GEIST UND WIRKLICHKEIT
was mich in den bildern otto ritschls am tiefsten erstaunt und zum nachdenken an-
regi, ist das Verhältnis von geist und Wirklichkeit, das ich in ihnen ausgedrückt finde,
dem 19. jahrhundert galt der augenschein als die einzige und eigentliche Wirklich-
keit. In allen religiösen epochen aber war das gefühl lebendig, diese weit der
entstehenden und vergehenden einzelfälle sei nur zeichensprache für eine „tiefere
wirklichkeit". im erscheinenden erschaute man das werden, im werden das sein, im
sichtbaren das unsichtbare, im stofflichen den geist.
es gibt anzeichen genug, daß sich im 20. jahrhundert dieses uralte wirklichkeits-
erleben erneuern möchte, selbst exakte physiker sprechen es aus, daß der geist
die einzige unmittelbar erfahrbare wirklichkeit, alles andere erst abgeleitet sei
(eddington). die sogenannte „objektive" weit ist uns fremd und unheimlich ge-
worden: ein bilderrätsel, das die forscher und künstler zu raten sich mühen.
deshalb ist es ebenso billig wie irreführend, wenn man der sogenannten „abstrak-
ten" malerei nachsagt, daß sie die wirklichkeit verleugne, für die großen maler
aller zelten waren eigentlich wirklich niemals die dinge und begriffe, sondern
die linien und färben, aus denen die weit des auges letztlich besteht, und diese
linien und färben — die doch im gründe nicht so sehr die „natur" als das betrach-
tende subjekt hervorbringt — bilden eine spräche, die uns von einer weit des geistes
nachricht zu geben scheint: einer weit des immerbleibenden und ewigwiederkeh-
renden hinter dem entstehen und vergehen der einzelfälle, ganz gleich, ob man
sie „naturgetreu" übernimmt oder sie aus den zusammenhängen der natur heraus-
was mich in den bildern otto ritschls am tiefsten erstaunt und zum nachdenken an-
regi, ist das Verhältnis von geist und Wirklichkeit, das ich in ihnen ausgedrückt finde,
dem 19. jahrhundert galt der augenschein als die einzige und eigentliche Wirklich-
keit. In allen religiösen epochen aber war das gefühl lebendig, diese weit der
entstehenden und vergehenden einzelfälle sei nur zeichensprache für eine „tiefere
wirklichkeit". im erscheinenden erschaute man das werden, im werden das sein, im
sichtbaren das unsichtbare, im stofflichen den geist.
es gibt anzeichen genug, daß sich im 20. jahrhundert dieses uralte wirklichkeits-
erleben erneuern möchte, selbst exakte physiker sprechen es aus, daß der geist
die einzige unmittelbar erfahrbare wirklichkeit, alles andere erst abgeleitet sei
(eddington). die sogenannte „objektive" weit ist uns fremd und unheimlich ge-
worden: ein bilderrätsel, das die forscher und künstler zu raten sich mühen.
deshalb ist es ebenso billig wie irreführend, wenn man der sogenannten „abstrak-
ten" malerei nachsagt, daß sie die wirklichkeit verleugne, für die großen maler
aller zelten waren eigentlich wirklich niemals die dinge und begriffe, sondern
die linien und färben, aus denen die weit des auges letztlich besteht, und diese
linien und färben — die doch im gründe nicht so sehr die „natur" als das betrach-
tende subjekt hervorbringt — bilden eine spräche, die uns von einer weit des geistes
nachricht zu geben scheint: einer weit des immerbleibenden und ewigwiederkeh-
renden hinter dem entstehen und vergehen der einzelfälle, ganz gleich, ob man
sie „naturgetreu" übernimmt oder sie aus den zusammenhängen der natur heraus-