rung an das persönliche Zusammentreffen im Bilddrucke bewahrt. Um 1521, in
Antwerpen, fühlte sich Lucas als der Rivale des in den Niederlanden gefeierten
Nürnbergers; in früherer Zeit war für ihn Dürers „Werk" eine reiche Vorrats-
kammer geworden, der er hin und wieder etwas entnahm, halb verstandenes Mu-
ster, das ihn auf diesen oder jenen Weg wies und zuweilen auf einen Irrweg. Zu
Antwerpen, namentlich in seiner 1521 datierten Passionsfolge, lebt er sich ein in
die fremde Welt und trachtet danach, in Auffassung, Komposition und Ausführung
Gleichartiges und Gleichwertiges zustande zu bringen. Er hält sich sogar an die
Masse der Dürerschen Kupferstich-Passion.
Wenngleich die Anspannung das Äußerste leistet, bleiben Unterschiede fühlbar,
die bei so bequemer Vergleichung herauszuheben, lehrreich genug ist.
Dürer gehört einer anderen Generation an als Lucas. Er stammt von Goldschmie-
den ab, Lucas war der Sohn eines Malers und, obgleich er viel gestochen hat, den
Stichel sogar leichter führte als der Deutsche, war er seiner Sehweise nach mehr
Maler als Dürer. In des Deutschen Rede entscheiden die begrenzenden Konsonan-
ten, in der des Holländers die flächig füllenden Vokale. Von dem Abstand in
geistiger Energie und seelischer Tiefe zu schweigen, war Dürer der Überlegene an
Formenkenntnis und hatte sich in Italien unmittelbar dem Ideale der Renaissance
genähert. Lucas opferte von seinem Erbgute, seinem persönlichem Vermögen in
Beobachtung des Lichtes, der Tonstufung, der Materie, des Raumes, sowie von
seiner individuellen Gefühlsweise, als er mit dem Deutschen in Wettbewerb trat.
Blicken wir zurück, um sammelnd zu formulieren, worin Dürers Wirkung auf den
Holländer bestanden habe, so sehen wir, daß Lucas sich dem Deutschen genähert
hatte, bevor der Deutsche in Person ihm nahekam. Der bewegte Menschenleib als
die bevorzugte Aufgabe, die dramatische Aktion, der graphische Vortrag, die Illu-
sion des Plastischen, das Pathos der christlichen Lehre, von all dem suchte Lucas
sich bald dies, bald jenes anzueignen.
Wenn Dürer definiert: „Dann durch Malen mag angezeigt werden das Leiden
Christi und wird gebraucht im Dienst der Kirchen. Auch behält das Gemäl die
Gestalt der Menschen nach ihrem Sterben," so mag diese Zweckbestimmung
seines Berufes dem Holländer zunächst fremd geklungen sein, dann aber als mah-
nender Aufruf. In den Jahren 1520 und 1521, als er Dürer persönlich begegnete,
ehrte er des Kaisers Andenken mit dem denkmalshaften Portraitstiche, wagte er
sich an Bildnisaufnahmen und stach die Passion Christi, wie wenn Dürer ihm vor-
geschrieben hätte, was zu unternehmen, würdig und ehrenvoll wäre. Er unterdrückt
in diesen Jahren die Neigung für erotisches Genre.
Bei Yergleichung seiner Passionsfolge mit der 1512 entstandenen des Deutschen,
welche Vergleichung man nicht anstellt, ohne Furcht, gegen Lucas ungerecht zu
werden, enthüllen sich Lässigkeit und Schlaffheit in dem „Werke" des Leideners,
der auf einem ihm ungünstigen Felde zum Wettstreit angetreten ist. Der entschei-
dende Gegensatz, auf der einen Seite die Gefaßtheit und seelische Hoheit des Dul-
ders, auf der anderen die Brutalität der geschäftigen Bedränger, der von Dürer
ausgeprägte dramatische Gehalt der Passion, lebt in des Leideners Folge abge-
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Antwerpen, fühlte sich Lucas als der Rivale des in den Niederlanden gefeierten
Nürnbergers; in früherer Zeit war für ihn Dürers „Werk" eine reiche Vorrats-
kammer geworden, der er hin und wieder etwas entnahm, halb verstandenes Mu-
ster, das ihn auf diesen oder jenen Weg wies und zuweilen auf einen Irrweg. Zu
Antwerpen, namentlich in seiner 1521 datierten Passionsfolge, lebt er sich ein in
die fremde Welt und trachtet danach, in Auffassung, Komposition und Ausführung
Gleichartiges und Gleichwertiges zustande zu bringen. Er hält sich sogar an die
Masse der Dürerschen Kupferstich-Passion.
Wenngleich die Anspannung das Äußerste leistet, bleiben Unterschiede fühlbar,
die bei so bequemer Vergleichung herauszuheben, lehrreich genug ist.
Dürer gehört einer anderen Generation an als Lucas. Er stammt von Goldschmie-
den ab, Lucas war der Sohn eines Malers und, obgleich er viel gestochen hat, den
Stichel sogar leichter führte als der Deutsche, war er seiner Sehweise nach mehr
Maler als Dürer. In des Deutschen Rede entscheiden die begrenzenden Konsonan-
ten, in der des Holländers die flächig füllenden Vokale. Von dem Abstand in
geistiger Energie und seelischer Tiefe zu schweigen, war Dürer der Überlegene an
Formenkenntnis und hatte sich in Italien unmittelbar dem Ideale der Renaissance
genähert. Lucas opferte von seinem Erbgute, seinem persönlichem Vermögen in
Beobachtung des Lichtes, der Tonstufung, der Materie, des Raumes, sowie von
seiner individuellen Gefühlsweise, als er mit dem Deutschen in Wettbewerb trat.
Blicken wir zurück, um sammelnd zu formulieren, worin Dürers Wirkung auf den
Holländer bestanden habe, so sehen wir, daß Lucas sich dem Deutschen genähert
hatte, bevor der Deutsche in Person ihm nahekam. Der bewegte Menschenleib als
die bevorzugte Aufgabe, die dramatische Aktion, der graphische Vortrag, die Illu-
sion des Plastischen, das Pathos der christlichen Lehre, von all dem suchte Lucas
sich bald dies, bald jenes anzueignen.
Wenn Dürer definiert: „Dann durch Malen mag angezeigt werden das Leiden
Christi und wird gebraucht im Dienst der Kirchen. Auch behält das Gemäl die
Gestalt der Menschen nach ihrem Sterben," so mag diese Zweckbestimmung
seines Berufes dem Holländer zunächst fremd geklungen sein, dann aber als mah-
nender Aufruf. In den Jahren 1520 und 1521, als er Dürer persönlich begegnete,
ehrte er des Kaisers Andenken mit dem denkmalshaften Portraitstiche, wagte er
sich an Bildnisaufnahmen und stach die Passion Christi, wie wenn Dürer ihm vor-
geschrieben hätte, was zu unternehmen, würdig und ehrenvoll wäre. Er unterdrückt
in diesen Jahren die Neigung für erotisches Genre.
Bei Yergleichung seiner Passionsfolge mit der 1512 entstandenen des Deutschen,
welche Vergleichung man nicht anstellt, ohne Furcht, gegen Lucas ungerecht zu
werden, enthüllen sich Lässigkeit und Schlaffheit in dem „Werke" des Leideners,
der auf einem ihm ungünstigen Felde zum Wettstreit angetreten ist. Der entschei-
dende Gegensatz, auf der einen Seite die Gefaßtheit und seelische Hoheit des Dul-
ders, auf der anderen die Brutalität der geschäftigen Bedränger, der von Dürer
ausgeprägte dramatische Gehalt der Passion, lebt in des Leideners Folge abge-
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