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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

DOI Artikel:
Tillich, Paul: Kult und Form: Vortrag gehalten bei der Eröffnung der Ausstellung des Kunst-Dienstes in Berlin am 10. November 1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0678

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Opferbüchse, Messing vernickelt. Werkstätte für kirchliche
Kunst im Rauhen Haus, Hamburg. Leitung: Bernhard Hopp

Tronc pour offrandes, en laiton nickele. Ateliers d'art religieux
du „Rauhes Haus", Hambourg, directeur: Bernhard Hopp

Offertory box in nickelled brass from the Workshop for ecclesias-
tical art in the Rauhen Haus, Hamburg under the directorship of
Bernhard Hopp

ihr technischer Gebrauch und ihr wirtschaftlicher
Nutzen. Jedes Ding hat eine eigene Mächtigkeit,
eine Ausstrahlung, eine Realitätsfülle. Aber frei-
lich: Das ist kein Freibrief für romantisches Auf-
blasen und dekoratives Verunstalten der Dinge.
Denn es gilt: Die Mächtigkeit der Dinge ist ihre
Sachlichkeit, und dieser Maßstab ist mit größter
Strenge gerade da anzulegen, wo es sich um kul-
tische Gestaltung handelt, also um Gestaltung
aus der wahren und letzten Sachmächtigkeit. —
Wer kultisch gestaltet, sollte wissen, daß ein
Kreuz keine Gelegenheit zu dekorativen Studien
ist, daß ein Kelch ein Trinkgefäß ist, dessen Sinn
und Macht dieser sein Gebrauch ist, daß wir
nicht mehr wie vergangene Zeiten die Macht der
Schrift in ihrer magischen Ausstrahlung sehen,
sondern in ihrer Klarheit, ihrer inneren Angemes-
senheit an das, was sie ausdrückt, ihrer Fähig-
keit, Gedanken zu vermitteln. Daß wir darum
Schrift als Dekoration vermeiden müssen. Er
sollte wissen, daß die technischen Formen einer
Orgel uns heut mehr von der Mächtigkeit ihres
tönenden Lebens vermitteln als eine verhüllende
Fassade, deren Elemente ein Gemisch aus Er-
innerung und Willkür sind. Und er sollte wissen,
daß eine Kirche ein Raum ist, in dem eine Ge-
meinschaft von Menschen sich unter das Wort

und die Handlung stellt, die den Sinn ihres
heutigen, also technisierten, ökonomisierten Da-
seins ausspricht, und daß kein Stil der Vergan-
genheit und kein Anklang an diese Stile dem in
Wahrheit gerecht werden kann; daß der ein-
fache, durch ehrliche Sachlichkeit mächtige
Raum vielleicht im Hinterhaus einer Großstadt-
straße gerade unser Kirchenraum sein könnte.

Was der Kunst-Dienst durch Beispiel und Ge-
genbeispiel zeigen will, ist enthalten in diesen
drei Forderungen: Alltag, Gegenwart, Wirklich-
keit. Sie sind Ausdruck der einen Forderung:
Wahrheit. Es ist wie ein Gericht über die Reli-
gion, daß sie, die Zeuge der Wahrheit schlecht-
hin sein soll, ständig beschämt wird durch die
Wahrhaftigkeit derer, die draußenstehen, die
ihrem Kultus und Mythos fernbleiben. Und die
um der eigenen Wahrhaftigkeit willen fernbleiben
müssen, solange kultische Gestaltung nicht Ge-
staltung aus Wahrheit und Wirklichkeit gewor-
den ist. Es ist bezeichnend und beschämend
zugleich für unsere religiöse Lage, daß in dieser
Ausstellung allein ganz durchschlagend die pro-
fanen Geräte sind, die ausdrücklich sich als
nichtkultisch geben. Eine einfache Schale be-

Glaskelch, Rubinüberfang. Ursprünglich für profane Zwecke
gefertigt, entspricht aber vollkommen den kultischen An-
forderungen. Glaswerkstätte Zwiesel

Calice en verre, placage couieur rubis. Originairement destine ä
des buts profanes, mais qui correspond entierement aux exigences
du culte. Ateliers de Verreries de Zwiesel

Glass goblet with ruby glaze. Originally intended for secular
uses but fitted in every way for ecclesiastical use. From the glass
Workshops in Zwiesel

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