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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 1.1905

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Kempf, Friedrich: Ein "Barmherzigkeits"-Bild Lukas Cranachs des Älteren von 1524 in der Freiburger Münster-Sakristei
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https://doi.org/10.11588/diglit.2395#0033

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Kempf, Ein „Barmherzigkeits"-Bild Lukas Cranachs des Altern

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Werken des Künstlers im wesentlichen durchaus
übereinstimmen.

Die Idee der Darstellung anlangend, mag es auf-
fallen, dass dieselbe dem wirklich geschehenen, hi-
storischen Vorgang nicht genau entspricht; der Maler
lehnt sich nicht unmittelbar an das Evangelium an.
Die dramatische Auffassung der Personen erinnert an
die Kreuzigung Christi. Der Sarkophag an das Grab,
in das der Heiland gelegt wurde. Wir sehen Christus
mit Mitleid erregendem Gesichtsausdruck, die Dornen-
krone auf dem Haupte, Blutstropfen rinnen an seinem
ganzen Körper herab. In Maria und Johannes treten
uns jammererfüllte Gestalten in schmerzlich bewegter
Teilnahme entgegen, Gestalten, die man sich ebenso-
gut vor dem Gekreuzigten denken könnte. Kurz,
die Stimmung des Bildes könnte nicht tragischer sein,
als wenn Christus im Begriffe stünde, sein Erlösungs-
werk zu vollbringen.

Das Auffallende in der Darstellung ist also, dass
der Heiland mit all seinen Wunden, denen er am
Kreuz erlegen ist, hier an seinem Grabe, das ihn in
wenigen Augenblicken als Leichnam aufnehmen soll,
lebend erscheint vor Maria, seiner heiligen Mutter
und seinem Lieblingsjünger Johannes, welche, neben
Maria Magdalena, fast die einzigen freundlichen Zeu-
gen bei der Kreuzigung waren. Es ist, als wollte der
Heiland der ganzen Welt, insbesondere aber diesen
zwei Lieblingsseelen sich noch einmal als Ecce homo
zeigen und sagen: seht mich, den Mann der Schmer-
zen; seht, wie ich nach den Worten des Propheten
einem Wurme gleich bin und keinem Menschen. Ihr
beide seid Zeugen meiner größten Erniedrigung,
meines Todes und meines Begräbnisses, wie ihr
auch die ersten Zeugen sein sollt meiner glorreichen
Auferstehung aus dem Grabe. Es ist, als ob die
Kunst die Fundamentalwahrheit des ganzen Christen-
tums, die Auferstehung Christi von den Toten hier
uns bildlich vor Augen führen wollte. Nehmen wir
Maria und Johannes als die Vertreter aller gläubigen
Christen, so sollen diese jetzt Zeugen sein des durch
eine Unsumme von Leiden und Schmerzen wahrhaft
getöteten und begrabenen Gottessohnes, wie sie am
Ostermorgen als Vertreter aller derer, die wahrhaft
glauben wollen, die ersten Zeugen sind seiner wirk-
lichen Auferstehung. Auch der Himmel entsandte
seine Boten, die aus den Wolken herniederschauen
auf ihren bis zu Tod und Grab erniedrigten Gott und
König.

So finden wir in unserem Bilde die wichtigsten
Vorgänge der Passion vereinigt; sein Inhalt stellt sich
gleichsam als eine visionär erschaute Vereinfachung
derselben dar. Es kann somit als eine Art Nachfolge
Christi betrachtet werden, die dem Menschen das
arme Leben, Leiden und Sterben Christi als einziges

und wahres Vorbild empfiehlt. Dem Betrachtenden
soll der Schmerz und das Leiden unmittelbar vor
Augen geführt werden, um dadurch die Bedeutung
des Schmerzes mitfühlend empfinden zu lassen. Der
ergreifende, höchstes Mitleiden erregende Anblick des
Schmerzensmannes, sein trauriger, aber versöhnender
Gesichtsausdruck sagen alles in einem Male, was die
einzelnen Passionsszenen ausführlicher behandeln.

Solche Darstellungen bezeichnete man zu ihrer
Zeit mit dem Namen „Barmherzigkeit'1. In den In-
ventaren der Stiftskirche in Halle, aus der aller Wahr-
scheinlichkeit nach unser Bild stammt, ist sehr oft
die Rede von Bildwerken oder Gemälden der „Barm-
herzigkeit". Dass damit solche Darstellungen wie die
unsrige gemeint sind, lässt sich mit Sicherheit nach-
weisen aus den mit Abbildungen versehenenReliquien-
verzeichnissen der Stiftskirche1.

Mit alledem ist indessen das Interesse, das wir
an dem Werke nehmen, nicht erschöpft; es knüpft
sich an dasselbe noch eine weitere, sehr beachtens-
werte Tatsache. Auf der Rückseite des Bildes zeigt
sich nämlich, wenn man sie von den dahinter befind-
lichen Brettern befreit, ein die ganze Tafel einnehmen-
des, auf dünnen Kreidegrund in Tempera gemaltes
Wappen. Dasselbe ist leider arg zerstört, da die Farbe
an vielen Stellen abgesprungen ist. Die vorhandenen
Fragmente lassen jedoch erkennen, dass das Wappen
sehr flott gezeichnet und mit Sorgfalt gemalt war. Die
einzelnen Figuren sind schwarz konturiert. Es ist ein
zweimal in der Breite und viermal in der Höhe ge-
teilter Wappenschild und kennzeichnet sich durch den
darüber befindlichen Kardinalshut mit Schnüren und

' Kraus sagt in dem Kapitel über Ikonographie und Sym-
bolik in seiner „Geschichte der christlichen Kunst" 2. Bd. 1. Abt.
Freiburg i. Br. 1897. S.305: „Diesseits der Alpen hat namentlich die
niederländische Kunst es kultiviert und in den Ecce homos des
Memling u. a. Werke von ergreifender Wirkung hervorgebracht,
in denen sich der innere Anteil der Frömmsten jener Zeit an
diesem Geheimnis des gottmenschlichen Leidens aufs wahrste
offenbart. Eine Reihe altdeutscher Maler und Stecher hat mit
Vorliebe sich an diesen Andachtsbildern der ,Erbärmde' des
Schmerzensmannes oder wie die Franzosen sagen, des Homme
de douleurs, versucht." Auch die städtische Gemälde-

sammlung zu Freiburg bewahrt eine Darstellung des „Schmerzens-
mannes". Es ist ein kleines, vorzügliches Bild von Hans Bai-
dung, auf welchem man die unendlich ergreifende Gestalt des
schmerzgebeugten Heilandes sieht. Es sind hier nur die Mutter,
gleichsam als Vertreterin aller mitfühlenden Menschenseelen,
sowie eine Schar Engel, die sich mit rührender Naivität um den
Schmerzensmann gruppiert, welche ihn beweinen. — Eine andere
merkwürdige Darstellung des Schmerzensmannes ebenfalls in
der städtischen Sammlung befindet sich auf einem Flügel eines
aus dem Kloster Adelhausen stammenden Altarwerks aus der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Man sieht Christus mit
Leidenswerkzeugen in den Wolken, den einige Dominikaner-
mönche mit ihren Händen über sich emporheben. Es handelt
sich bei diesem Bilde offenbar um eine eigenartige mystische
Auffassung, die nicht befremden kann, wenn man bedenkt, dass
die Dominikanerklöster die vornehmsten Pflegestätten des mysti-
schen Lebens waren.
 
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