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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 1.1905

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Keppler, Paul Wilhelm von: Der Freiburger Münsterturm
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https://doi.org/10.11588/diglit.2395#0023

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von Keppler, Der Freiburger Münsterturm

15

:der

seine Krone aus purstem Silber getrieben sei, aus-
gelegt mit Millionen von Diamanten, welche im
Sonnenglanz blitzen und flimmern. Oder wir sehen
ihn in stiller Nacht umglastet von bleichem Mond-
licht, durchzittert von fahlem Glanz. Dann löst sich
sein Riesenkörper auf in eine Vision, in eine Er-
scheinung aus dem Geisterreich, welche mit magischer
Gewalt die Seele dorthin entführt. Oder an schwer-
mütigen, sonnenlosen Tagen erblicken wir ihn all
seiner Farbenschönheit entkleidet, düster und fast
schreckhaft aufstarrend, wie in unendliches Weh ver-
sunken, wie erfasst von der Menschheit ganzem
Jammer, und unsere Seele . . .

Doch wozu fortfahren in diesen Schilderungen,
die doch kein vollständiges Bild der Stimmungen und
Wandlungen seines Gemütslebens zu geben vermögen.
Nur eines noch: er offenbart noch viel wirksamer
sein verborgenes Innenleben. Er fängt an zu reden
und mit mächtiger Stimme auszusprechen, was sein
Gemüt bewegt. Er fängt an zu singen, und sein Ge-
sang ist wie der Donner der Gewitter und wie das
Rauschen vieler Stimmen; es hallt durch das weite
Tal und wogt empor an den Wänden der Berge. Am
frühen Morgen weckt seine eherne Zunge die Ka-
thedrale aus dem Schlaf und mahnt sie, dass es Zeit
sei, Gott das Frühopfer darzubringen, und am späten
Abend erinnert sie die Sterblichen ans Sterben und
an die Gestorbenen. Am Donnerstag abend klagt
und wimmert er, von tiefstem Mitgefühl durchzittert,
mit dem Heiland am Ölberg, und am Freitag um elf
Uhr predigt seine Hosanna mit einer Donnerstimme,
welche seine Felsenbrust erbeben macht: vergesset
nicht den größten Toten, der auf Golgatha verblutete,
sterbend für euch. Dann wieder jauchzt der Turm
auf in seliger Festesfreude, wenn er mit seinem vollen
Glockenchor als erster Prediger die Weihnachts-,
Oster-, Pfingstbotschaft ins Land rufen darf oder
seinen Erzbischof oder seinen Landesherrn begrüßt.
Da ist er ganz Leben, ganz Freude und Jubel; da
tönt und klingt er wie die Memnonsäule, vom Sonnen-
strahl berührt; da zieht ein Zittern und Beben durch
seinen ganzen Körper und ein melodisches Singen
und Klingen scheint seine Pyramide in Musik auf-
zulösen. -

Das ist unser Münsterturm und das haben wir
an ihm. Auf sechs Jahrhunderte schaut er zurück,
dieser älteste, echteste, edelste Freiburger Bürger, der
herrliche Held. Nicht spurlos sind sie an ihm vorüber-
gezogen. Sie haben ihm schwer zugesetzt, aber Herz
und Organismus ist gesund geblieben. Viele schwere
Kämpfe und herbe Erfahrungen haben ihm ihre Runen
ins Gemüt gegraben; aber sie konnten ihm den Cha-
rakter nicht verderben; sie haben ihm nur als Edel-
rost, als adelnde Patina seine Würde erhöht. Noch

mim -■

Ostansicht des Hauptturms.
 
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