Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

DOI Artikel:
Rückert, Otto: Raum und Farbe
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0693

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
nung, als seien lediglich die weißen Anstriche im
Raum die letzte Erfüllung des gegenwärtigen raum-
malerischen Ideals. Daß aber diese einseitige Mei-
nung, die obendrein von einem Maler niedergelegt
wurde, als Sturmbock gegen den Werkbund als sol-
chen gerichtet wurde, entspringt ebenfalls einer ein-
seitigen Tendenz — der Verteidigung jener Dekora-
tionsmalerei, die ihre Endleistung in der kunst-
gewerblichen Schmuckmalerei sah. Vielfach ent-
springt die Klage über die entschwundene Pracht
der Dekorationsmalerei älterer Ordnung sentimen-
talen Erwägungen, die sich aus der völlig falschen
Einstellung des einzelnen gegenüber dem Bauwerk
und gegenüber den Geschehen, die die gegenwärtige
Formung des Bauwerkes bedingen, ergeben. Äußer-
lich wird diese sich immer wiederholende Klage mit
wirtschaftlichen Dingen begründet, obwohl gerade
in jenen Zeiten, in denen Schmuckmalereien gefer-
tigt wurden, jeder Malermeister restlos zugab, daß
mit dem „großen Pinsel", der Anstreichbürste, mehr
verdient sei als mit dem „kleinen Pinsel".

Die Klage um die „Schönheit des früheren Schaf-
fens", die Apologie des Schnörkels und der Imitation
gilt in Wirklichkeit dem zusammengeschrumpften
Arbeitsvolumen des Malerhandwerks, das (und das
muß restlos zugegeben werden) schwer um seinen
wirtschaftlichen Bestand zu kämpfen hat. Bei nüch-
terner Betrachtung des Gesamtkomplexes der deut-
schen Bauwirtschaft muß man gerade als Hand-
werkerführer zugeben, daß die Möglichkeiten, an Ar-
beit und damit an Verdienst heranzukommen, auch
für alle anderen mit Form befaßten Gewerbe und
nicht zuletzt für die Baukünstler immer geringer
werden. Bauen heißt übrigens heute mehr denn je
wirtschaftlich denken und handeln, und es ist ge-
radezu grotesk, wenn seitens einzelner Handwerker
die rückläufige Bewegung des Erwerbslebens der
Abkehr von Schnörkel und Imitation zugesprochen
wird. Gewiß hat zum Beispiel der Drechsler allen
Grund, über die „Schmucklosigkeit" der Gegenwart
zu klagen, gewiß wird dieser oder jener Handwerks-
zweig aus dem Kreise der Produktion verschwinden.
Aber diese Erscheinung gehorcht dem uralten
Schicksalsgesetze der Menschheit, wonach ein Be-
rufszweig in dem Augenblicke verschwindet, in dem
er seinen Mann nicht mehr ernährt. Uber die Um-
stände und Gründe, die eine völlige Veränderung
unseres Daseins und damit unserer Arbeit und unse-
res Wohnens herbeiführten, werden immer wieder
spitzfindige und theoretisch-gewichtige Untersuchun-
gen und Debatten geführt. Aber alle diese zeitrau-
benden Erörterungen und alles Abwägen für und
wider die Gegenwart und ihre Geschehnisse sind
im Grunde genommen für den arbeitenden Menschen
überflüssig und verwirrend. Der Einzelmensch sowohl
als auch ein gesamter Erwerbszweig ist bekannt-
lich machtlos gegenüber den Gewalten, die sich aus
der völligen Veränderung der Arbeitsverfahren und
der allgemein gültigen, aus dem zwingenden Be-
dürfnis gewordenen Arbeitsmöglichkeiten ergeben.
Anstatt nun über vergangene Zeiten zu klagen und
sich in sentimentalen Erinnerungen zu ergehen, ist es
doch die Aufgabe eines Handwerks, der Gegenwart
gerecht zu werden.

Das bedeutet soviel, daß ein Handwerk in seiner
Gesamtheit bereit sein muß, die gegenwärtigen Ar-
beitsverfahren nach Maßgabe ihrer Rentabilität in

seine Dienste zu stellen, und daß es weiterhin bereit
ist, den Anforderungen, die von außen her an das
Handwerk herangetragen werden, mit zeitgemäßen
Mitteln entgegenzukommen. Es hat weiterhin die Auf-
gabe, neue Arbeitsmethoden, die einerseits die Qua-
lität der Arbeit nicht beeinträchtigen und anderer-
seits die Verbilügung der Leistung rechtfertigen, auf-
zusuchen und diese in den Dienst des Kunden zu
stellen. Wir haben allerdings heute noch ganz
anders gelagerte Verhältnisse! Die Verbilügung der
zu leistenden Arbeit geschieht fast immer auf Kosten
der Qualität und daß angesichts dieser Erscheinung
ernsthafte und wohlgesinnte Handwerkerführer die-
sen Zustand, dem durch das leidige Submissions-
wesen obendrein Vorschub geleistet wird, bekämp-
fen, ist im Grunde genommen die Erfüllung einer
sittlichen Pflicht am Handwerk.

Ob nun das in dem Artikel „Weiß alles Weiß" ais
letzte Möglichkeit angepriesene Spritzverfahren tat-
sächlich einen wesentlichen Fortschritt gegenüber
dem alten Verfahren der Handarbeit bedeutet, kann
nicht durch eine theoretische Erklärung erhärtet
werden. Vielmehr ist die Anwendung der Spritz-
technik bei der Erstellung von Anstrichen der ver-
schiedensten raumbegrenzenden Teile eine Angele-
genheit, die von Fall zu Fall entschieden werden
muß. Inwiefern die Rentabilität des Spritzverfah-
rens eine größere ist als die der Handarbeit, kann
ebenfalls nur von Fall zu Fall, also unter Berück-
sichtigung der verschiedensten Gegebenheiten (glat-
tes oder stark profiliertes und verziertes Mauer-
werk der Fassade, Größe der Objekte, Transport-
möglichkeiten der Apparatur usw.) festgestellt wer-
den. Gewarnt sei auch an dieser exponierten Stelle
vor jenen Malerbetrieben, die das Spritzverfahren
bei der Abgabe von Preisen rein äußerlich in den
Dienst der größtmöglichen Unterbietung der Kon-
kurrenten stellen. Arbeiten, die mit Hilfe des Spritz-
verfahrens erstellt werden, können ebenso wenig
verschenkt werden wie solche, die auf die konser-
vativen Verfahren zurückgehen. Die Fälle, von denen
vorstehend gesprochen wurde, stehen nicht verein-
zelt da und sind immer wieder eine Quelle von Kon-
flikten zwischen Bauherrschaft und Malermeister.

Während aber die Anwendung der Spritzverfah-
ren, die übrigens als eine handwerkliche und nicht
als eine mechanische Arbeit gewertet werden müs-
sen, eine technische Angelegenheit des Malerhand-
werks ist, geht die Erstellung farbiger Anstriche
im Raum auf die besonderen Vorstellungen von den
sinnlichen Werten einer Farberscheinung im Räume
zurück.

Daß nun die Menschen unserer Zeit helle und zum
Teil weiße Räume dunklen Räumen vorziehen, ist
weniger auf die Wünsche und besonderen Vorstel-
lungen des einzelnen als auf die Tatsache, daß wir
es auch in diesem Falle mit allgemeinen Schätzun-
gen zu tun haben, zurückzuführen. Jede Zeit bevor-
zugt vor der anderen bestimmte Farbwerte und die
Behauptung, daß man das Gesicht einer Kunstrich-
tung bereits an der Farbgebung ohne weiteres er-
kennen könne, ist nicht von der Hand zu weisen.

Aus der Tatsache heraus, daß die Menschen in
Gemeinschaften leben, schon aus dem Grunde, weil
sie aufeinander angewiesen sind, entstehen ganz
festumrissene kollektivistische Erkenntnis-, Schät-
zungs- und Lebenszellen. Auch die Mode, an sich

597
 
Annotationen