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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 1.1905

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Kempf, Friedrich: Ein "Barmherzigkeits"-Bild Lukas Cranachs des Älteren von 1524 in der Freiburger Münster-Sakristei
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https://doi.org/10.11588/diglit.2395#0032

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Kempf, Ein „Barmherzigkeits"-Bild Lukas Cranachs des Altern

zerklüftete Felsen empor. Ihre Abtreppungen sind
bis hoch hinauf mit Bäumen und Gebüsch bewachsen.
Auch hier ist die höchste Stelle mit befestigten Bauten
belebt. An den äußersten Punkten der Felsenerhebung
treten überhängende, aus Holz gedachte Wehrbauten
zum Vorschein: ein von Cranach häufig verwendetes
Motiv.

Das Bild ist 1,08 m hoch und hat eine Breite
von 0,84 m. Es ist auf eine aus sechs Brettern ver-
leimte, 28 mm starke Lindenholztafel gemalt. Die
Erhaltung der Farbentextur darf im allgemeinen als
vorzüglich bezeichnet werden, abgesehen von etlichen
schmutzigen Firnisflecken. Einige Stellen des blauen
Gewandes der Mutter Gottes sind übermalt. Leider
hat das Bild oben links infolge einer durchgehenden
Schraube, mittelst deren die Rückwand befestigt ist,
eine kleine Beschädigung erlitten.

Wie bemerkt, ist das Werk mit der Jahreszahl
1524 und dem Monogramm des Meisters versehen
und zwar stimmt letzteres mit der Form des Cranach-
schen Künstlerzeichens überein, wie sie Flechsig für
die Zeit seiner Tätigkeit von 1509 bis Mitte 1537
nachgewiesen hat: ein Schlangenleib, aus dessen
mittlerer Windung ein Fledermausflügel heraus-
wächst1:

Überschauen wir nun das Bild vorurteilslos nach
der künstlerischen Seite, so tritt uns in allem die
ausgesprochene Individualität Cranachs entgegen. Was
gleich beim ersten Blick auffällt und anspricht, ist
die mit großer Liebe und Sorgfalt durchgeführte
technische Behandlung und die ernste Einfachheit der
Darstellung. Es ist nicht leicht ein zweiter Maler
zu nennen, der an immer wiederkehrenden Eigen-
schaften so leicht erkennbar ist wie Cranach. Ver-
gleichen wir unser Bild beispielsweise mit dem seinem
Inhalte nach durchaus verwandten authentischen Ge-
mälde, das im Dom von Meißen sich befindet, so
lassen sich fast in allen Einzelheiten charakteristische
Übereinstimmungen konstatieren. Wie auffallend ähn-
lich ist unser Bild sowohl in der Auffassungsweise
als in der Formensprache mit jenem. Die Modellie-
rung beider Christuskörper erinnert mehr an Elfen-
bein als an Fleisch. Auffallend übereinstimmend sind
die Formen des Rumpfes und die Behandlung der
Brustwunde mit dem aus ihr fließenden Blut. Man
betrachte sodann den Kopf Christi mit dem langen
Nasenrücken, der Barttracht, dem kurzen Backen-,
Kinn- und Schnurrbart. Seine ganze Haltung ent-
spricht Cranachs typischer Auffassungsweise. Kurz,
auf beiden Bildern fast dieselbe Gestalt. Mit Bezug auf

1 Eduard Flechsig, Cranachstudien I. S. 13f.

Christus sei noch auf die große Ähnlichkeit mit dem
Ecco homo-Bilde der Sterbeszene im Museum zu
Leipzig hingewiesen. Ganz auffallende Übereinstim-
mung besteht im weiteren in den Gestalten von Maria
und Johannes, die, was Gesichtstypus und Tracht
anlangt, sich mit denjenigen des Meißener Bildes
fast decken. Charakteristisch bei Maria ist das kurze
Gesicht mit kräftig betontem Unterkiefer und das die
ganze Stirne bedeckende Kopftuch. Bemerkenswert
ist auch die übereinstimmende Art und Weise, wie
Maria das Ende des Kopftuches um ihre rechte Hand
gelegt hat, und der vom Tuche nicht verdeckte kleine
gebogene Finger. Vollkommen verwandt mit unserem
Bilde sind auch die Gesichtszüge des Johannes auf
dem Bilde zu Meißen, mit seinen die Ohren ver-
deckenden, gedrechselt aussehenden Locken, die mit
größter Liebe und Geschicklichkeit behandelt sind.
Beinahe jedes Haar ist einzeln ungemein fein und
schwungvoll mit der Pinselspitze gezeichnet. Hier,
wie auf dem Meißener Bilde trägt Johannes fast ge-
nau dasselbe Gewand mit am Halse geknöpftem, ge-
schlossenem Kragen. Das Antlitz von Maria und
Johannes ist so scharf individualisiert, dass man ge-
neigt ist, auf die Verwendung eines und desselben
Modells zu schließen. Man begegnet diesem Gesichts-
typus auch auf andern Bildern Cranachs, wenngleich
in andern Lebensaltern; vielleicht ist für dasjohannes-
modell an seinen Sohn Hans zu denken.

Die vergoldeten Nimben, so der Strahlennimbus
bei Christus und der aus zwei konzentrischen Kreisen
gebildete Heiligenschein mit den Namen der Hei-
ligen und den Trennungszeichen sind für Cranachs
Kirchenbilder der 20er Jahre typisch. Sie finden
sich auf fast all seinen Heiligenbildern. Auch die
Gliederung des Sarkophags mit deren Blattmotiv
ist Cranachsche Eigenart. Am offenbarsten tritt die
Übereinstimmung unseres Bildes mit andern Cranach-
schen Werken in dem landschaftlichen Hintergrund
zu Tage. Besonders kennzeichnet unsern Meister
der eigenartig behandelte Baumschlag; ebenso die
Gestaltung der Felsen und das Gesträuch an
deren Absätzen und Böschungen. Dann liebt es der
Künstler, die natürliche Staffage durch allerlei phan-
tastische, zumeist miniaturartig gezeichnete Bauten zu
beleben. Endlich sind es auch die in den Wolken
schwebenden lieblichen Engelsköpfe, welche häufig auf
Cranachs Bildern anzutreffen sind und die in Bezug
auf Stil, Auffassung und Behandlung ein sehr beach-
tenswertes Beweismittel für die Identität des Meisters
abgeben. Schließlich könnte auch die Form und Be-
handlung der Wolken zum Vergleich in Betracht
gezogen werden; doch mag das Gesagte genügen, um
erkennen zu lassen, dass die ganze Mal- und Auf-
fassungsweise unseres Bildes mit den authentischen
 
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