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Galerie Franz (Berlin, West)
Otto Ritschl — Berlin: Galerie Franz, 1948

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https://doi.org/10.11588/diglit.70426#0004
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löst („abstrahiert") — ein kunstwerk entsteht nur dann, wenn innerhalb der ge-
rahmten fläche nicht mehr die gebilde der natur die hauptsache sind, sondern ein
neues, selbständiges gebilde: Verbindungen von linien und farbtönen, die eine
selbstoffenbarung des geistes bedeuten, allerdings ist es im naturgetreuen bilde
dem betrachter schwerer gemacht, sich zur ungetrübten anschauung zu erheben,
denn das anreizende oder abschreckende der dargestellten gegenstände, die
menschlichen interessen, die an ihnen hängen, schieben sich zwischen ihn und das
bild und übertönen die reine aussage der form.
unreligiöse zeiten haben deshalb alle bedeutsamkeit der malerei im gegenständ-
lichen gesucht, auf der jagd nach dem „interessanten" und seiner lebensnahen
vergegenwärtigung wurde nicht nur die kunst zu tode gehetzt, sondern ging auch
jedes gefühl für eine tiefere Wirklichkeit, die über den bloßen augenschein hinaus-
reicht verloren, denn diese tiefere Wirklichkeit offenbart sich dem äuge allein durch
empfundene form, kunst ist verkündigung durch empfundene form, oder sie ist
nichts als geschicklichkeit und spielerei. andere verkündigungsweisen sind religion
und philosophie. denn auch die großen philosophen (platon, spinoza, Schopen-
hauer) führen uns, wie die großen künstler aller zeiten, von der ansicht zur einsicht,
von der „Weltanschauung" zur„weltdurchschauung", vom augenschein zum inbegriff.
auf die zeiten der dekadenz, in denen die kunst sich an den interessanten gegen-
stand verlor — die einzige „entartung" der kunst, die es tatsächlich gab und noch
gibt —folgen notwendig zeiten der besinnung, des neubeginns, die stilistisch
epochen der vereinfachung, der abstraktion sein werden, so folgte auf die unkunst
des hellenismus, in der die antike geisteshaltung zugrunde ging, die große strenge
 
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