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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Tillich, Paul: Kult und Form: Vortrag gehalten bei der Eröffnung der Ausstellung des Kunst-Dienstes in Berlin am 10. November 1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0677

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form abzulehnen, die neben unserem Alltag, un- Möglichkeit zur Wiederbelebung des Vergange-
serer Arbeit, unserer Ruhe, unserem Wohnen nen zu benutzen. Ob in Glasfenstern oder Kruzi-
und unserem Wandern, unserer Wirtschaft und fixen, ob in Fresken oder Altarbildern: es ist Ver-
unserer Politik, unserem Erkennen und unserem rat an unserer Gegenwart. Und wenn es auch
Schauen steht. Kein heiliger Bezirk! Sondern einen Augenblick lang ergreift, wie alles ergreift,
Erschütterung und Wandlung jedes Bezirkes, was aus eigener Vergangenheit wieder auf-
das ist die erste Forderung jeder Gestaltung. taucht: es folgt die Enttäuschung; denn nicht
Sie darf nur ein Pathos haben, das Pathos der unser Wesen ist es, das dort zur Gestalt ge-
Profanität. Und das ist die Aufhebung jedes bracht ist, und es bleibt vielleicht das Schlimmste
falschen Pathos, jedes Pathos, das Flucht vor übrig, was kultische Gestaltung treffen kann:
dem Alltag ist. Eine ästhetische Impression. Man sei hier aufs
Die zweite Forderung an kultische Gestaltung äußerste empfindlich! Man schweige lieber zu
ist Gegenwärtigkeit. Nicht jeder Alltag ist es, lange, als daß man zu früh rede. Vielleicht sind
der kultisch geschaut und kultisch gestaltet wer- nur noch wenige Inhalte des vergangenen Kultus
den soll, sondern unser Alltag. Hier liegen die und Mythos uns ganz zugänglich. Dann bekenne
schwersten Belastungen kultischer Gestaltung, man unsere Armut und versuche nicht, sie mit
hier die Notwendigkeit schärfsten Kampfes ge- dem Reichtum der Vergangenheit aufzuputzen,
gen das meiste von dem, was heute geschieht, Man habe den Mut, sich mit dem zu begnügen,
wovon auch diese Ausstellung zeugt. Wohl gibt was wir haben: Licht, Farbe, Material, Raum,
es übergreifende Elemente, die dem mensch- Proportionen: und zu verzichten auf die von der
liehen Alltag aller Zeiten gemeinsam sind, wohl Legende geformten Inhalte, sei es das Christus-
gibt es echte Tradition, solche, die uns trägt und bild, seien es Apostel und Propheten, seien es
ohne die unsere Gegenwart nicht d i e s e Gegen- Mythen und Geschichten. Vielleicht können wir
wart wäre. Und solche echte Tradition kommt wieder einmal davon reden, aber sicher erst,
durch sich selbst in jeder Gegenwartsgestal- nachdem wir lange und ehrlich davon geschwie-
tung zum Ausdruck. Aber es gibt auch ein Er- gen haben. Vieles, sehr vieles auch dieser Aus^
innern an Dinge, die nicht mehr echte Tradition Stellung, zerfällt vor dem Maßstab der Gegen-
sind; und dieses Erinnernkönnen, diese gestei- wärtigkeit.

gerte Fähigkeit des Sich-Einfühlens war und ist Und endlich die Forderung der Wirklichkeit,
das wahre Verhängnis kultischen Gestaltens. Es gibt einen schlechten Wirklichkeitsbegriff,
Wenn uns heut expressionistische Formen die der Wirklichkeit mit technischer und Wirtschaft-
Möglichkeit geben, uns in byzantinisch-romani- licher Nutzbarkeit verwechselt. Die Wirklichkeit
sehe Formen der christlichen Vergangenheit ein- aber einer Sache ist ihr eigener, sie tragender
zufühlen, so ergibt sich daraus kein Recht, diese Sinn. Und der liegt bei jeder Sache tiefer als

Jüdisches Kultgerät. SederschUssel und
Sabbatleuchter. Hersteller , Fabricant
Made by: Ludwig Wolpert, Frankfurt a. M.

Accessoires du culte israelite. Plat pour pains
azymes et chandelier du Sabbat

Jewish Ceremonial Vessels. Dish for the Seder
feast and Sabbath cande'stick

Foto: Curt Rehbein, Berlin

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