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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 1.1905

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Keppler, Paul Wilhelm von: Der Freiburger Münsterturm
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https://doi.org/10.11588/diglit.2395#0022

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Keppler, Der Freiburger Münsterturm

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und ringt und kämpft, kraftvoll aufstrebt aus den weiches und warmes Gemütsleben, das sich allen

Niederungen und fragend und verlangend anpocht an Stimmungen und Wandlungen der Witterung und der

den Pforten höherer Welten. Der Blitzableiter, der Jahreszeiten anschmiegt und dem wechselreichen Spiel

an ihm emporgeleitet ist und mit seiner goldenen der Beleuchtung lebhaft Echo gibt in der Sprache der

Spitze seine Krönungsblume noch überragt, saugt die Farben.

zündenden Blitze der Gewitterwolken auf und macht Nichts ist lieblicher und lohnender, als dieses

sie unschädlich, indem er sie in Blitzeseile hinab- sein Gemütsleben zu belauschen. Wenn am Morgen

sendet in die Tiefe und in den Boden der Erde ab- eines schönen Tages die Sonne den ersten Goldstrahl

leitet. Der Turm selbst ist ein Blitzableiter anderer ihres Auges über den Schlossberg ins Tal sendet, so

Art: er zieht die Blitze unserer Gedanken an und gilt dieser ihr erster Gruß ihm, sie küsst das Kreuz,

leitet sie nach oben und lässt die elektrischen Span- das ihn krönt, und badet sein Haupt in tauigem

nungen unseres Gemütes, Spannungen bangen Zwei- Morgenlicht, und während am Boden noch Dünste

fels, heißen Schmerzes, brennender Reue und drücken- und Nebel wallen, schimmert schon seine Pyramide

den Ohnmachtsgefühls sich nach oben, in höheren in lichten Farbentönen, rosig überhaucht wie das

Regionen entladen in Flammen der Sehnsucht, des Antlitz eines eben vom Schlaf" erwachenden Kindes.

Verlangens, des Gebetes, so dass sie keine Ver- Und wenn die Abendsonne sich ehrfürchtig von

heerungen mehr anrichten können, sondern luft- ihm verabschiedet, und seine Tiara und sein Oktogon

reinigend und bluterneuernd wirken. in Farben- und Feuergluten taucht, da scheinen seine

Wenn wir uns den architektonischen Wert, die Pfeiler und Streben in massives Gold verwandelt
technische Vollendung und den ideellen Gehalt dieses und seine Pyramide gleicht dem feinsten Goldgewebe,
Werkes vergegenwärtigen und dabei bedenken, dass gehalten von goldenen Stangen. Da scheint er nicht
es der erste Versuch der Gotik in dieser Art ist, so mehr zu streben, sondern zu schweben, da ist er
erfasst uns berechtigtes Staunen. Aber das Staunen ganz verklärt und träumt von einer neuen Erde und
steigert sich zur Bewunderung angesichts der nicht einem neuen Himmel und ewiger Glorie,
etwa nur vom Freiburger Lokalpatriotismus, sondern An heißen Sommertagen rücken dieWetterwolken,
von der Kunstgeschichte konstatierten Tatsache, dass finstre Trauerzüge, gleich Kriegsheeren gegen ihn an;
die vier, bez. fünf andern Riesentürme deutscher sie verhüllen seinen ganzen Körper mit schwarzen
Gotik ihn eigentlich nur an Höhe und in unwesent- Floren, sie durchzucken seine Pyramide mit grellen
liehen Dingen übertreffen, nicht aber im wesentlichen, Blitzen, sie erschüttern ihn bis in die Fundamente
nicht an Klarheit und Großartigkeit der Gesamtanlage, hinab durch das furchtbare Grollen und Brüllen der
an Harmonie der Verhältnisse, an sieghaftem Empor- Donner. Da zittert auch er, aber nur einen Augen-
streben. Ja, er hat manche Charaktereigenschaften, blick. Dann reckt er wie ein Held in frohbewegter
welche ihm unbedingt den Rang vor seinen Brüdern Kampfeslust und starkem Gottvertrauen seinen Riesen-
anweisen. Sein Wesen ist durchaus lauter und klar körper und er bietet den feindlichen Gewalten Trotz
und vereinigt aufs glücklichste Kraft und Anmut, und scheint ihnen zuzurufen: mich schrecket ihr
Gesetzmäßigkeit und Freiheit, Ruhe und Bewegung, nicht, ich bin zu alt dazu; ich lebe schon fünf-
feste und markige Konstruktion und heiteren, leichten hundert Jahre und habe schon Schlimmeres durch-
Schwung, Einfachheit und Reichtum. Er ist nicht gekämpft.

so kühl berechnet und ausgezirkelt und nicht so Mitunter auch können wir in herbstlicher Zeit
überladen mit Motiven wie die Kölner Türme, nicht von der Höhe des Schlossbergs herab es beobachten,
so phantastisch wie der Straßburger, nicht so selbst- wie aus der Hexenküche des Höllentales endlose
gefällig und gefallsüchtig wie der Wiener und Ulmer; Nebelzüge hervorqualmen und mit lastender Wucht
es ist an ihm nichts Gesuchtes, Gemachtes, Erkünstel- sich auf die ganze Stadt legen und ihr das Sonnen-
tes, Übertriebenes, keine Schaustellung von Pracht, licht entziehen, wie sie die Kathedrale und den Fuß
kein Überschwang von Ornamenten, kein Virtuosen- des Turmes einhüllen und hoch an ihm emporbranden,
tum. Seine Größe und sein Liebreiz ist durchaus Aber ruhig und majestätisch ragt allein noch, ver-
natürlich, ungesucht und unbewusst, schlicht und gleichbar dem Leuchtturm des Ozeans, über das
jungfräulich. Nebelmeer empor das Oktogon und die Pyramide,

Nicht den letzten Beitrag zu seiner eigenartigen von Glorienlicht umstrahlt, lächelnd, heiter und

Schönheit dankt er aber dem Material, aus welchem wonnetrunken wie ein erlöster Geist.

er erbaut ist, dem roten Sandstein aus dem tiefen Dann wieder umwirbein im Winter in wirrem

Schoß der Schwarzwaldberge, grobkörnig zwar, aber Tanze die Schneeflocken den Turm und sie lagern

von intensiver Leuchtkraft der Farbe und Wärme an den edlen Gliedern und Hauptlinien des Baues

des Tons. Ihm dankt er sozusagen sein reiches, ihre feinen Kristalle ab und machen uns weis, dass
 
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