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Fraenger, Wilhelm
Hieronymus Bosch "Das Tausendjährige Reich": Grundzüge einer Auslegung — Coburg, 1947

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https://doi.org/10.11588/diglit.29109#0166
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DIEFOLGERUNGEN

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die unbeirrbare Gesammeltheit eines an Konzentration gewöhnten MensAen, die uns aus
diesem Selbstbildnis entgegensAaut.

Dem einfaAen und offenen Bekenntnis kommt eine dreifache Bedeutung zu: Es bietet
zunächst einen Fingerzeig, das Biidwerk zu datieren, den wir jedoA erst in zwei Folgebän-
den uns zu eigen machen, worin die Wcrkgemeinsehaft beider Männer — vom frühen „Ta-
schenspieier" bis zur abschließenden „An^acht zum Kinde" — chronologisch naAgewiesen
wird. Für die Biographie des Meisters dokumentiert sein Selbstbildnis die Grundtatsache, daß
Bosch selbst Mitglied der Freigeist-Gemeinde war. Hat er sich doch ais Bruder unter Brü-
dern inmitten der zum „Paradiese" Zugelassenen, das aber heißt als „Eingeweihten" dar-
gesteilt. Am aufschlußreiAsten aber ist das dritte, rein gesinnungshafte Zeugnis, das der so
oft verlästerten Moral der Brüderschaft die höchste Ehre macht: Es ist die Selbstbescheidung,
die er siA dem Hochmeister gegenüber auferlegt, indem er seinen Anteil an der Bildwer-
dung dieses gedankenträAtigen Schöpf ungspsaimcs dienstwillig bei der Höhle des Pytha-
goras vergräbt, statt ihn mit selbstbewußtem Anspruch auszurufen. Diese wie eine Selbst-
verständlichkeit geleistete Zurückhaltung hindert ihn keineswegs, sein eigenes GesiAt mit
schlichtem Seibstbewußtsein darzusteilen, wodurch er sich gerade als ein pflicht- und damit
wertbewußtes Giied einer GemeinsAaft zu erkennen gibt.

Solche charaktervolie Haltung BosAs beweist, daß in dem Brüderkreis nicht jene oft ge-
argwöhnte anarchische Verwiiderung, sondern im Gegenteii eine verantwortungsbewußte
Disziplin der SeibstbesAränkung und freiwiliigen Unterordnung herrsAte. Nur dieser Zucht
und Sitte ist es zuzuschreiben, daß in unsrer Altarschöpfung die Grundformei des Freien
Geistes von der „Zweieinigkeit in Einem Leib" ihre vollkommene Erfüllung fand. Hier
wuchs aus den getrennten Anteilen gieiA hoher Denk-, SAau- und Gestaltungskraft ein
Werk zusammen, das die Ideenwelt der Brüderschaft so umfassend repräsentiert, daß der
Verlust des freigeistigen SArifttums durch diese Bildurkunde wettgemacht ersAeint. Denn
dieses „Tausendjährige ReiA" vertritt das vorreformatorische Sektenchristentum, das bisher
für die KunstgesAichte nicht vorhanden war, so würdig und gewichtig, daß es sich neben
der kathohsAen Altarsynthese der Ge^7*%tZer und den iutherischen Bekenntnistafeln

Cr^wAr ais hoAragender Findlingsbiock behaupten wird.
 
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