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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 1.1905

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Sauer, Joseph: Das Freiburger Münster im Licht der neuesten Forschung
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https://doi.org/10.11588/diglit.2395#0054

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Kleine Mitteilungen und Anzeigen

Wirtner und Nikolaus Scheffer der Patronin des Münsters,
der Gottesmutter ihre Huldigung darbringen, so konnten
wohl auch zuseiten des Crucifixus auf den Neben-
tafeln die Universität in ihrem Patron, dem hl. Hiero-
nymus, die Stadt in dem ihrigen, dem hl. Georg,
Johannes der Täufer als Patron der nahegelegenen
St. Johanneskapelle verewigt werden. Für den hl. Lau-
rentius, der aber keineswegs „als Geistlicher in reiche
Priestergewänder" gehüllt ist, sondern als Diakon sein
deutlich gezeichnetes Diakonalgewand trägt, lässt sich
vorerst ein ähnlicher Zusammenhang nicht ausfindig
machen. Ob da nicht der Umstand, dass er während
der Oktave des Mariähimmelfahrtsfestes, also der Feier
des Zentralgeheimnisses unseres Altares, in der Liturgie
kommemoriert wird, bestimmend war? Ohne Parallele
wäre dieses Beispiel nicht. Auch auf Rafaels Ver-
klärungsbild verdanken die beiden Diakone oben, die
schon manchen Kunstforscher arg in Harnisch gebracht
haben, ihre Anbringung nur dem Umstand, dass ihr
Fest zusammenfällt mit dem Feste der Transfiguratio.

Bei der Charakterisierung alter Porträtbilder, über
deren Persönlichkeiten man einigermaßen unterrichtet
ist, wird stets ein gut Stück subjektives Empfinden mit
einfließen; man wird aus dem Bilde herauslesen wollen,
was man von anderswoher weiß, woran aber der Künstler
kaum gedacht haben dürfte. So sind gewiss die vier
Münsterpfleger auf der rückseitigen Predella höchst in-
dividuell vom Künstler erfasst, jeder für sich ein
sprechender Charakterkopf. Man weiß nicht allzuviel
über die vier Herren, aber dieses wenige ist in der
Baumgarte «sehen Darstellung doch schon fast zu viel.
Ihm erscheint Sebastian von Blumneck „als feiner,
liebenswürdiger Edelmann" - „von ihm ist nur be-
kannt, dass er aus einem sehr vornehmen Geschlecht
stammt". „Has macht einen sehr gutmütigen, biedern
Eindruck" - er ist „bürgerlicher Ratsherr", und wie
kann ein solcher anders als „gutmütig, bieder" sein!
„Harte, unbarmherzige Klugheit steht auf dem Gesicht
des Magisters Ulrich Wirtner." Er kommt entschieden
am schlechtesten weg; weshalb wohl? „Bei den Ketzer-
gerichten, die seit 1524 von der österreichischen Re-
gierung zu Ensisheim abgehalten wurden, ließ er sich
als Untersuchungsrichter gebrauchen und bewies eine
unheimliche Geschicklichkeit, Klagen auf Ketzerei in
Gang zu bringen." Auch ein Ketzerrichter kann doch
wohl nicht anders als „hart und unbarmherzig" sein!
Sollten aber da nicht die Eindrücke dieser spätem
Vorgänge, vielleicht ohne dass es gewollt und bewusst
wurde, in die Interpretation des Baldungschen Bildes
projiziert worden sein? In jedem Falle wird ein völlig
von allen historischen Kenntnissen unbeeinflusster Be-
urteiler die Züge des feinen liebenswürdigen Edelmannes
viel weniger „angenehm" als die des Ketzerrichters
finden. Ein starker Schnitzer ist es dann, wenn Baum-
garten (S. 45) das Superpellicium des Münsterschaffners
für einen „Werkschurz" (!) ansieht.

Höchst wertvoll sind die Ausführungen, die Baum-
garten im zweiten Teil seines Buches über die ursprüng-

liche Gestalt des Hochaltars und über seine spätem
Wandlungen mitteilt. Hier erhalten wir völlig neue und
durchweg gesicherte Resultate. Es darf jetzt als aus-
gemacht angesehen werden, dass der Hochaltar ursprüng-
lich weiter nach rückwärts und mehr nach der Mitte des
Chors zu stand und dass die Fassung der Baldungschen
Tafel die denkbar einfachste war, bekrönt nach oben
nur durch eine einfache Ornamentleiste. Dadurch blieb
der Einblick in den Chorumgang völlig frei und un-
gehemmt und die Wirkung der Tafelbilder wurde nicht
beeinträchtigt durch den pomphaften Aufbau, den wir
heute sehen. Die ursprüngliche Gestalt der Retable ist
uns noch überliefert in zwei flüchtigen Zeichnungen, von
denen die eine in der Universitätskapelle den Deckel
über dem Bildnis von Michael Küblin (f 1600) schmückt,
die andere in Mollers Münsterwerk vom Jahre 1827 sich
findet. Die Umänderung des Altars vollzog sich 1827
im Anschluss an die Erhebung des Münsters zur erz-
bischöflichen Kathedrale; für die Konsekrationsfeierlich-
keiten wurde der ganze Altar niedergebrochen, weiter
nach dem Chorscheitel hin verlegt und völlig neu auf-
gebaut, die Montierung der Retable, die nach der flüch-
tigen Umrisszeichnung A. von Bayers in Schreibers Münster-
buch ursprünglich etwas anders gedacht war, wurde von
den begabten Bildschnitzern Joseph Glänz und Sohn ge-
fertigt. Bei diesem Umbau scheint auch die jetzige
Vorderpredella, eine recht handwerksmäßige, aus Dürer
und Schongauer zusammengestohlene Bildschnitzerei mit
der Anbetung der drei Weisen, angebracht worden zu sein.
Recht wesentliche Veränderungen hat sich auch die
eigentliche Mensa gefallen lassen müssen, an der eine
Seitenkonsole noch die Jahrzahl 1511 trägt. Man hat
sie zunächst um 25 cm tiefer in den Boden eingelassen,
wodurch der schönprofilierte Sockel völlig unsichtbar
wurde, und den bedeutenderen Zwecken, denen der Altar
jetzt zu dienen hatte, wurde entsprochen durch eine be-
trächtliche Anstückung nach beiden Seiten; auch die
Frontmauer legte man weiter nach vorn, so dass der
schönprofilierte Überhang der Deckplatte gleichfalls ver-
loren ging. Interessant ist, dass der ursprüngliche Altar
rechts und links eine kleine Fenestelle hatte; das da-
hinter liegende Sepulcrum ist ohne Zweifel aber erst bei
den tiefgreifenden Änderungen 1827 durch ein kleineres
im Altarstein ersetzt worden, und jetzt erst, sicherlich
nicht früher, konnte der innere Hohlraum der Mensa, der
von hinten durch drei Türchen zugänglich ist, als Aufbe-
wahrungsort für allerhand Kirchengerät in Frage kommen.
Wie man sieht, ist die Baumgartensche Studie reich
genug an neuen Forschungsresultaten und Anregungen,
dass jeder Freund unseres Münsters sich mit dank-
barer Genugtuung daraus die Entstehung und Schick-
sale eines bedeutsamen und nicht des gleichgültigsten
Werkes in seinem reichen Kunstschatz erzählen lassen
wird. Möge sich nach diesem Vorbild recht bald Studie
an Studie reihen, bis der ganze, große und weite Kultur-
epochen umspannende und widerspiegelnde geistige In-
halt, das reiche und komplizierte Leben des mächtigen
Baues in allen Einzelheiten geklärt vor uns stehen.
 
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