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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 1.1905

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Keppler, Paul Wilhelm von: Der Freiburger Münsterturm
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https://doi.org/10.11588/diglit.2395#0021

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von Keppler, Der Freiburger Münsterturm

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dass ihre Silhouette dem Auge nicht steif und hart
erscheint, nicht steil und mager, sondern weich
und voll ins Himmelsblau sich einzeichnet.

Wen durchschauert nicht angesichts dieses
Baues die Ahnung und das Gefühl, dass er einer
der höchsten Großtaten der Kunst aller Jahrhun-
derte, einer der größten Leistungen des mensch-
lichen Geistes gegenübersteht? Dieser überwäl-
tigende Eindruck ist nicht etwa nur die Wirkung
des Kolossalen, der ungewöhnlichen Höhe und
Größe, der Elementarmacht riesiger Dimensionen.
Er ist kein grobsinnlicher, sondern ein geistiger,
dadurch erzeugt, dass diese aufgetürmte Masse
von Hunderttausenden von Quadern selbst ver-
geistigt, zu einem wahren Organismus durchgebildet
ist. Dieser Bau ist nicht mehr tote Materie; alles
an ihm ist Leben, alles ist strebende, tragende
Kraft, alles organische Entwicklung, alles Entfal-
tung eines treibenden Keimes, und das Ganze
ist die Verwirklichung und plastische Darstellung
einer hohen Idee, der höchsten und erhabensten,
deren der Menschengeist fähig ist, der Uridee
aller Religion und Grundidee des Christentums.
Sie heißt: Verbindung des Menschen mit Gott,
Emporstreben aus dunklen Tiefen in lichte Höhen,
Ringen nach Erlösung und Verklärung, Sehnsucht
nach mehr Licht, Heimweh nach Gott und nach
dem Himmel. Dieser Idee gibt der Turm er-
greifendsten Ausdruck; man möchte ihn das per-
sonifizierte Heimweh nennen, Heimweh nach der
wahren, ewigen Heimat, aber christliches Heim-
weh, das sich nicht in untätigem Träumen und
dumpfem Weltschmerz verzehrt, sondern arbeitet

Nordwestansicht des Hauptturms (über Eck).
 
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