.

Formtypen der theoretischen Grundeinstellung im
Städtebau sind es, die im folgenden angedeutet
werden sollen, ohne dogmatischen Anspruch, doch
in der Hoffnung, damit die Diskussion über den
gegenwärtigen Stand hinauszuführen.

Der Zeitpunkt dürfte für einen solchen Versuch
nicht ungünstig sein. Nicht nur deshalb, weil die an-
dauernde wirtschaftliche Krise den Praktikern keine
großen Sprünge erlaubt und damit ohnehin eine
gedankliche Selbstbesinnung nahelegt. Vielmehr
auch aus dem viel wesentlicheren Grunde, weil in
den fachlich beteiligten Kreisen häufig das Gefühl
anzutreffen ist, es sei eben jetzt der Vorstellungs-
und Gedankenschatz einer herrschenden Richtung
ausgeschöpft, ohne daß die vielen Anregungen neuer
Kräfte zu einer ausreichenden Zusammenfassung
und Darstellung gediehen wären. Praktische Vor-
kommnisse von internationaler Bedeutung haben in
jüngster Zeit dieses Gefühl noch verstärkt. —

Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: drei
Grundtypen des städtebaulichen Denkens könnte
man — bei Vernachlässigung aller feineren Unter-
schiede — aufstellen, nämlich den ästheti-
schen, den analytisch-synthetischen
und den organischen Typ. Die reinen Typen
existieren zwar, wie in aller Typenlehre, in der Reali-
tät kaum; dennoch ist hier ein Ordnungsprinzip ge-
geben, das zur weiteren Orientierung dienen kann. —

Es bleibt eine der merkwürdigsten Erscheinungen
der europäischen Geistesgeschichte um die Wende
des 20. Jahrhunderts, wie plötzlich in England,
Deutschland, Österreich sich das ästhetische Ge-
wissen regte. Der Ausdruck enthält eine innere
Paradoxie, deren Verständnis ihm erst seine volle
Bedeutung gibt: was sich regte, war das Gewissen
im eigentlichen Sinne, also das soziale Gewissen,
das gesellschaftliche oder moralische oder wie man
sonst will, aber es war gestachelt vom ästhetischen
Mißbehagen. Das Bürgertum „sähe an alles, was es
gemacht hatte" und siehe, es war alles häßlich. Da
erhob sich der Ruf nach echtem Material, nach
Handarbeit, nach neuer Schönheit in Leuchtern und
Bucheinbänden, in Tapeten und Möbeln, in Häu-
sern und Städten, und zugleich der Ruf nach Erhal-
tung der alten Schönheiten, die von Eisenbahn und
Fabrik, von Warenhaus und Plakat zerstört zu wer-
den drohten.

Das deutlichste Phänomen dieser Bewegung war
zweifellos Friedrich Naumann, der vom Sozialen
(und letzten Endes vom Religiösen) herkam, nicht
vom Ästhetischen. Ein Bewußtsein von dieser Kom-
bination des ästhetischen und des sozial-morali-
schen Motivs war nun zwar bei dem Verfasser des
Buches, das die Epoche des ästhetischen Typs im
Städtebau einleitete, kaum vorhanden: Camillo
Sittes „Städtebau nach künstlerischen Grund-
sätzen" enthält nur selten eine Wendung, die darauf
schließen läßt, der Verfasser habe nebenbei auch
an die Menschen gedacht, die in den Städten woh-
nen, und von Arbeiterwohnungen ist darin überhaupt
nirgends die Rede.

Dennoch mündet dieses Buch, das 1889 erschien
und als Sensation aufgenommen wurde, in seinen
Nachwirkungen ein in den breiten Strom jener ästhe-
tisch-sozialen Bewegung, die etwa im ersten Jahr-

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