Weltfahrt tm Lrieae
^on
F^elicjraB von Lezntceck
Dir drenüen mir der heutigen 5ortl'etzung üen Leiladvruck aus dem im Verlag
Serhard SraUinq, Oldendurg, erscheinenden vuch: .Welrfahrt im Kriege*.
2. Zorrsetzung und Schlutz
5ie sangen dadei ein Lied, dessen eintönig« Nlelodie und gutturalen Laut«
tonmalerisch das plätschern des wasser; nachahmten. Ls ist bezeiümend, dah
ich, üie ich zum erstenmal dort hinkam, diejenige war, der das auffiel. 5ogar
unsere Nachbarn, die seit einundzwanzig Zahren in Lhigasaki wohnen, waren
ganz erstaunt, als ich sie nach dem lert de; Eesange; fragte. Sie hatten nicht
gemerkt, dah die Iischer überhaupt sangen. Zch habe mir die worte geben
lassen und das kleine Lied nachgedichtet.
Nzmsbi oo ut» (Zischeilied)
Olri cie tcsmome uo nskulcoe lcikeb» Oici no kamowe ni sbicxiolci KLeb»
kunanori kLGizco V» vsmersrenu w»t»«bi x» tstsutori nsmi ni bike
ko wo Ir»i wi n»wi ni tor»rete mivasute
Obune ctolkv ni toriteuku »kiw» wo n»zc».
wenn der Zischer am kNeer Steht der Zischer am Strand,
hört von weit drautzen her Streifen Möwen ans Land.
«tiner Seemöwe Schrei, „iiommt die Zlut, sqgt, ihr Schnellen?"
Sleibt den wogen er treu. „Latz un; ziehn, frag die wellen!"
iileines Soot auf den wogen,
iiommst so einsam gezogen.
Ms da; Meer wild gesungen,
ward dein Suder oerschlungen.
Siehst kein Land in den Veiten,
Nur die Unendlichkeiten.
Uun bin ich schon über einen Monat in Zapan und oollkommen eingewöhnt.
Vas rollrnde, scharrend« Heräusch der holzschiebetüren, die am frühen Morgen
geöffnet, spätabend; geschlossen werüen, diese Zrüh- und Nachtmusik des taH-
lichen japonischen Lebens ist auch für mich alltäglich geworden, ebenso wie dle
kleine Terz, in der di« Getas. die japanischen holzsandalen mit den beiden
Nlötzchen unter den Sohlen, auf dem pflaster klingen. Zeder trägt sie, zum Ni-
mono und zur europäischen Nleiüung. kluch wir haben uns schnell daran ge-
wöhnt. denn im glühend heitz Aebrannten Sand Üer Nüste ist es sehr angenehm,
seine Zütz« nicht in direkte verbindung mit üem Soden zu dringen.
Zch kenne auch schon den Mann, der sein Gemüse aussingt, den Dbst- und
Zischmann, di« ihre ware in tgpischen und eintönigen weisen anbieten. Zch habe
die Zeit überwunden, wo ich vor der schrillen pfeise erschrak, die den verkäufer
der heitzen Nudeln ankündigt. Nll diese kleinen händler tragen da; ihrige dozu
bei, in das japanische Leben musiialische Zarbe ;u bringen. Selbst die Zeitungs-
oerkäufer klingeln ihre Slätter aus.
Oie Zapaner singen sehr gern, die Männer ganz alte Gesänge oder die neuen
Nampfweisen, deren tvlang sich auch 'das europäische Ghr schnell erobert, mit
Marschrhgthmen und fast westlichen Melodien. vie Geishas singen Lieder, die
uns ähnlich anmuten wie üa; Gesumme einer Mutter, wenn sie ihr iiind in
Schlaf wiegen will. Vazu schwingt in der Luft andauernd das Drchester der
Semis, der fernöstlichen Grillen, die ein unglaubliche; Zirpen loslassen, wahr-
hastig auf der O-Saite. viese Zikaden habe ich dann später in Lhino erlebt,
und man kann ihren Gesang nur mit Getöse bezeichnen. <ks war teilweise wirk-
lich nicht möglich, sich im Garten ;u unterhalten, weil üa; Geschrei der Znsekten
die Menschen das eigene wort nicht oerstehen lietz.
Zlh habe auch den versuch gemacht, mich mit der altjapanischen iiunsl zu
beschästiaen, unü auf Ginladung des Grafen Nabagama eine Sondervorstellung
de; No-Vramas miterlebt. Zch will nicht, wie oielleicht mancher andere, so tun,
al; hätt« ich es völlig verstanden. vazu muh man wohl viel länger in Zapan
gelebt haben, oielleicht auch selbst Zapaner sein. Zür unsere Segriste geht mehr oder
weniger gar nichts oor. Und wenn man dazu noch die Sprache nicht beherrscht, ist e;
nicht eintach, auch nur eine Nhnung der Lreignisse zu haben. So ist e; natürlich
nur ein versuch geblieben, und ein abschliehende; Urteil wage ich nicht zu geben.
vatz es eine hohe Nunst ist, habe ich aber begristen, schon allein die Maske,
Sas Nostüm und die Sewegungen, deren jede einzelne genau oorgeschrieben
ist, mit ungeheurer Gelassenheit ausgeführt wird und ein« oollkommene Se-
herrschung d«; Nörpers zeigt. wenn mon di« Grazie und Zartheit der Se-
wegungen des weiblichen vämons sieht, mag man nicht glauben, datz ein Mann
diese Nolle spielt, denn beim klassischen jopanischen llheater gibt e; keine Schau-
spielerinnen. Mir schien die Schauspielkunst ein Nbbild des Zapaners, der be-
herrscht, in üie llief« gehend, traditiongebunden ist.
Va; Stück hat immer hohen moralischen wert und preist die männlichen
llugenden, wie Selbstbeherrschung, Lnthaltsamkeit und Mut. vas war ein
kleiner Nusflug in altjapanisches wesen. üer bei allem Mangel an Sprachkenntnis
nur doch einen Segrist vermittelte.
Mein Nuge hat sich auch an die neuen Lindrücke gewöhnt. Zch weih schon,
welckie Zeichen einen labakladen ankünüen, die schmalen, zweistöckigen häuser
sinü mir zur Lelbstverständlichkeit geworden, und ich kenne die kösilichen Zrüchte
des Zernen Gftens beim Namen, wobei ich den saftigen Naschis, «iner Mischung
oon Sirne und klpfel, die im heihen Sommer unendlich erstischen, den vorzug
gebe Zch habe gelernt, welche Nimonostoffe die oornehmen sind und dah e;
beionders srilooll ist, üen Ddi (den breiten Gürtel), der niemäls oom gleichen
Ztost sein üarf wie der Nimono, in einem Muster zu wählen, das mit üem
Nleidstost harmoniert, ja, ihn etwa passend weben zu lassen.
Nllerdings lern« ich, kaum dah ich die; begriffen habe, anlählich der Spar-
matznahmen der „Neuen Struktur" wieder „auf einfach" um. vie Zrage, ob
Zapan alt oder moüern ist, habe ich immer noch nicht entschieden. Lines weitz
ich genau: dieses der Iradition nach alte, dem Ltreden nach junge volk befindet
sich in einer Zeit des Umbruchs, in einer fliehenüen Sewegung, die von -er Ge-
schichte vielleicht später einmal mit dem wort Nevolution bezeichnet werden wird.
Nun bin ich zum drittenmal in einem Srohhafen gelanüet, allein, ohne einen
Menschen, der am pier auf mich wartet. vie bangerwartungsvollen Gefühle
waren natürlich immer groh, aber jetzt, wo ich auf einmal in Ihina stehe, im
berüchtigten hafenoiertel oon Lchanghai, bin ich doch ein wenig unsicher und dem
deutschen Grohkaufmann sehr dankdar, üer mich unter seine Zittiche nimmt. Lr hat
eine der ältesten leefirmen am Drt und kennt sich gut aus. Zn seinem Nuto fährt
er mich bis zum hotel, und ich gewöhne mich, nachdem ich mit den Zahrkünsten japa-
nischer Ihauffeure langsam vertraut geworden bin, auch an diechinesische Zahrweise.
vurch hongkiu führt unser weg, dem oon den Zapanern bewohnten leil oon
Schanghai, und ttotz der stühen Morgenstunde dekomme ich schon einen Segrist
von der chinesischen Masse. vie ganzen Sttatzen sind ooll mit kleinen Zuhr-
werken, auf den Gehsteiaen sieht man unzählige Männlein und Weiblein. und
Ninüer, Ninder, Ninder!
va vorn liegt die Gartenbrücke, die berühmte Lrücke, welche die internationale
Siedlung von der chinesischen Stadt ttennt. Zn ihrer Mitte steht ein wachhäuschen
für den japanischen posten, üen die Ibinesen durch Nbnehmen des hute; grützen
müssen. Unübersehbar strömen sie, Nops an Nops, hinüber und herüber.
Nm anderen Inde der Srücke penüeln die wachen der internationalen Siedlung.
und ich sehe zum erstenmal einen schottischen Soldaten im kurzen karierten Nöckchen.
Und wieder einmal eine „wasserstont", der Sund von Lchanghai, mit amerika-
nischen wolkenkatzergebäuden, am Ufer eines Zlusses, auf dem moderne Zahr-
zeuge und chinesisch« Vschunken abwechseln. Niesig« Sanken haben hier ihre
Niederlassungen, Zahnen in allen Landesfarben kennzeichnen di« verschiedenen
Generalkonsulate, und Schutzleute regeln den schon jetzt hestigen verkehr.
vie polizisten oon Schanghai! Nllein an ihnen erkennt man, datz man sich in
einer einzigartigen Stadt befindet. Vort an -er Nreuzung steht ein weitzbärttger
Sikh mit lurban und regelt mit gelassenen Nrmbewegungen den Zlutz der klutos,
Nikschas, Sttahenbahnen und Zuhgänger. line Icke weiter sieht man einen
Ihinesen einem Nikschakuli die Sitzkissen aus seinem Gefährt fortnehmen. Va;
ist die Sttafe für ein vergehen gegen die Negeln de; verkehrs. Nur ein kurze; wort,
üann ist die Nikscha unbrauchbar gemacht, und der Nuli rennt ergeben über die
Nreuzung. lin lagesoerdienst ist fort. Oa kann man nichts machen. — Maskee!
Nuch zierliche Nnnamiten, oon den Zranzosen aus Zndochina mitgedracht, ver-
sehen polizeidienst. vie Grdnungspolizei der Niederlassung besteht au; weitz-
russen. I; soll eine sehr gute Iruppe sein.
Noch ein paar Nreuzungen, und wir sind auf der Nanking Road, üieser ver-
rücktesten aller Sttahen. ktllein ein Spaziergang auf ihr genügt, um Schanghai
al; eine unglaubliche Stadt zu bezeichnen. wolkenkatzer, riesige warenhäuser
im amerikanischen Stil, mit Nolltteppen und Ixprehfahrstühlen, und dazwischen
auf einmal chinesische Suden mit all den leuchtenden Nuslagen orientalischer
pracht. Niesige Nutobusfe schnaufen daher und scheinen die kleinen Nistchas
oerschlingen zu wollen. Man hält es kaum für möglich, datz di« Znsassen mit
dem Leben davonkommen könnten, üi« man samt und sonders als helden
ansieht. — Sis man kurze Zeit später selbst ein solche; Gefährt bestiegen hat.
lin völkergemisch! Lastautos mit stanzösischen Soldaten und amerikanischer
Marine fahren vorüber. Sie rasseln an einem alten Sikh oorbei, der ihnen mit weih
Gott mohammedonischer Gelassenheit nachblickt. Zhn rührt das ganze Gewimmel,
diese Sttatze, in der es wie in einem Nmeisenhaufen zugeht, überhaupt nicht.
Zetzt kommt gar ein lank angerollt, hinter ihm ein Lastauto mit Zreiwilligen.
Is ist hochbettieb unter der bewaffneten Macht von Schanghai, denn wir be-
finden uns in den lagen, in denen sich der Zwischenfall zum drittenmal jährt.
Zeder ist besorgt, und man will alles tun, einer wiederholung vorzubeugen.
Zn üer fronzösischen Ronzession hat mon Vrahtverhaue und Maschinengewehr-
stützpuntt« aufgebaut. panzerwagen verstärken diese Sefestigungen, und vurch-
suchungen der passanten auf waffen sollen Nttentate verhindern. (was nicht
immer oollkommen gelingt.)
Schanghai! welcher Seemann überkeibt nicht, wenn er sein Garn spinnt?
Spricht er aber oon Schanghai, dann kann er einfach nicht übertteiben, jetzt
weniger denn je. vieser gröhte hafen des Zernen Dstens ist im Zustand der
oölligen Umwälzung. vielsach -urch eigenes verschulden ist die Stellung der
Zremden schwächer und schwächer geworden, dafür der linfluh der Zapaner
stärker. Überall, wo sie hinkommen, suchen sieDrdnung;u schasten, -och Schanghai
ist ein harter Sissen. was sich hier in Zahrhunderten entwickelt hat, ist nicht in
ein paar Zahren auszuplätten. hier läust alle; zusammen. Nauschgisthandel,
Schmuggel, weltpolittk, lokale vifferenzen, handelskieg und die Znttigen der
Grohkaufleute aus fünf Lrdteilen.
hier rinnt oiel Geld durch die vielen grohen und kleinen Geschäftsadern.
hier herrscht blühenüer Neichtum neben fürchterlichstem Llend, neben einer Nr-
mut, wie wir si« in Mitteleuropa nicht einmal ahnen. Man bedenke nur, dah
ein Nistchakuli «inen täglichen Neinverdienst von vielleicht I Schanghaidollar
hat, was währungsmähig 15 pfennig wäre. Naufkaftmähig, auf die Nnsprüche
des chinesischen ilulis übersetzt, ift es natürlich mehr, doch bestimmt nicht höher
als 40 Pfg. von diesen 40 pfg. schickt der liuli 20 pfg. nach hause, für seine
Zamilie, denn di« Zamilie ist das einzige, woran der Lhines« hängt. von den
anderen 20 pfg. lebt «r. vielleicht 10 bis 15 pfg. dovon gibt er fürs Lssen aus,
ein bihchen Neis, eine hondvoll von irgend etwas. va; andere wird womöglich
oerspielt, weil der Lhinese ein« Spielratte ift und Schanghai ein paradie; der
Spielhöllen, zu kleinsten und grötzten Linsähen. aus S-iie M
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F^elicjraB von Lezntceck
Dir drenüen mir der heutigen 5ortl'etzung üen Leiladvruck aus dem im Verlag
Serhard SraUinq, Oldendurg, erscheinenden vuch: .Welrfahrt im Kriege*.
2. Zorrsetzung und Schlutz
5ie sangen dadei ein Lied, dessen eintönig« Nlelodie und gutturalen Laut«
tonmalerisch das plätschern des wasser; nachahmten. Ls ist bezeiümend, dah
ich, üie ich zum erstenmal dort hinkam, diejenige war, der das auffiel. 5ogar
unsere Nachbarn, die seit einundzwanzig Zahren in Lhigasaki wohnen, waren
ganz erstaunt, als ich sie nach dem lert de; Eesange; fragte. Sie hatten nicht
gemerkt, dah die Iischer überhaupt sangen. Zch habe mir die worte geben
lassen und das kleine Lied nachgedichtet.
Nzmsbi oo ut» (Zischeilied)
Olri cie tcsmome uo nskulcoe lcikeb» Oici no kamowe ni sbicxiolci KLeb»
kunanori kLGizco V» vsmersrenu w»t»«bi x» tstsutori nsmi ni bike
ko wo Ir»i wi n»wi ni tor»rete mivasute
Obune ctolkv ni toriteuku »kiw» wo n»zc».
wenn der Zischer am kNeer Steht der Zischer am Strand,
hört von weit drautzen her Streifen Möwen ans Land.
«tiner Seemöwe Schrei, „iiommt die Zlut, sqgt, ihr Schnellen?"
Sleibt den wogen er treu. „Latz un; ziehn, frag die wellen!"
iileines Soot auf den wogen,
iiommst so einsam gezogen.
Ms da; Meer wild gesungen,
ward dein Suder oerschlungen.
Siehst kein Land in den Veiten,
Nur die Unendlichkeiten.
Uun bin ich schon über einen Monat in Zapan und oollkommen eingewöhnt.
Vas rollrnde, scharrend« Heräusch der holzschiebetüren, die am frühen Morgen
geöffnet, spätabend; geschlossen werüen, diese Zrüh- und Nachtmusik des taH-
lichen japonischen Lebens ist auch für mich alltäglich geworden, ebenso wie dle
kleine Terz, in der di« Getas. die japanischen holzsandalen mit den beiden
Nlötzchen unter den Sohlen, auf dem pflaster klingen. Zeder trägt sie, zum Ni-
mono und zur europäischen Nleiüung. kluch wir haben uns schnell daran ge-
wöhnt. denn im glühend heitz Aebrannten Sand Üer Nüste ist es sehr angenehm,
seine Zütz« nicht in direkte verbindung mit üem Soden zu dringen.
Zch kenne auch schon den Mann, der sein Gemüse aussingt, den Dbst- und
Zischmann, di« ihre ware in tgpischen und eintönigen weisen anbieten. Zch habe
die Zeit überwunden, wo ich vor der schrillen pfeise erschrak, die den verkäufer
der heitzen Nudeln ankündigt. Nll diese kleinen händler tragen da; ihrige dozu
bei, in das japanische Leben musiialische Zarbe ;u bringen. Selbst die Zeitungs-
oerkäufer klingeln ihre Slätter aus.
Oie Zapaner singen sehr gern, die Männer ganz alte Gesänge oder die neuen
Nampfweisen, deren tvlang sich auch 'das europäische Ghr schnell erobert, mit
Marschrhgthmen und fast westlichen Melodien. vie Geishas singen Lieder, die
uns ähnlich anmuten wie üa; Gesumme einer Mutter, wenn sie ihr iiind in
Schlaf wiegen will. Vazu schwingt in der Luft andauernd das Drchester der
Semis, der fernöstlichen Grillen, die ein unglaubliche; Zirpen loslassen, wahr-
hastig auf der O-Saite. viese Zikaden habe ich dann später in Lhino erlebt,
und man kann ihren Gesang nur mit Getöse bezeichnen. <ks war teilweise wirk-
lich nicht möglich, sich im Garten ;u unterhalten, weil üa; Geschrei der Znsekten
die Menschen das eigene wort nicht oerstehen lietz.
Zlh habe auch den versuch gemacht, mich mit der altjapanischen iiunsl zu
beschästiaen, unü auf Ginladung des Grafen Nabagama eine Sondervorstellung
de; No-Vramas miterlebt. Zch will nicht, wie oielleicht mancher andere, so tun,
al; hätt« ich es völlig verstanden. vazu muh man wohl viel länger in Zapan
gelebt haben, oielleicht auch selbst Zapaner sein. Zür unsere Segriste geht mehr oder
weniger gar nichts oor. Und wenn man dazu noch die Sprache nicht beherrscht, ist e;
nicht eintach, auch nur eine Nhnung der Lreignisse zu haben. So ist e; natürlich
nur ein versuch geblieben, und ein abschliehende; Urteil wage ich nicht zu geben.
vatz es eine hohe Nunst ist, habe ich aber begristen, schon allein die Maske,
Sas Nostüm und die Sewegungen, deren jede einzelne genau oorgeschrieben
ist, mit ungeheurer Gelassenheit ausgeführt wird und ein« oollkommene Se-
herrschung d«; Nörpers zeigt. wenn mon di« Grazie und Zartheit der Se-
wegungen des weiblichen vämons sieht, mag man nicht glauben, datz ein Mann
diese Nolle spielt, denn beim klassischen jopanischen llheater gibt e; keine Schau-
spielerinnen. Mir schien die Schauspielkunst ein Nbbild des Zapaners, der be-
herrscht, in üie llief« gehend, traditiongebunden ist.
Va; Stück hat immer hohen moralischen wert und preist die männlichen
llugenden, wie Selbstbeherrschung, Lnthaltsamkeit und Mut. vas war ein
kleiner Nusflug in altjapanisches wesen. üer bei allem Mangel an Sprachkenntnis
nur doch einen Segrist vermittelte.
Mein Nuge hat sich auch an die neuen Lindrücke gewöhnt. Zch weih schon,
welckie Zeichen einen labakladen ankünüen, die schmalen, zweistöckigen häuser
sinü mir zur Lelbstverständlichkeit geworden, und ich kenne die kösilichen Zrüchte
des Zernen Gftens beim Namen, wobei ich den saftigen Naschis, «iner Mischung
oon Sirne und klpfel, die im heihen Sommer unendlich erstischen, den vorzug
gebe Zch habe gelernt, welche Nimonostoffe die oornehmen sind und dah e;
beionders srilooll ist, üen Ddi (den breiten Gürtel), der niemäls oom gleichen
Ztost sein üarf wie der Nimono, in einem Muster zu wählen, das mit üem
Nleidstost harmoniert, ja, ihn etwa passend weben zu lassen.
Nllerdings lern« ich, kaum dah ich die; begriffen habe, anlählich der Spar-
matznahmen der „Neuen Struktur" wieder „auf einfach" um. vie Zrage, ob
Zapan alt oder moüern ist, habe ich immer noch nicht entschieden. Lines weitz
ich genau: dieses der Iradition nach alte, dem Ltreden nach junge volk befindet
sich in einer Zeit des Umbruchs, in einer fliehenüen Sewegung, die von -er Ge-
schichte vielleicht später einmal mit dem wort Nevolution bezeichnet werden wird.
Nun bin ich zum drittenmal in einem Srohhafen gelanüet, allein, ohne einen
Menschen, der am pier auf mich wartet. vie bangerwartungsvollen Gefühle
waren natürlich immer groh, aber jetzt, wo ich auf einmal in Ihina stehe, im
berüchtigten hafenoiertel oon Lchanghai, bin ich doch ein wenig unsicher und dem
deutschen Grohkaufmann sehr dankdar, üer mich unter seine Zittiche nimmt. Lr hat
eine der ältesten leefirmen am Drt und kennt sich gut aus. Zn seinem Nuto fährt
er mich bis zum hotel, und ich gewöhne mich, nachdem ich mit den Zahrkünsten japa-
nischer Ihauffeure langsam vertraut geworden bin, auch an diechinesische Zahrweise.
vurch hongkiu führt unser weg, dem oon den Zapanern bewohnten leil oon
Schanghai, und ttotz der stühen Morgenstunde dekomme ich schon einen Segrist
von der chinesischen Masse. vie ganzen Sttatzen sind ooll mit kleinen Zuhr-
werken, auf den Gehsteiaen sieht man unzählige Männlein und Weiblein. und
Ninüer, Ninder, Ninder!
va vorn liegt die Gartenbrücke, die berühmte Lrücke, welche die internationale
Siedlung von der chinesischen Stadt ttennt. Zn ihrer Mitte steht ein wachhäuschen
für den japanischen posten, üen die Ibinesen durch Nbnehmen des hute; grützen
müssen. Unübersehbar strömen sie, Nops an Nops, hinüber und herüber.
Nm anderen Inde der Srücke penüeln die wachen der internationalen Siedlung.
und ich sehe zum erstenmal einen schottischen Soldaten im kurzen karierten Nöckchen.
Und wieder einmal eine „wasserstont", der Sund von Lchanghai, mit amerika-
nischen wolkenkatzergebäuden, am Ufer eines Zlusses, auf dem moderne Zahr-
zeuge und chinesisch« Vschunken abwechseln. Niesig« Sanken haben hier ihre
Niederlassungen, Zahnen in allen Landesfarben kennzeichnen di« verschiedenen
Generalkonsulate, und Schutzleute regeln den schon jetzt hestigen verkehr.
vie polizisten oon Schanghai! Nllein an ihnen erkennt man, datz man sich in
einer einzigartigen Stadt befindet. Vort an -er Nreuzung steht ein weitzbärttger
Sikh mit lurban und regelt mit gelassenen Nrmbewegungen den Zlutz der klutos,
Nikschas, Sttahenbahnen und Zuhgänger. line Icke weiter sieht man einen
Ihinesen einem Nikschakuli die Sitzkissen aus seinem Gefährt fortnehmen. Va;
ist die Sttafe für ein vergehen gegen die Negeln de; verkehrs. Nur ein kurze; wort,
üann ist die Nikscha unbrauchbar gemacht, und der Nuli rennt ergeben über die
Nreuzung. lin lagesoerdienst ist fort. Oa kann man nichts machen. — Maskee!
Nuch zierliche Nnnamiten, oon den Zranzosen aus Zndochina mitgedracht, ver-
sehen polizeidienst. vie Grdnungspolizei der Niederlassung besteht au; weitz-
russen. I; soll eine sehr gute Iruppe sein.
Noch ein paar Nreuzungen, und wir sind auf der Nanking Road, üieser ver-
rücktesten aller Sttahen. ktllein ein Spaziergang auf ihr genügt, um Schanghai
al; eine unglaubliche Stadt zu bezeichnen. wolkenkatzer, riesige warenhäuser
im amerikanischen Stil, mit Nolltteppen und Ixprehfahrstühlen, und dazwischen
auf einmal chinesische Suden mit all den leuchtenden Nuslagen orientalischer
pracht. Niesige Nutobusfe schnaufen daher und scheinen die kleinen Nistchas
oerschlingen zu wollen. Man hält es kaum für möglich, datz di« Znsassen mit
dem Leben davonkommen könnten, üi« man samt und sonders als helden
ansieht. — Sis man kurze Zeit später selbst ein solche; Gefährt bestiegen hat.
lin völkergemisch! Lastautos mit stanzösischen Soldaten und amerikanischer
Marine fahren vorüber. Sie rasseln an einem alten Sikh oorbei, der ihnen mit weih
Gott mohammedonischer Gelassenheit nachblickt. Zhn rührt das ganze Gewimmel,
diese Sttatze, in der es wie in einem Nmeisenhaufen zugeht, überhaupt nicht.
Zetzt kommt gar ein lank angerollt, hinter ihm ein Lastauto mit Zreiwilligen.
Is ist hochbettieb unter der bewaffneten Macht von Schanghai, denn wir be-
finden uns in den lagen, in denen sich der Zwischenfall zum drittenmal jährt.
Zeder ist besorgt, und man will alles tun, einer wiederholung vorzubeugen.
Zn üer fronzösischen Ronzession hat mon Vrahtverhaue und Maschinengewehr-
stützpuntt« aufgebaut. panzerwagen verstärken diese Sefestigungen, und vurch-
suchungen der passanten auf waffen sollen Nttentate verhindern. (was nicht
immer oollkommen gelingt.)
Schanghai! welcher Seemann überkeibt nicht, wenn er sein Garn spinnt?
Spricht er aber oon Schanghai, dann kann er einfach nicht übertteiben, jetzt
weniger denn je. vieser gröhte hafen des Zernen Dstens ist im Zustand der
oölligen Umwälzung. vielsach -urch eigenes verschulden ist die Stellung der
Zremden schwächer und schwächer geworden, dafür der linfluh der Zapaner
stärker. Überall, wo sie hinkommen, suchen sieDrdnung;u schasten, -och Schanghai
ist ein harter Sissen. was sich hier in Zahrhunderten entwickelt hat, ist nicht in
ein paar Zahren auszuplätten. hier läust alle; zusammen. Nauschgisthandel,
Schmuggel, weltpolittk, lokale vifferenzen, handelskieg und die Znttigen der
Grohkaufleute aus fünf Lrdteilen.
hier rinnt oiel Geld durch die vielen grohen und kleinen Geschäftsadern.
hier herrscht blühenüer Neichtum neben fürchterlichstem Llend, neben einer Nr-
mut, wie wir si« in Mitteleuropa nicht einmal ahnen. Man bedenke nur, dah
ein Nistchakuli «inen täglichen Neinverdienst von vielleicht I Schanghaidollar
hat, was währungsmähig 15 pfennig wäre. Naufkaftmähig, auf die Nnsprüche
des chinesischen ilulis übersetzt, ift es natürlich mehr, doch bestimmt nicht höher
als 40 Pfg. von diesen 40 pfg. schickt der liuli 20 pfg. nach hause, für seine
Zamilie, denn di« Zamilie ist das einzige, woran der Lhines« hängt. von den
anderen 20 pfg. lebt «r. vielleicht 10 bis 15 pfg. dovon gibt er fürs Lssen aus,
ein bihchen Neis, eine hondvoll von irgend etwas. va; andere wird womöglich
oerspielt, weil der Lhinese ein« Spielratte ift und Schanghai ein paradie; der
Spielhöllen, zu kleinsten und grötzten Linsähen. aus S-iie M
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