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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Editor]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 13.1917

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Kempf, Friedrich: Heimsuchungen und Schicksale des Freiburger Münsters in Kriegsnot, durch Menschenhand und Feuersgefahr: II. Durch Menschenhand
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https://doi.org/10.11588/diglit.2399#0014
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10

Kempf, Heimsuchungen und Schicksale des Freiburger Münsters in Kriegsnot, durch Menschenhand und Feuersgefahr

bildungen versehene Aufzeichnungen über die Aus-
stattung des Münsters gemacht hat. Dieselben ent-
halten auch vier Wappenzeichnungen, unter denen
sich das des Johannes Lülch (am Kragstein der
Christusstatue) und das des Johannes Küchlin 1 (am
Kragstein der St. Thomasstatue) befinden. Über
diesen beiden Wappen steht geschrieben: „Wappen
unter den beiden Engeln im Chor". Auf Grund dieser
Bemerkung nimmt Schuster-, der freilich die ver-
schollen gewesenen Leuchterengel nicht kannte, an,
der Bau des Lettners (1580) oder sicher sein Umbau
(1667) habe eine Umstellung der Figuren notwendig
gemacht, weil dadurch die Reihenfolge der Apostel-
statuen unterbrochen wurde. Deshalb habe man die
hinteren zwei Leuchterengel zu beiden Seiten der
Madonna vom inneren Hauptportal nach vorn an die
östlichen Vierungspfeiler gestellt, wo heute Christus
und St. Thomas stehen, während diese letzteren Fi-
guren an die Plätze der Engel gekommen sind; nach
erfolgtem Abbruch des Lettners sei dann die frühere
Anordnung der Figuren wieder hergestellt worden.
Wir vermögen uns dieser Auslegung nicht anzu-
schließen. Unsere Auffassung von der Sachlage,
ohne für sie unbedingten Anspruch auf Richtig-
keit erheben zu wollen, ist die, dass eine Umstellung
der Figuren niemals stattgefunden hat, dass vielmehr
die Engel, die Geissinger über den wappengeschmück-
ten Kragsteinen sah, offenbar keine anderen waren
als die in Rede stehenden, von uns wieder zum Vor-
schein gebrachten Leuchterengel, die in bewußter
Absichtlichkeit von jeher dort gestanden haben konn-
ten. Sie bilden in diesem Falle, nach der mittel-
alterlichen symbolischen Auffassung von der Zwei-
teilung des Gotteshauses, den vermittelnden Über-
gang vom Schiff zum Chor der Engel3 und Hei-
ligen, in gewissem Sinne also von der irdischen
Welt zur überirdischen. Zugleich weisen die Leuchter-
engel als solche hin auf den Altar, auf Christus, der
Quelle alles Lichtes.

Dass die in Rede stehenden zwei Engelsgestalten
in den Kreis der Langschiffiguren ' gehören, geht

1 Die Namen dieser beiden Geschlechter stehen unmittel-
bar unter den Kragsteinen auf den Pfeilerdiensten in 41,.» cm
hohen gotischen Majuskeln geschrieben.

2 Münsterblätter 10, 90.

3 Näheres hierüber bei Jos. Sauer, Symbolik des Kirchen-
gebäudes und seiner Ausstattung in der Auffassung des Mittel-
alters. Freiburg 1902 S. 109 u. ö.

1 Die letzte farbige Fassung der Apostelfiguren und der
Kragsteine hat im Jahre 1879, nach vorheriger Ergänzung feh-
lender Teile, stattgefunden. Ob man damals, oder schon bei
einer früheren Erneuerung der Fassung sich nicht getreu an
die ursprüngliche Farbgebung gehalten hat, bleibt dahingestellt.
Tatsache ist, dass die farbige Behandlung der Konsolen, wie
die Nachprüfung ergab, nicht korrekt ist. Ebenso sind die an
die Dienste unterhalb der Konsolen angearbeiteten Schriftbänder,
auf denen in gotischen Majuskeln die Namen der Stifter ge-

übrigens auch daraus hervor, dass ihre aus Platte
und Fasen bestehende Plinthe in ihrer Gliederung
und Größe völlig mit denen der ersteren überein-
stimmt.

Nach den Engeln folgten wohl die Statuen von
Christus und St. Thomas, die sich auf Kragsteinen,
zur rechten Chorseite, am Pfeiler mit der darunter-
liegenden Wendeltreppe, und zur linken Chorseite,
am Pfeilerdienst erhoben haben. Dort sind, un-
mittelbar über dem Sturz des Eingangs zu den Stock-
werken des Hahnenturms und an dem ebengenannten
Pfeilerdienst, auf der gleichen Höhe, auf der die
Kragsteine der voranstehenden Figuren von Christus
und St. Thomas sich erheben, deutlich markierte,
nachlässig ausgespitzte Stellen zu beobachten, die
mit Sicherheit auf das frühere Vorhandensein von
Konsolen schließen lassen. Ebenso sind zu beiden
Seiten, an der entsprechenden Stelle die Ansätze von
abgespitzten Baldachinteilen leicht zu erkennen. Auch
wird ein scharfes Auge an der Quaderfläche über
den Ansatzspuren der Konsolen die Silhouette der
Figuren wahrnehmen, die durch die Länge der Zeit,
während sie dort sich befanden, entstanden sind.
Schuster, der diese Spuren ebenfalls erkannt hat5,
will sie allerdings mit einem andern Vorgang, näm-
lich mit dem Umbau des Lettners durch Altermadt
1668, der eine Umstellung der beiden Figuren von
Christus und Thomas erforderlich gemacht habe, in
Zusammenhang bringen6.

Sehr wahrscheinlich kommt für die Ausschmük-
kungdes Chorschlusses auch die dritte Figur in Frage,
die später, wie die beiden Engel, in den Baldachin
eines modernen Chorpfeileraufsatzes verbracht wurde.
Es ist, wie schon bemerkt, eine weibliche Ge-
stalt mit lang herabhängenden Haaren, von ein-
drucksvoller Haltung. Sie trägt ein Manteltuch von
schön gebautem Faltenwurf, das unter dem rechten
Arm emporgerafft, und dessen beide obere Enden
über der Brust mit einer in Form einer Rosette
gebildeten Agraffe verbunden sind. Der Gesichts-
ausdruck ist durch die schlecht ergänzte Nase stark
entstellt. Ebenso ist die an dem zu kurzen Unter-
arm angesetzte linke Hand, die einen völlig verun-
glückten Gegenstand hält, in verständnisloser und
unbeholfener Weise ergänzt; es will scheinen, als

standen hatten, völlig überstrichen. Auch waren ursprünglich
auf der Platte der Konsole, mit welcher die der Plinthe bündig
geht, die Namen der Apostel in gotischer Schrift aufgemalt,
die heute ebenfalls überstrichen und durch römische Schrift
ersetzt sind. Es muss selbstredend eine Aufgabe der Münster-
pflege bilden, die begangenen Fehler soweit als möglich zu
korrigieren.

0 Mänsterblätter 1, 58.

0 Im Hinblick auf die inzwischen wieder ans Licht ge-
zogenen Figuren hält er jedoch seine Auffassung nicht mehr
aufrecht.
 
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