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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

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Schmidt, Walther: Gewerbeerziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0145

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siert in anderen Industrien als Modellschreiner usw. Wir
sehen ihn schließlich in einer besonderen Abart der Möbel-
industrie: den Betrieben zur Erzeugung von Stilmöbeln
und „Antiquitäten".

Fragen wir nun nach der Lebensfähigkeit der kleinen
und mittleren Betriebe, so antwortet uns die Tatsache,
daß nach dem früheren Aufschwung der Möbelindustrien
sich in den letzten Jahren die kleineren Betriebe mehr und
mehr als durchaus lebensfähig erwiesen haben. Diese
Betriebe verwenden alle die Maschinen, die für sie wirt-
schaftlich sind, genau wie sonst Handwerkzeuge — wie
überhaupt zwischen Werkzeug und Maschine nur ein
gradmäßiger Unterschied besteht —, und erreichen so
Preise, die durch die Industrie nur bei Anfertigung großer
Massen wesentlich unterboten werden können. Diese
Massenerzeugnisse werden jedoch durch die Einschie-
bung des unvermeidlichen Zwischenhandels wiederum so
weit verteuert, daß der kleinere Betrieb, der ja meistens
unmittelbar den Weg zum Verbraucher findet, wettbe-
werbsfähig bleibt. Dazu kommt die höhere Anpassungs-
fähigkeit des kleineren Betriebes an eine wirtschaftliche
Baisse durch Unkostensenkung. Und schließlich ist der
mittlere und kleine Betrieb ohne Schwierigkeit in der Lage,
individuellen Wünschen des Verbrauchers nachzugehen,
der hier meist nicht als nachträglicher Käufer, sondern als
Auftraggeber auftritt und damit von der Verbraucher-
seite her schon die Qualität fordert, die der Handwerker
aus seiner menschlichen Einstellung zu seinem Erzeugnis
bietet. Gerade das Bedürfnis des Auftraggebers, indivi-
duelle Wünsche erfüllt zu sehen, gewährleistet die
Lebensfähigkeit dieser kleinen Betriebe auch für die Zu-
kunft. Denn welche Fortschritte auch die Typisierung
machen mag, bei Fragen der Inneneinrichtung werden
Sonderwünsche, die sich aus den örtlichen, baulichen
Verhältnissen und aus besonderen Bedürfnissen ergeben,
immer ihre Geltung besitzen. Man mag sich auf zehn
Typen von Waschbecken einigen, aber noch nicht auf die
zehnfache Zahl von Ladeneinrichtungen.

Erscheint uns so der mittlere und kleine Betrieb auch für
die Zukunft lebensfähig, so ist es wohl keine Frage mehr,
daß hier der Typ von Schreiner zu finden ist, nach dem
hin unsere Lehrlinge gebildet werden sollen. Denn der
Schreiner in solchen Betrieben besitzt die größte Vielsei-
tigkeit in der Kenntnis und Behandlung des Holzes, in der
Beherrschung handwerklicher Techniken, im Einsatz der
Maschinen; er sieht alle Einzelvorgänge zusammen und
ordnet sie planmäßig; ist er Meister, so liegt auch Kalku-
lation und wirtschaftliche Betriebsführung in seiner Hand,
— kurz: er steht in einem universellen Verhältnis zu sei-
nem Erzeugnis, das für ihn ein sinnvolles Ganzes in einem
sinnvollen Bezug zur Umwelt ist. Aus diesem Typ von
Schreiner ist jeder andere Typ durch Spezialisierung ent-
standen; er übt dauernd eine Teiltätigkeit in der Ge-
samtleistung aus, die von jenem verlangt wird. Wenn
aber Erziehung fruchtbar sein soll, so muß sie zur Univer-
salität erziehen, gerade in einer Zeit, in der Spezialisie-
rung Schicksal ist. Der Mann, der später als Glied einer
Arbeitskette an irgendeiner engen Stelle steht, soll ein
Wissen um das Ganze behalten. Das ist in gleicherweise
ein Erfordernis gewerblicher Ausbildung wie menschlicher
Erziehung. Nicht alle Lehrlinge werden Meister oder Ge-
hilfen mit vielseitiger Tätigkeit werden können. Doch er-
möglicht allseitige Ausbildung die spätere Bewährung an
irgendeiner Stelle, die heute nicht vorausgesehen wer-
den kann.

Die Ausbildung selbst teilt sich in Lehre und Schule. Ur-
sprünglich trug die Lehre in der Werkstatt des Meisters die

ganze Ausbildung. Dieser Zustand, der traditionsgebun-
denen Zeiten durchaus angemessen war, mag uns ein
Wunschbild sein, — herbeiführen können wir ihn ebenso-
wenig, wie wir je erreichen können, daß der Baumeister auf
dem Land von sich aus und aus innerer Notwendigkeit in
guten Formen baut. Jeder Versuch in dieser Richtung ist
sinnlos, da er gegen den Sinn der Geschichte verstößt.
Wohl aber können und müssen wir die Kräfte, an deren
Weckung, Stärkung und Bewahrung uns liegt, mit den Mit-
teln beeinflussen, die in den Möglichkeiten unserer Zeit
liegen.

Heute tritt die Schule mehr und mehr in den Mittelpunkt
der Ausbildung. Die Lehre in der Werkstätte ist im ganzen
gesehen unkontrollierbar. Von der Beschäftigung eines
Meisters, von seiner Fähigkeit und Bereitwiligkeit, dem
Lehrling „etwas beizubringen", von seiner Laune und vie-
len unübersehbaren Faktoren hängt derErfolg der Lehrzeit
ab. Es ist ganz natürlich, daß die Schule, die früher nur
einen gewissen theoretischen und allgemeinen Unterbau
gab, immer mehr in die Erziehung eintritt und sogar die
Lehrzeit durch die Einrichtung von Lehrwerkstätten in
großem Umfang an sich zieht. Hier besteht die Möglich-
keit, einen auch erzieherisch fähigen Handwerker wirken
zu lassen, die Lehrlinge unter die aneifernde Wirkung ge-
meinsamer Arbeit zu stellen, jedes praktische Erlernen so-
fort mit den entsprechenden Kenntnissen zu unterbauen.
Ganz bestimmt kommt der Lehre in der Werkstatt eines
Meisters, vor allem im kleineren, gut geführten Betriebe,
noch hohe Bedeutung zu. Gerade, daß das, was hier dem
Lehrling entgegentritt, weniger auf das Kontrollierbare,
das sauber Systematische abgestellt ist, sondern mehr auf
die verschwommeneren Verhältnisse, die das praktische
Leben ausmachen — läßt die Lehre zu einer notwendigen
Ergänzung der Schule werden —, so wie früher die Schule
eine Ergänzung der Lehre war.

So gliedert sich die Aufgabe der Schule in die Aufgabe,
Fachkenntnisse und -fähigkeiten zu vermitteln, und in die
Verpflichtung zu menschlicher Beeinflussung, Erziehung im
engeren Sinne.

Die Vermittlung von Fachkenntnissen und -fähigkeiten
erfolgt durch sinnvoll vom Einfachen zum Schwierigen auf-
steigende Unterweisung und Übung in Werkstoff, Technik,
Konstruktion. Der Werkstoff muß in seinen Eigentümlich-
keiten erkannt und — was das Wichtigere ist — erfühlt wer-
den, er muß in den Wirkungen seines Gewichtes, seiner
Festigkeit, seiner Struktur, seiner Oberfläche allein und im
Zusammenhang mit anderen Stoffen begriffen sein. Diese
Einfühlung in den Werkstoff wird vor allem erreicht durch
praktische Ausprobe seiner Eigenschaften, also durch Un-
terweisung in der Technik. Handwerkliche Technik ist jo
nichts anderes als die Methode, die Eigenschaften eines
Werkstoffes einem bestimmten Endziel dienstbarzumachen.
So lernt der Lehrling durch die Ausübung der Technik den
Werkstoff kennen, ebenso wie er aus den Eigentümlich-
keiten des Werkstoffes die Technik entwickeln lernt. Werk-
stoff und Technik bedingen sich gegenseitig, ihre Wechsel-
wirkung macht sie zu einer Einheit, die im schulischen Pro-
gramm nicht zerrissen werden sollte (etwa durch scharfe
Scheidung in Werkstoffkunde und technische Unterweisung).
Der Nachdruck liegt bei all dem nicht auf dem verstandes-
mäßigen Wissen, sondern auf der Kenntnis, die gleich
ist dem Können, das nur teilweise durch das Wissen, zu-
meist durch Einfühlung, erworben wird. Im engsten Zu-
sammenspiel mit Werkstoff und Technik steht die Konstruk-
tion. Konstruktion entsteht überall da, wo das gewünschte
Arbeitsergebnis nicht aus einem Stück hervorgeht, wie
bei einem Gefäß oder einer Plastik, sondern aus Teilen zu-

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