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Asmus, Der „Fürst der Welt" in der Vorhalle des Freiburger Münsters
noch im Körper weilende Seele gleicht1 dem Meer-
gotte Glaukos, an dem sich Austern und Seetang und
Steine derart angehängt haben, dass er mehr einem
Tiere ähnlich sieht als seinem ursprünglichen Wesen.
Ferner erscheinen'2 die von der Erde zu der Richt-
stätte emporsteigenden Seelen mit Schmutz und Staub
bedeckt. Endlich sind auch nach dem Gorgias3 die
zu richtenden Seelen, unter welchen sich auch der
Tyrann Archelaos befindet, nackt1 und mit Striemen
und Narben als Sündenmalen verunzierte
Ich verhehle mir nicht, dass mein Erklärungs-
versuch noch sehr der Ergänzung bedürftig ist. Es
bleibt noch nachzuweisen, auf welchem Wege die
von orphisch-pythagoreischen Vorstellungen beein-
flusste Platonische Idee in die Gedankenkreise des
1 Nach p. 611 D.
5 P. 614 D. ' P. 523 ff.
1 Vgl. Crat. p. 403 B.
5 S. L. von Sybel, Christliche Antike 1. Marburg 1906
S. 63 ff.
christlichen Mittelalters gelangte", und wie sie hier
im einzelnen ausgestaltet wurde7. Diese Aufgaben
liegen aber auf dem Gebiet der mittelalterlichen
Theologie und Kunstgeschichte, auf welchem ich
Laie bin. Daher beschränke ich mich auf die ge-
gebenen Andeutungen. Mögen sie bei den Kennern
auf fruchtbaren Boden fallen und für die genetische
Deutung der Darstellungen des jüngsten Gerichtes
nutzbar werden !
c Wyttenbach, Animadversiones in Plutarchi Moralia II
(Lips. 1821) p. 580 verweist für die Nacktheit der Seelen u. a.
auf Origines c. Celsum II p. 419. (Die Seele Christi steigt zu
den nackten, körperlosen Seelen hinab) und für die Seelen-
narben auf Basilius 1 p. 147, Greg. Naz. Or. XVI p. 263 D und
Isidorus Peius. I. Ep. 417. — Dieterich, Nekyia. Leipzig 1893
S. 115 Anm. 1 stellt fest, dass der Grundgedanke des eschato-
logischen Mythus im <Staat , Gott sei unschuldig an dem Übel,
noch im 6. Jahrhundert ein Schlagwort in den Debatten über
die Willensfreiheit bildete.
7 Ist bei den Sündenmalen des «Fürsten der Welt > an eine
Vermengung mit Vorstellungen von der Vernichtung des Leibes
im Grabe zu denken?
Der Fürst der Welt.
Statue am Münster zu Straßburg.
Asmus, Der „Fürst der Welt" in der Vorhalle des Freiburger Münsters
noch im Körper weilende Seele gleicht1 dem Meer-
gotte Glaukos, an dem sich Austern und Seetang und
Steine derart angehängt haben, dass er mehr einem
Tiere ähnlich sieht als seinem ursprünglichen Wesen.
Ferner erscheinen'2 die von der Erde zu der Richt-
stätte emporsteigenden Seelen mit Schmutz und Staub
bedeckt. Endlich sind auch nach dem Gorgias3 die
zu richtenden Seelen, unter welchen sich auch der
Tyrann Archelaos befindet, nackt1 und mit Striemen
und Narben als Sündenmalen verunzierte
Ich verhehle mir nicht, dass mein Erklärungs-
versuch noch sehr der Ergänzung bedürftig ist. Es
bleibt noch nachzuweisen, auf welchem Wege die
von orphisch-pythagoreischen Vorstellungen beein-
flusste Platonische Idee in die Gedankenkreise des
1 Nach p. 611 D.
5 P. 614 D. ' P. 523 ff.
1 Vgl. Crat. p. 403 B.
5 S. L. von Sybel, Christliche Antike 1. Marburg 1906
S. 63 ff.
christlichen Mittelalters gelangte", und wie sie hier
im einzelnen ausgestaltet wurde7. Diese Aufgaben
liegen aber auf dem Gebiet der mittelalterlichen
Theologie und Kunstgeschichte, auf welchem ich
Laie bin. Daher beschränke ich mich auf die ge-
gebenen Andeutungen. Mögen sie bei den Kennern
auf fruchtbaren Boden fallen und für die genetische
Deutung der Darstellungen des jüngsten Gerichtes
nutzbar werden !
c Wyttenbach, Animadversiones in Plutarchi Moralia II
(Lips. 1821) p. 580 verweist für die Nacktheit der Seelen u. a.
auf Origines c. Celsum II p. 419. (Die Seele Christi steigt zu
den nackten, körperlosen Seelen hinab) und für die Seelen-
narben auf Basilius 1 p. 147, Greg. Naz. Or. XVI p. 263 D und
Isidorus Peius. I. Ep. 417. — Dieterich, Nekyia. Leipzig 1893
S. 115 Anm. 1 stellt fest, dass der Grundgedanke des eschato-
logischen Mythus im <Staat , Gott sei unschuldig an dem Übel,
noch im 6. Jahrhundert ein Schlagwort in den Debatten über
die Willensfreiheit bildete.
7 Ist bei den Sündenmalen des «Fürsten der Welt > an eine
Vermengung mit Vorstellungen von der Vernichtung des Leibes
im Grabe zu denken?
Der Fürst der Welt.
Statue am Münster zu Straßburg.