Das Münster vom Hebsack aus gesehen.
Zur Deutung einiger Standbilder am Freiburger
Münsterturm.1
Von
Emil Kreuzer, Erzbischöflichem Justitiar.
^jgo^m jetzigen Zeitpunkt, da ein mächtiges
/ Gerüst einen der schönsten Teile unseres
I vv) nerrl'cnen Münsterturmes umschließt und
yfM^N-Jf seinen Gesamteindruck stört, zugleich
aber die sichere Hoffnung gibt, dass sorg-
same Erkundung und Heilung der Gebresten des
600jährigen Riesen diesem für viele kommende Jahr-
hunderte von neuem die Gesundheit sichern, ist der-
selbe ganz besonders in den Vordergrund des Inter-
esses gerückt. Die zeitweise Verhüllung seiner Pracht
führt zu neuer und lebhafterer Vergegenwärtigung
seiner erhabenen Schönheit.
Einer unserer bedeutendsten Kunstforscher,
Kugler2, hat den Freiburger Münsterturm den „Stolz
der gotischen Architektur' genannt. „Wenigstens ver-
eint unter all den Türmen, die zur Ausführung ge-
kommen sind, keiner in gleichem Maße Reichtum,
Kühnheit der Konstruktion und freien, gemessenen
1 Dieser Aufsatz ist zuerst 1901 im „Freiburger Diözesan-
Archiv". Neue Folge 2. Band (der ganzen Reihe 29. Band) ver-
öffentlicht worden. Da die Schriftleitung der Münsterblätter ihn
auch ihrem Leserkreise zugänglich gemacht sehen will, wurde er
neu durchgesehen, verbessert und ergänzt. Seine Ergebnisse und
deren Begründung sind in den seit seiner ersten Veröffentlichung
verflossenen 12 Jahren von keiner Seite angefochten worden.
- Kleine Schriften 2, 413 bei Kraus, Die Restauration des
Freiburger Münsters, Rede usw. Freiburg 1890 S.7; vgl. Kraus,
Geschichte der christlichen Kunst 11. 1. Abteil. Freiburg 1897
S. 199.
Freiburger Mlinsterblhtter IX, 1/2.
Adel der Formenbildung", so begründet er sein Ur-
teil. „Alles", sagt er, „ist hier in den elegantesten
und leichtesten Formen gebildet; je höher die letz-
teren emporsteigen, um so flüssiger und luftiger wird
ihre Dekoration, bis dem obersten Gipfelpunkte die
mächtige Kreuzblume entblüht, die ihre Blätter dem
Himmelsgewölbe entgegenbreitet. Wunderbar von
außen zu schauen, ist der Durchblick durch dieses
luftige Formenspiel in das Blau des Himmels, wenn
man auf der Plattform steht, fast noch wunderbarer,
vornehmlich des Abends, wenn die Glut der unter-
gehenden Sonne dies märchenhafte Gebilde mit Pur-
pur und Gold überzieht."
Wenn an schönen Tagen im Morgenlicht die
Turmspitze in rosigem Schimmer erglänzt, während
unten noch violette Schatten den Riesenbau umhüllen;
wenn an schönen Sommerabenden im Widerschein
der sinkenden Sonne der ganze Turm erglüht wie
golden leuchtende Bronze; wenn im Winter auf dem
von Feuchtigkeit tief dunkeln Stein der frisch ge-
fallene Schnee in blendendem Weiß alle Umrisse
der Architektur und Ornamentik wie ein Spitzen-
gewebe erscheinen lässt; wenn im fahlen Mondschein
der gigantische Bau wie eine Geisterburg zum Him-
mel ragt; wenn bei Münsterbeleuchtungen von dem
gelben, roten, grünen Lichtglanz im Innern die mäch-
tigen Bogen des Achtecks und die Maßwerke der
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Zur Deutung einiger Standbilder am Freiburger
Münsterturm.1
Von
Emil Kreuzer, Erzbischöflichem Justitiar.
^jgo^m jetzigen Zeitpunkt, da ein mächtiges
/ Gerüst einen der schönsten Teile unseres
I vv) nerrl'cnen Münsterturmes umschließt und
yfM^N-Jf seinen Gesamteindruck stört, zugleich
aber die sichere Hoffnung gibt, dass sorg-
same Erkundung und Heilung der Gebresten des
600jährigen Riesen diesem für viele kommende Jahr-
hunderte von neuem die Gesundheit sichern, ist der-
selbe ganz besonders in den Vordergrund des Inter-
esses gerückt. Die zeitweise Verhüllung seiner Pracht
führt zu neuer und lebhafterer Vergegenwärtigung
seiner erhabenen Schönheit.
Einer unserer bedeutendsten Kunstforscher,
Kugler2, hat den Freiburger Münsterturm den „Stolz
der gotischen Architektur' genannt. „Wenigstens ver-
eint unter all den Türmen, die zur Ausführung ge-
kommen sind, keiner in gleichem Maße Reichtum,
Kühnheit der Konstruktion und freien, gemessenen
1 Dieser Aufsatz ist zuerst 1901 im „Freiburger Diözesan-
Archiv". Neue Folge 2. Band (der ganzen Reihe 29. Band) ver-
öffentlicht worden. Da die Schriftleitung der Münsterblätter ihn
auch ihrem Leserkreise zugänglich gemacht sehen will, wurde er
neu durchgesehen, verbessert und ergänzt. Seine Ergebnisse und
deren Begründung sind in den seit seiner ersten Veröffentlichung
verflossenen 12 Jahren von keiner Seite angefochten worden.
- Kleine Schriften 2, 413 bei Kraus, Die Restauration des
Freiburger Münsters, Rede usw. Freiburg 1890 S.7; vgl. Kraus,
Geschichte der christlichen Kunst 11. 1. Abteil. Freiburg 1897
S. 199.
Freiburger Mlinsterblhtter IX, 1/2.
Adel der Formenbildung", so begründet er sein Ur-
teil. „Alles", sagt er, „ist hier in den elegantesten
und leichtesten Formen gebildet; je höher die letz-
teren emporsteigen, um so flüssiger und luftiger wird
ihre Dekoration, bis dem obersten Gipfelpunkte die
mächtige Kreuzblume entblüht, die ihre Blätter dem
Himmelsgewölbe entgegenbreitet. Wunderbar von
außen zu schauen, ist der Durchblick durch dieses
luftige Formenspiel in das Blau des Himmels, wenn
man auf der Plattform steht, fast noch wunderbarer,
vornehmlich des Abends, wenn die Glut der unter-
gehenden Sonne dies märchenhafte Gebilde mit Pur-
pur und Gold überzieht."
Wenn an schönen Tagen im Morgenlicht die
Turmspitze in rosigem Schimmer erglänzt, während
unten noch violette Schatten den Riesenbau umhüllen;
wenn an schönen Sommerabenden im Widerschein
der sinkenden Sonne der ganze Turm erglüht wie
golden leuchtende Bronze; wenn im Winter auf dem
von Feuchtigkeit tief dunkeln Stein der frisch ge-
fallene Schnee in blendendem Weiß alle Umrisse
der Architektur und Ornamentik wie ein Spitzen-
gewebe erscheinen lässt; wenn im fahlen Mondschein
der gigantische Bau wie eine Geisterburg zum Him-
mel ragt; wenn bei Münsterbeleuchtungen von dem
gelben, roten, grünen Lichtglanz im Innern die mäch-
tigen Bogen des Achtecks und die Maßwerke der
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