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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 1.1905

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Sauer, Joseph: Das Freiburger Münster im Licht der neuesten Forschung
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https://doi.org/10.11588/diglit.2395#0050

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40

Kleine Mitteilungen und Anzeigen

Das Freiburger Münster im Lichte der neuesten Forschung.

Von

Privatdozent Dr. Joseph Sauer.

as Münster in Freiburg steht als Monumental-
urkunde vor uns, die durch sich selbst inter-
• pretiert werden muss; andere Hilfsmittel
\\B \&(L^ s'nd uns für dessen Frühzeit so gut wie
gar nicht zur Verfügung. So viele Inter-
pretatoren sich auch schon daran gewagt haben, der un-
gelösten Fragen sind nicht viel weniger geworden; das
letzte abschließende Wort der wissenschaftlichen For-
schung ist noch lange nicht gesprochen. Durch nichts
wird diese Tatsache besser illustriert als durch die zahl-
reichen Studien, die in den letzten Jahren über den
Bau und seine Kunstschätze erschienen sind; keine ein-
zige der wichtigeren Fragen, die die ältere Bauperiode
berühren, findet darin eine einheitliche Beantwortung.
Das neue Organ, das sich ganz in den Dienst des
Münsters und seiner Geschichte gestellt hat, begibt sich
demnach auf sehr aussichtsreichen Boden; von ihm und
von der tatkräftigen Mitarbeit aller urteilsfähigen Kräfte
dürfen wir wohl das letzte Wort, das über den Bau
überhaupt zu sagen sein wird, erwarten.

Das Freiburger Münster ist im deutschen Volke nie
so populär gewesen wie sein größerer und glücklicher
Bruder in Straßburg oder Köln; auch in der Kunst-
geschichte ist der so instruktive Bau nie Modeartikel
gewesen. Schreibers Studie ist bis heute noch immer der
Ausgangspunkt der Forschung; später denn ein halbes
Jahrhundert nach dieser ersten fleißigen Monographie
fallen die fachwissenschaftlichen Untersuchungen von
Adler, Baer, Geiges, Kempf und Schäfer. Der rege Eifer,
der sich neuerdings in Behandlung von Einzelfragen kund-
gibt, ist größtenteils veranlasst durch die monumentale,
vom Münsterbauverein herausgegebene Publikation der
Aufnahmen von Günther (1897) und durch Moriz-Eichborns
impulsives Buch über „den Skulpturenzyklus in der Vor-
halle des Freiburger Münsters" (1899). So willkürlich
auch vielfach die eigenartigen Konstruktionen Moriz-
Eichborns sind, so reklamenhaft aufdringlich die Art der
Behandlung, sein Werk hat anzuregen und die Forschung
doch weiterzubringen vermocht. Diese zwei letztgenannten
Publikationen liegen im wesentlichen auch einem Auf-
satz in den „Stimmen aus Maria-Laach" (1904, Heft 3)
zu Grunde, worin P. Beissel „das Freiburger Münster als
einen Herold künstlerischer Freiheit" preist. Wenn ich
hier über das kurze, mit warmer Begeisterung und gründ-
licher Sachlichkeit geschriebene Referat mich äußere,
so geschieht es vor allem mit dem Ausdruck der Freude,
dass ein solch kompetenter Kenner mittelalterlicher Kunst
wie P. Beissel einem weitern als dem bloß sachlich oder
lokal interessierten Publikum Liebe zu unserem Münster
erwecken und Kenntnis seiner künstlerischen Schönheiten
vermitteln will.

Das Prädikat „Herold künstlerischer Freiheit'1, das
P. Beissel dem Münster zuspricht, gebührt ihm mit

vollem Rechte, selbst wenn wir manches, was zu seiner
Begründung ins Feld geführt wird, abstreichen oder
mildern müssen. Der Bau gehört in seinem größern
Teil der interessanten Übergangszeit vom romanischen
zum gotischen Stil an. Über Nacht fast sind den deut-
schen Meistern die neuen Formen zugeflogen und mit
jugendfrischem Anpassungsvermögen werden in ihnen
schon begonnene Bauten weitergeführt, ohne dass sich
im mindesten unsere kleinlich-schwächlichen Skrupeln
von der Stilreinheit und -einheit geregt hätten. Ja, wir
sehen hier förmlich das Wachsen, das volle Ausreifen
des neuen Stils, von den herben, unbeholfenen Formen
der Frühgotik bis zur üppigen Höhe der Spätgotik; nir-
gends aber wird dadurch die einheitliche, ruhige Har-
monie des Baues beeinträchtigt; nirgends gibt sich das
Bestreben kund, die Übergänge möglichst zu verdecken.
Man sehe nur, wie unvermittelt an den östlichen Jochen
vom romanischen zum gotischen Stil übergeführt wird.
Von dem ersten Meister, der diese Überleitung besorgte,
kann wohl nicht gesagt werden wie vom Erbauer der
Stiftskirche zu Wimpfen im Tal: „accitus fortissimus ar-
chitectoriae artis latomus, qui tunc noviter de villa
Parisiensi e partibus venerat Franciae". Er hatte sich
von dem „opus francigenum" nur das Konstruktionsprinzip
angeeignet; die Formen sind bei ihm aber noch aus-
gesprochen romanisch und erzielen mitunter wie am
Maßwerk des östlichsten Fensters des Südschiffes recht
unglückliche Lösungen. Woher ihm die Anregung zur
neuen Bauweise zugekommen ist, wissen wir nicht; ob
von Burgund, ob, was näher liegt, von Straßburg? Es
darf wohl hingewiesen werden, dass von zwei fast gleich-
zeitigen Bauten des badischen Mittellandes, in unmittel-
barster Nähe von Straßburg gelegen, der eine, die Kloster-
kirche zu Allerheiligen (bei Oberkirch, begonnen 1225)
frühgotische Formen zeigt, beeinflusst, wie man neuer-
dings meint, von Laon aus, der andere, die noch er-
haltene Klosterkirche zu Schwarzach, eine eigenartige
Mischung von archaisch-barocken Formen des rein ro-
manischen Stils aufweist. Noch fehlt aber für alle
diese Frühwerke eine ähnlich genaue genealogische Her-
leitung, wie sie Enlart für die italienischen oder cypri-
schen gotischen Bauten hergestellt hat. Mit Laon und auch
mit Senlis hat man jedenfalls den Freiburger Turm in
Beziehung gesetzt, der sofort nach den zwei östlichen
Jochen begonnen und in der Hauptsache wohl schon
Ende des 13. Jahrhunderts vollendet wurde, wenn auch
die Forschungen von Geiges alle früheren genauen
Datierungen wieder über den Haufen werfen wollten.
Was Laon und Senlis indessen nur versucht, ist hier
in vollendetster Vollkommenheit erreicht und in der An-
schwellung der Freiburger Pyramide ist eine Wirkung von
so majestätischem Zauber erzielt, dass sie als einzig-
artige, unübertroffene Lösung betrachtet werden muss.
 
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