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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Editor]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 9.1913

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Kreuzer, Emil: Zur Deutung der Standbilder am Freiburger Münsterturm
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https://doi.org/10.11588/diglit.2637#0023
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Kreuzer, Zur Deutung einiger Standbilder am Freiburger Münsterturm

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liehen Hahnenturm stellt eine Episode aus dem Os-
waldsliede — ein Abenteuer seines Raben -- dar.

Der Rabe als Brautwerber fliegt bis zum zehnten
Tage ohne Speise und Trank. Dann setzt er sich
auf einen Felsen im Meere, um zu rasten, und fängt
einen Fisch. Aber ein wildes Meerweib packt ihn
und zieht ihn hinab auf den Meeresgrund. Da ver-
langt ein anderes Meerweib, der Rabe solle Kurzweil
treiben; der Rabe aber fordert Speise und Trank.
Sie geben es ihm. Neugestärkt sinnt er auf Flucht,
lenkt listig die Aufmerksamkeit der Meerweiber von
sich ab und entkommt1. In dieser Sage steckt ein
lehrhafter in die Kirche passender Sinn:
Wer bei Erfüllung einer großen Auf-
gabe ermattet und nicht ausharrt bis
ans Ende, sondern das niedere Trieb-
leben Herr werden lässt, gerät in die Ge-
fangenschaft der bösen Leidenschaften.

Der hl. Oswald war also in Frei-
burg längst gekannt und verehrt, und es
kann nicht überraschen, sein Bildnis
auch an hervorragender Stelle des Mün-
sterturmes zu finden.

Beda erzählt, König Oswald habe
einst am hohen Osterfeste mit Bischof
Aidan zu Tische gesessen, als ihm ge-
meldet wurde, es stünden viele Arme
draußen und harrten auf Almosen. Der
fromme König habe alsbald die Speisen
hinausgetragen und verteilt und schließ-
lich sogar das Prunkgeschirr der könig-
lichen Tafel in Stücke brechen und den
Armen reichen lassen. Bischof Aidan
habe darauf die Rechte des Königs er-
griffen und vorausgesagt, diese Hand
werde nie verwesen. Diese Erzählung
führte dazu, dass der hl. Oswald mit
einem Prunkgefäß in der rechten Hand
dargestellt wird, das regelmäßig die Form eines
kürbisflaschenartig geformten Pokales hat, auf dem
häufig ein Rabe sitzt, der dann meist den Braut-
ring im Schnabel trägt. So ist der hl. Oswald u. a.
dargestellt an dem gotischen Flügelaltar von St. Os-
wald im Höllental [Mittelfigur im Schrein, Gemälde

1 Pölzl S. 99; Schultze S. 7. Diese Erklärung des Sirenen-
bildes hat zuerst Friedr. Panzer in einem Vortrage in der
Gesellschaft für Beförderung der Geschichts-, Altertums- und
Volkskunde zu Freiburg i. Br. gegeben. Vgl. Anm. 115 zu
Panzer, Der romanische Bilderfries am südlichen Choreingang
des Freiburger Münsters und seine Deutung: Münsterblätter
2, 34. Es wäre sehr zu wünschen, daß die Münsterblätter noch
mit der von Herrn Prof. Panzer in Aussicht gestellten Be-
sprechung der übrigen Darstellungen aus diesem Stoffkreise
am Münster und in unserer Umgebung bereichert werden
könnten.

Freiburger Münsterblätter IX, 1/2.

Abbild. 10. Hl. Lucius.

Glasmalerei im nördlichen

Querschiff.

(Nach einer Aufnahme von
Prof. F. Geiges.)

an der Außenseite eines Flügels]9. Namentlich
häufig sind solche Darstellungen in Tirol3. Ich
nenne hier die Fresken aus dem 13. Jahrhundert im
Vorbau der Kirche St. Johann zu Taufers im Vinst-
gau, aus dem 15. Jahrhundert im Brixener Dom-
kreuzgang, die Schnitzwerke aus dem Ende des
15. oder Anfang des 16. Jahrhunderts auf einem
Flügel des wundervollen Altares zu Pinzon, im Flügel-
altar der Kirche zu Landeck. Das Armreliquiar des
hl. Oswald aus dem 15. Jahrhundert im Domschatz
zu Solothurn ist mit einer Statuette des Heiligen ge-
schmückt, welche das Gefäß in der Rechten trägt.
Eine Darstellung des hl. Oswald wird
auch in der sitzenden Königsfigur (Glas-
gemälde) einer Rosette des zweiten
Fensters des südlichen Seitenschiffes
des Freiburger Münsters zu erblicken
sein, welche Marmoni irrig als Figur
Christi oder (sie!) der Kirche mit Kelch
bezeichnet hat, obschon sie einen un-
bärtigen Mann mit Königskrone und
Königsmantel darstellt und das Gefäß,
welches der König hält, kein Kelch ist,
sondern die charakteristische Form des
Attributs des hl. Oswald zeigt.

Manche Oswaldskapellen enthalten
oder enthielten denn auch Bilder der
sogenannten hl. Kümmernis, richtiger
Nachbildungen des Volto Santo, des
altehrwürdigen Kruzifixbildes im Dome
zu Lucca, das in der Kreuzzugszeit,
als angeblich von der Hand des Nico-
demus gefertigt, ebenfalls ein viel-
besuchtes Wallfahrtsziel der Kreuz-
fahrer, besonders nach glücklicher
Heimkehr war. Jene „Kümmernis"-
Bilder bezeichnen also die Heimwege
der Kreuzfahrer.
Nach einer Legende soll, als Oswald zum Könige
gesalbt werden sollte, das Gefäß mit dem Salböl

2 Dieser bisher viel zu wenig gewürdigte Altar enthält
folgende Darstellungen: als Schnitzwerke im Schrein St. Oswald,
St. Matthias, Erzengel Michael, im Aufsatz St. Sebastian; als
Gemälde auf der Innenseite der Flügel Maria Verkündigung,
Anbetung der hl. Dreikönige, auf der Außenseite die vier ge-
nannten Heiligen (St. Oswald mit dem Gefäß in der Rechten,
den Raben mit dem Ring zu Füßen; vgl. die irrige Deutung
in der Zeitschrift Schauinsland Jahrlauf 12, 16), an der Predella
die Brustbilder des Heilands und der zwölf Apostel. — Auf dem
rechten Seitenaltar der Kapelle ein kleines sitzendes Figürchen:
St. Oswald mit dem Gefäße.

:l Vgl. u. a. Der Kunstfreund (Bozen) von Atz und Madein,
9. Jahrg. (1893) S. 9 ff.; Abbildg. des Landecker Altars S. 11,
12. Jahrg. (1896) S. 14; Atz, Die christl. Kunst in Wort und
Bild, 3. Aufl. Regensburg 1899 S. 405 f. Atz, Kunstgeschichte
von Tirol und Vorarlberg. 2. Aufl. Innsbruck 1909 S. 597 ff.

4 A. a. O. S. 81.

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