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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Tillich, Paul: Kult und Form: Vortrag gehalten bei der Eröffnung der Ausstellung des Kunst-Dienstes in Berlin am 10. November 1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0674

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Leitsätze des Kunst-Dienstes zur Ausstellung „Kult und Form" Foto: Curt Rehbein, Berlin

Directives du Service artistique, adoptees pour l'Expcsition „Kult und Form"
Provisions of the Art Service at the exhibition „Art and Form1'

KULT UND FORM

Vortrag, gehalten bei der Eröffnung der Ausstellung des Kunst-Dienstes in Berlin am 10. November 1930
Von Professor D. Dr. Tillich, Frankfurt/Main

I. Grundsätzliches.

Religion ist unbedingtes, unausweichliches
Ergriffensein von dem, was unseres Daseins
tragender Grund und verzehrender Abgrund ist.
Religion ist erschütterndes und umwandelndes
Hervorbrechen dessen, was mehr ist als unser
Sein und was darum allein imstande ist, unserem
Sein Tiefe, Ernst, Gewicht und Sinn zu geben.

Alles Handeln aus reinem Ergriffensein ist
Kultus, wie alles Denken aus reinem Ergriffen-
sein Mythos ist; und eins ist nicht ohne das
andere.

Kultische Formen sind alle Formen, in denen
reines Ergriffensein menschliches Gestalten be-
stimmt hat, in denen Dinge und Handlungen so
geformt sind, daß durch sie hindurch etwas von
dem fordernden, tragenden und verzehrenden

Grund des Seins hindurchschwingt. Kultische
Formen sind solche, in denen Mythos sich Aus-
druck verschafft hat.

Weil aber das, was allem Sein Ernst und Tiefe
gibt, nicht eines neben anderem ist, sondern für
alles gilt, so sind auch die kultischen Formen
nicht Formen neben anderen, wie mythisches
Denken nicht Denken neben anderem Denken
ist. Sondern alles Handeln steht unter dem An-
spruch, kultisch zu sein, wie alles Denken unter
dem Anspruch steht, mythisch zu sein. Oder in
religiöser Sprache: Das ganze Dasein soll
Gottesdienst und jeder Gedanke ein Gedanke
vor Gott sein. Ein Gott, der daneben steht, der
auf ein Sondergebiet des Kultischen beschränkt
ist, ist kein Gott, sondern ein Dämon, den man
gut tut, durch Versagen des Opfers auszuhun-

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