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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

DOI Artikel:
Riezler, Walter: Werkbundkrisis?
DOI Artikel:
Schmidt, Walther: Um die Herkunft der Form
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0015

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stammt vom „Geiste" oder der ,,Seele", jeden-
falls aus der gleichen geheimnisvollen Quelle,
aus der auch die Freude des die „Schönheit"
einer Form — auch einer technischen — genie-
ßenden Menschen stammt. Nur solange diese
Quelle noch strömt, hat das Wort von der
„menschlichen Kultur" einen Sinn. Denn deren
Inhalt und Ziel ist ja, nach dem schönen Worte
Mies van der Rohes in Wien, allein, „daß sie dem
Geiste die Voraussetzung, die Existenzmöglich-
keit bietet".

Damit ist das Ziel der Werkbundarbeit und
ebenso auch der Werkbundzeitschrift klar um-
schrieben. Wir sind bestrebt, die „Form" noch
konsequenter als bisher in den Dienst der leiten-
den Ideen zu stellen, aber dabei die bisher einge-
haltene Richtung nicht zu verlassen. Das erste
Heft des neuen Jahrgangs mag das bereits zei-
gen. Zu der grundsätzlichen Frage, die seit der
Wiener Tagung nicht mehr verstummen will,
geben wir neben Ginsburgers sehr kluger Ver-
teidigung des reinen Zweckstandpunktes auch
der entgegengesetzten Auffassung Raum. Daß
diese mit größter Schärfe von einem Manne ver-
treten wird, dem als Mitarbeiter Vorhoelzers mit
das Verdienst gebührt, Bayerns Hauptstadt für
die moderne Baukunst erobert zu haben, gibt den
Worten besonderes Gewicht. Der Neubau der
sozialen Frauenschule in Aachen ist wichtig nicht
nur als besonders klare und überlegte bauliche
Leistung, sondern auch als Beweis, daß es auch
mit den Mitteln der neuen Gestaltung möglich ist,
den seelischen Gehalt einer neuen Aufgabe bau-
lich auszudrücken. Die Bilder aus Japan zeigen,
wie auch dort das neue Bauen. Boden gewinnt,

und zwar offenbar nicht aus einer einfachen
Nachahmung Europas heraus (wie es bei der
Übernahme der Renaissanceformen durch Ost-
asien der Fall war), sondern, weil auch dort eine
neue Lebensform im Entstehen ist, für die die
wahrhaft „übernationalen" (wenn auch regional
sich in Nuancen unterscheidenden) Formen der
neuen Baukunst der natürliche Ausdruck sind.
Die übrigen Bilder des Heftes gewähren wieder
einmal einen Blick in die immer wieder über-
raschende Welt der „technischen Form'" und
weisen im Vorbeigehen auch auf das sehr merk-
würdige Buch eines Fotografen hin. der „Köpfe
des Alltags" zeigt, höchst ausdrucksvolle Ge-
sichter nicht von Vertretern einer „Rasse" oder
eines festgefügten „Standes", sondern ano-
nyme Existenzen der Großstadt, deren Züge
durch Abenteuer und Unglück geprägt sind, —
auch ein Buch, das zur Besinnung auf Tatsachen
und Mächte der ..Gegenwart", in der vielleicht
eine neue Menschheit wird, auffordert.

Dem werdenden Neuen wollen wir dienen, wie
ihm der Werkbund von Anfang an gedient hat.
Nicht, weil der Werkbund von seinem Wege ab-
gewichen ist, hat die Werkbundarbeit heute einen
anderen Inhalt, sondern, weil das Antlitz der Zeit
in diesen fast 25 Jahren ein anderes geworden
ist. Auch heute gibt es. wie zu allen Zeiten, auch
ein Altes, das noch lebendig ist. Aber weniger als
je ist es Sache des Werkbunds, das Alte zu pfle-
gen. Denn das Morgen ruft mit immer größerer
Gewalt, und ihm zuliebe muß der Werkbund auch
den Mut zur „Einseitigkeit" haben. Dann wird er
jede Krisis, so bedrohlich sie auch aussehen
mag, aus eigener Kraft überwinden.

UM DIE HERKUNFT DER FORM

WA LT HER SCHMIDT

Kunsttheorien stehen und fallen mit ihrer Wirk-
samkeit. Eine Theorie entsteht meist dann, wenn
sich ein neuer Impuls in einigen wegweisenden Wer-
ken manifestiert hat. Sie ist der Versuch, das
Wesentliche dieses Neuen in Worten auszudrücken
und es auf dem Weg über den Intellekt in den Zeit-
genossen wirksam zu machen. Sie ist ein Mittel, die
Wirkung der neuen Werke zu unterstützen, und das,
was unausgesprochen geahnt wird, zu klarer Wirk-
lichkeit auszubreiten. Ihre Aufgabe zieht ihr Schick-
sal nach sich: Die Sätze der Theorie sind unbedingt
und geradeaus gerichtet, die lebendige Entwicklung
verläuft in Kurven. Deshalb haben Theorien den ge-
schichtlichen Augenblick ihrer Wirksamkeit; früher
oder später beginnen Theorie und Leben zu diver-
gieren, die Wirksamkeit der Theorie erlischt. Die

vom Leben verlassene Theorie ist nun eine Sache
für sich, sie ist zur ..grauen Theorie" erstarrt. Wenn
sie mit Zähigkeit weiter behauptet wird, so stemmt
sie sich dem Leben entgegen, wird der Feind des
Lebens. Ein weites Trümmerfeld verblichener Theo-
rien liegt hinter uns. Diejenigen von ihnen, die ge-
eignet sind, uns in dem Augenblick, in dem wir selber
stehen, anzusprechen und zu helfen, halten wir für
richtig, die anderen für falsch. Nur sehr wenige
Theorien sind von solcher Weite, daß sie uns in
einem allgemeinen Sinne richtig oder wahr erschei-
nen. Die anderen sind so lange ..richtig", wie sie
wirksam sind, und diese Wirksamkeit ist unabhängig
von ihrer „Richtigkeit": zu den köstlichsten Werken
der Vergangenheit gehören oft die krausesten Theo-
rien.

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