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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 8.1933

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Rabe, Fritz: Vom Wesen der Schrift
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https://doi.org/10.11588/diglit.13209#0066

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Vom Wesen der Schrift

FRITZ RABE, KÖLN

In zwei Gedanken hängt das ganze Gesetz der Schrift. —
Erstens ist die Schrift ein praktisches Verkehrsmittel, und
zweitens ein künstlerisches Ausdrucksmittel.

Denn: jede Schrift will durch Übertragung eines geistigen
Inhalts der Verständigung und damit dem Verkehr dienen.
Andererseits kann es keine Schrift geben, die nicht persön-
lichen, völkischen und allgemeinen menschlichen Kulturgehalt
— bejahend oder verneinend und unabhängig vom Wollen
oder Nichtwollen — zum Ausdruck bringt.

Als Verkehrsmittel fordert die Schrift die unbedingte Ein-
haltung bestimmter Zeichen mit wesentlichen Erkennungs-
merkmalen: Die Grundform. Der Kunsttrieb erstrebt in
jeder uns denkbaren Wiedergabe die Abwandlung des einmal
Feststehenden: Die Ausdrucksform. Grundform und
Ausdrucksform bedingen, durchdringen und ergänzen ein-
ander und lassen sich als ein Unteilbares wie Leib und Seele
nicht trennen. Die sichtbare Darstellung der Grundform ver-
langt die Verwendung irgendwelcher Ausdrucksform, sei sie
auch die allereinfachste. Und wiederum kann keine Aus-
drucksform gestaltet werden, ohne dabei eine bestimmte
Grundform zu berücksichtigen. Bald bildet die Grundform die
Voraussetzung und die Ausdrucksform die Folge, bald ist es
umgekehrt, je nachdem wir beide in Beziehung zu einander
setzen. So sind Grundform und Ausdrucksform in jedem Buch-
staben innig verbunden und lebendig.

Bei grundsätzlichem Erörtern müssen wir Grundform und
Ausdrucksform streng auseinanderhalten, um die zwei Seiten
der Schrift und damit des Wesen des Ganzen klar heraus-
zuarbeiten.

Die Grundform betont die besonderen Merkmale der Buch-
staben und die Unterscheidung von ähnlich aussehenden
Zeichen, sieht also auf das Wesentliche der Einzelheit, auf das
Trennende und Auseinandergehende. Daher bei allzunaher
Berührung der Kampf ums Dasein mit allen Abstufungen der
Heftigkeit und der Zeitdauer.

Die Ausdrucksform kleidet die Buchstaben in Gewänder von
gleichem Stoff und gleichem Schnitt, um sie als Glieder
einer Familie zu kennzeichnen. Sie ist auf das Ganze, das
Allgemeine gerichtet und hat die Neigung zum Annähern,
zum Ausgleichen, zum Zusammengehen.

Die Grundform, entstanden durch Übereinkunft aus- Er-
fahrung und Gebrauch, dient dem praktischen Bedürfnis, ist
als „ruhender Pol in der Erscheinungen Flucht" bis zu einem
gewissen Grade feststehend und meßbar und in manchem
Sinne zeitlos.

Die Ausdrucksform ist ständig wechselnd. Sie hängt ab von
der jeweiligen Anwendung der Schrift, von Werkstoff, Gerät
und Arbeitsweise, von den nicht leicht zu messenden und
schwer zu fassenden persönlichen und völkischen, religiösen
und staatlichen, klimatischen, örtlichen und zeitlichen Ein-
flüssen. Stets war die Schrift in ihrem Ausdruck ein getreues

Spiegelbild vom Kulturzustand eines Volkes in einer be-
stimmten Zeit.

Die Grundform wendet sich an das verstandesmäßige
Denken. Sie verlangt Anpassung an die Eigenart der Sprache,
größte Klarheit der Zeichen an sich, wie beim Zusammen-
klang der Wortbilder, Vermeiden von Doppelformen, Aus-
scheiden alter, nicht mehr lebensfähiger Buchstaben, Fern-
halten alles dessen, was zur Verwirrung führt, strenges Ge-
bundensein an die festgesetzte Form.

Die Ausdrucksform führt in das Bereich des Gefühlslebens,
sie ist das Betätigungsfeld des Künstlerischen. Die feinsten
Regungen der Natur werden zur Sichtbarkeit gestaltet: An-
schwellen, Kraftentfaltung, Abnehmen, der Lebensbogen im
Werden und Vergehen; Stütze und Last, Tragen und Getragen-
werden; Herauswachsen und Verästeln der Züge; Windung
Drehung und Verschlingung; Aneinanderschmiegen und Zu-
sammenhängen; einfache und wechselnde Reihung; Starrheit
und Bewegung; Zusammenziehung und Gliederung; strenge
Symmetrie, Gleichgewicht und allmählicher Übergang zum
scheinbaren Schwinden des Gesetzmäßigen in der freien
malerischen Form; alle Möglichkeiten der Flächenaufteilung
durch die verschiedensten Maßverhältnisse. Es gibt keine Kunst-
form, die nicht in der Schrift irgendeinmal Verwendung findet.
Es gibt keinen Gestaltungsgrundsatz, der bei der Einzelbildung
der Schrift und in ihrem Gesamtausdruck nicht irgendwie mitwirkt.
Es gibt fast keine Arbeitsweise, keine Technik, deren sich die
Schrifi' nicht zu bedienen weiß. Und es gibt kaum einen in
der bildenden Kunst verwendeten Werkstoff, der nicht auch

LIEBE T/t WTE URfELA'
SCHICKE mir DOCH bitte
AUCH PEN plan ZUR
Wm BUR&. ich war
VOR ZWEI JAHREW auf

Schrift eines Schulkindes in Grundbuchstaben

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