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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 8.1933

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Lotz, Wilhelm: Zum neuen Jahrgang
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https://doi.org/10.11588/diglit.13209#0011

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Zum neuen Jahrgang

Eine Zeitschrift, deren Aufgabe es ist, Wesen und Werden
der gestaltenden Arbeit in unserer eigenen Zeit darzulegen,
muß ständig neue Blickpunkte geben und muß, ohne das Ziel
aus den Augen zu verlieren, mit dem Geschehen Schritt halten.
Das Geschehen in diesem Fall bedeutet nicht nur das wirklich
Geschaffene und somit Sichtbare, sondern auch das Werden
und Leben der Ideen.

In einer Zeit nun, wie sie die dreißig Jahre darstellen, die hinter
uns liegen, in der das Geschaffene in einem reichen Maße aus
dem Boden sprießt, ist es verhältnismäßig leicht, in einer Zeit-
schrift in Wort und Bild davon Kunde zu geben. Es wurde
das herausgestellt, was als ein gut Stück weiter in der Ent-
wicklungslinie gedacht und erschaffen schien. Der radikale
Vorstoß und das Experiment wurden als richtungweisende Taten
gewürdigt. Eine ruhige und stetige und von allen fortschritt-
lichen Menschen anerkannte Linie lag vor unseren Augen.

Es liegt für uns alle, die wir für das eingetreten sind, was
man als moderne Gestaltung bezeichnete, kein Grund vor, alles
was wir vertreten haben, über Bord zu werfen, vielleicht des-
halb, weil die Schöpfungen selbst nicht mehr so im Vorder-
grund des Interesses stehen, weil die Sorgen um der mensch-
lichen Existenz näherliegende Notwendigkeiten alles Denken
und Tun beeinflussen. Weil, um es platt auszudrücken, nichts
mehr gebaut wird, weil Wertarbeit der Billigkeitsschinderei
weichen muß. Wie wurden diejenigen gescholten, die Einsatz
geringster Mittel zur Erreichung höchsten Leistungswertes for-
derten! Und was macht die Industrie daraus, die heute den
Bedarf von 99% der Menschen deckt? Wer die Auslagen
der Geschäfte vor Weihnachten gesehen hat und die Ware,
die für die Ausverkäufe produziert wird, unter die Lupe nimmt,
muß es trauernd erkennen: höchsten Scheineffekt bei billigstem
Verkaufspreis. Das, was der Werkbund schon immer, wenn es
auch in anderem, früher historisierenden Gewand auftrat, be-
kämpft hat, das besser Scheinen als Sein, macht sich mehr
breit denn je.

Diese Rationalisierung ist nicht gemeint gewesen. Diese Ratio-
nalisierung um des glitzernden falschen Effektes willen be-
deutet eine Verschwendung von Material und Arbeit. Durch
Hirn und Hand zum Fertigerzeugnis gestaltetes Material soll
einen Wert darstellen für den Menschen, dieser alte Sinn aller
Werkbundarbeit sollte in die Rationalisierung hineingetragen
werden, wie man in den Anfangsjahren versuchte, ihn in die
Maschinenarbeit hineinzutragen.

So scheint es, als ob wir alle umsonst gearbeitet hätten.
Alle Kraft der Schaffenden ist brach gelegt. Die Jungen kom-
men nicht zu Aufträgen, fast sieht es so aus, als ob eine
Generation in der Architektur ausfallen müßte, als ob es ihnen
nicht vergönnt sei, mit ihrem Bauen ein Stück Architektur-
geschichte mitzuschaffen.

Unserer Zeitschrift erwachsen damit neue Aufgaben. Die
Aufgaben verlohnen es, den größeren Schwierigkeiten zu be-
gegnen. Uber eine große Fülle dessen, was geschaffen wurde
und wert einer Veröffentlichung schien, konnte sie sich nie
beklagen. Das Ideenbild, das das Geschaffene und Werdende

durchdrang und umgab, wird unübersichtlicher und scheint ge-
hemmt zu werden, weil das befruchtende Element, das Geschaf-
fene, mit dem es in ständiger Wechselbeziehung steht, fehlt.

Aber gerade deshalb ist eine Zeitschrift wie die „Form"
notwendiger als je. Eine Bindung und Konzentration der wirk-
lich wertvollen Kräfte, eine gewichtigere Betonung des wenigen
Guten, das noch geschaffen werden konnte und eine noch
schärfere Kritik des Minderwertigen ist unmittelbarste zwang-
hafte Aufgabe. Das aber ist keinesfalls als eine Rettungsaktion
allein anzusehen, als ein Hinüberretten des Erreichten in glück-
lichere Zeiten. Denn Zeiten krasser wirtschaftlicher Not sind ja
in der Geschichte nie identisch mit Mangel on Ideen und
geistiger Bewegung. Es sind immer die Keimzellen neuen
Werdens, wenn diese neuen Zellen auch den Augen der Zeit-
genossen nur schwer erkennbar sind.

Es sei erlaubt, zum Eingang dieses Jahrgangs unserer Zeit-
schrift, deren Fortführung glücklicherweise jetzt gesichert
ist, statt einer Programmniederschrift einige Aufgaben zu
skizzieren, die wir in Angriff nehmen. Wir zählen dabei auf
die Mitarbeit unserer Freunde und sind für weiterführende
Vorschläge dankbar.

Es soll unser Bestreben wie bisher sein, den Aufgabenkreis
unserer Zeitschrift zu erweitern. Gebiete des kulturellen Lebens,
die streng genommen nicht unter den Titel unserer Zeitschrift
einzuordnen sind, sollen nicht in ihrem fachlichen Gehalt er-
örtert werden, sondern in ihrem Zusammenhang mit einer
werdenden — sagen wir vorsichtiger, mit dem Leben — unserer
Kultur. Wir wissen sehr wohl, wie schwierig es ist, gerade
dafür Mitarbeiter zu bekommen, weil man schwer verstanden
wird, wenn man unter den Erfahrenen der anderen Gebiete
um Mitarbeit wirbt. Das liegt nicht nur am verschiedenen Fach-
jargon, sondern vor allem an der Zersplitterung unseres
geistigen Lebens. Der eine weiß vom anderen und seiner
Arbeit nur das Äußerliche, aber nicht das Tiefere, das die
innere Bindung herstellt. Trotzdem muß der Versuch immer
und immer wieder gewagt werden.

Wir dürfen aber niemals zu einem Publikationsorgan ver-
schiedener zusammenhangloser Erörterungen werden, so etwa
wie die Städtepublikationen, in denen einige Fachleute, jeder
über sein Gebiet, das „Wichtigste aussagen". In der Grund-
einstellung müssen wir auf unserem Gebiet bleiben, sonst
führt es zum Dilletantismus und zu einer Nebeneinanderstellung
pseudowissenschaftlicher Aufsätze unter dem Mäntelchen der
Allgemeinbildung. Nehmen wir ein Beispiel. Eine stärkere Be-
rücksichtigung des Wirtschaftlichen wird nicht dadurch erreicht,
daß wirtschaftliche Themen erörtert werden, sondern dadurch,
daß das wirtschaftliche Element der von uns behandelten
Fragen stärker alle Erörterungen durchsetzt.

Wir erinnern hier auch an die Behandlung der Handwerker-
fragen, die bei unseren Erörterungen stark in das Wirtschaft-
liche hinübergetragen wurden. Diese Diskussion wird fortgeführt
werden und zwar wird sich das deutsche Handwerksinstitut
daran beteiligen. Trotzdem aber scheint es uns notwendig,
damit die Behandlung nicht zu sehr in der theoretischen Er-

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