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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 5.1909

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Das Meisterbild am Münsterturm
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https://doi.org/10.11588/diglit.2635#0048
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Kleine Mitteilungen und Anzeigen.

Das Meisterbild am Münsterturm.

■T/gPïÇn der „Zeitschrift für bildende Kunst"

IBftV N' F' 20 ^44' Jahrg-)' Heft 4' LeiPziS
^B^rA (Januar) 1909 S. 88—100 hat Dr. Max

yfH^W Kemmerich in München einen Aufsatz
über „das deutsche frühmittelalterliche
Porträt bis zum Ausgang des romanischen Stils" ver-
öffentlicht und darin, an eine frühere Arbeit (41. Jahrg.
1906 S. 147—160) anknüpfend, seine wiederholt ver-
fochtene Ansicht, „daß bereits das frühe Mittelalter
entgegen der bisherigen Anschauung Porträtfähigkeit
besessen habe", weiter ausgeführt und begründet.

Er kommt dabei auch auf die bekannte Konsol-
büste unter der Achtecks-Galerie des Freiburger
Münsterturms, wie sie im 1. Jahrg. dieser Zeitschrift
S. 16 abgebildet ist, zu sprechen, die gewöhnlich
als Porträt des Turmbaumeisters angesprochen wird.
Kemmerichs Ausführungen sind so feinsinnig, scharf
und lehrreich und für die Bewertung der plastischen
Kunst des Freiburger Münsters so bedeutsam, dass
sie hier wörtlich wiedergegeben zu werden verdienen.
Er wählt, nachdem er von den Idealgestalten der
Meisterbilder des 13. Jahrhunderts überhaupt ge-
handelt hat, gleichsam als Schlussstein seiner Beweis-
führung zwei markante Porträtfiguren von unserem
Münster: den Kopf der als Bernhard von Clairvaux
oder auch als Albertus Magnus gedeuteten Statue in
der dritten Bildnisreihe an der nordöstlichen Ecke
des Turms (vgl. E. Kreuzer im Freiburger Diözesan-
Archiv N. F. 2, 1901, S. 113ff.) und die schon
genannte Meisterbüste, zwei bekannte Köpfe von
unserem Münster, die er beide in wohl getroffenen
Abbildungen vorführt. «Ein Vergleich beider», sagt
er, «ergibt, daß keine Gesichtspartie des einen Kopfes
wie die entsprechende des anderen gebildet wurde, daß
vielmehr Mund, Nase, Kinn, Stirne, Wangen, Hals,
Haare, ja sogar Augen und wohl auch Ohren durchaus
abweichen. Können wir auch daraus nicht den er-
reichten Ähnlichkeitsgrad exakt beweisen, so zwingt dies

doch zur Feststellung, daß von stilistischer Manier, so-
weit sie individueller Bildung entgegensteht, von Kanon
oder Schönheitsideal keine Rede mehr sein kann. Wir
haben hier einen Realismus zu bewundern, der in den
folgenden Jahrhunderten bis zur Gegenwart nicht über-
troffen wurde.

«Und doch wird jeder sofort einen Unterschied
zwischen diesen Köpfen und denen der Gegenwart be-
merken. Besonders wird dem aufmerksamen Beschauer
auffallen, daß in Berücksichtigung des Lebensalters der
Dargestellten die feinen Fältchen an Augen und Mund
fehlen, daß auch die Falten auf der Stirn, besonders bei
dem auf Erwin von Steinbach getauften Kopf etwa
parallel verlaufen, also regelmäßiger als es in der Natur
vorzukommen pflegt.

«Während wir in dieser noch etwas schematischen
Formgebung der Stirn einen letzten Nachhall der stili-
sierenden Tendenz, mit der jede Kunst beginnt, zu er-
blicken haben, ist die andere Tatsache anders zu er-
klären, nämlich durch bewußte Vereinfachung. Die
wesentlichen Linien des Gesichtes, sagen wir die kon-
struktiven Falten, sind gewissenhaft verzeichnet, die
feinsten Fältchen aber fortgelassen, weil der hohe Auf-
stellungsort der Plastiken diese Vereinfachung gestattet.
. . Trotzdem sind diese Porträts vollständig, d. h. sie
enthalten alle wesentlichen Merkmale und regen wohl
die Phantasie im einzelnen an, lenken sie aber nirgends
in falsche Bahnen. Diese Distanz zwischen Beschauer
und Gegenstand . . , deren Folge eine Vereinfachung
der Ausdrucksmittel war, ruft eine Steigerung der Wir-
kung hervor. Ihr ist es zu danken, wenn sich die
charakteristischen Züge dieser Köpfe unauslöschlich dem
Gedächtnis einprägen. Damit haben wir den ersten
Höhepunkt der deutschen Porträtkunst erreicht. Was
die folgenden Jahrhunderte . . schufen, geht prinzipiell
als porträtistische Leistung nicht über das hinaus, was
um 1250 geschaffen wurde . . Nicht eine mosaikartige
Zusammentragung möglichst vieler Einzelheiten kann als
höchstes Ziel der Porträtkunst betrachtet werden, son-
dern die energische Herausarbeitung der Wesenheit
einer Individualität. Daß das bereits der deutschen
Plastik des 13. Jahrhunderts gelang, gibt ihr ihren her-
vorragenden Platz in der Entwickelungsgeschichte des
Porträts der Menschheit.»
 
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