wie auch in dem Stiche von 1527, dem mit Petrus und Paulus (B. 106) begegnet
Lucas der Gefahr der Nüchternheit durch das Pathos des Lichtes. Dürer hatte
gerade 1520 und 1521, während seines Aufenthaltes in den Niederlanden, in seinen
Madonnenstichen und den beiden Blättern mit dem hl. Christoph (1521) durch
gewittrige Lichtphänomene die heiligen Gestalten über die profane Alltäglichkeit
erhoben. Den Christoph-Stich (B. 51) hat Lucas gekannt. Sein hl. Petrus in dem
Stiche von 1527 (B. 106) mit den beiden Aposteln erinnert im Typus an den Heili-
gen des Deutschen. Der Faltenwurf nähert sich dem Dürers, und Lucas verdunkelt
den Himmel, wetteifert in Lichtmagie mit Dürer.
Die bereits in der ersten Jugend bevorzugte Komposition wird jetzt systema-
tisch und gewohnheitsmäßig verwendet: vorn, unten eine dunkle Erdwelle, hinten
in mittlerer Höhe, lichtes Gelände mit Hügeln und Vegetation, darüber wolkiger
Himmel, und die Gestalten heben sich hier hell, dort dunkel vom Grunde.
In den letzten Lebensjahren war Lucas krank, wie van Mander berichtet, ließ
aber nicht davon ab, über Dürer und Gossart hinaus dem Ideale der italienischen
Renaissance zuzustreben. Er bildete in relativ großem Maßstabe nackte Figuren,
biblische und mythologische und sinnbildliche, nackte selbst dann, wenn der Vor-
wurf Nacktheit gar nicht erforderte. Einst hatte Marcanton ihn kopiert, nun hat
sich das Verhältnis umgekehrt. Bewegungsmotive aus des Italieners Stichen hat
er schon früh übernommen, in der stecherischen Arbeitsweise aber und in der
Formensprache schließt er sich in der Spätzeit enger an Marcanton an als irgend
ein deutscher oder niederländischer Zeitgenosse13.
Im Ergebnis ist die Widernatürlichkeit der Bemühung zu spüren. Des Meisters
Ende entbehrt nicht der Tragik. Mit seiner „Größe" sind Leere und Kahlheit ver-
bunden. Gewohnheiten der Sehweise widerstreiten den neuen Absichten. Die monu-
mentalen Verhältnisse vertragen sich schlecht mit des Meisters Grabstichelführung,
die jetzt im offenen Netze schematischer Schraffen ihre Feinheit und damit ihre
höchste Tugend fahren läßt. Lucas gesellt sich zu den Bildhauern, begibt sich damit
auf ein Feld, das zu bestellen, ihm alle Fähigkeit abgeht.
Der Stich mit Mars und Venus mag als lehrreiches Beispiel beschrieben werden 29
(B. 137, 1530). Rechts sitzend auf niedriger Steinbank der Kriegsgott, ein Bramar-
bas mit mächtigem Schnurrbart, unmotiviert den Kopf drohend dem Beschauer
zuwendend, wie ein Haremswächter ohne seelische Beziehung zu der Göttin, die
links auf einer Steinbank gemächlich, gefallsüchtig, wie ein gedungenes Modell,
posiert. Amor wendet sich ihr lebhaft zu. Mars hat mit weit ausladender Geste
sein übermächtiges Schwert genau in die Mitte der Bildfläche lotrecht aufgepflanzt.
Sowohl er, wie Venus, strecken das eine Bein steil von sich ab, während sie das
andere emporziehen. Den Gestalten ist durch äußerliche Mittel, exzentrische Hal-
tung und flatternde Bänder heroische Bedeutsamkeit verliehen. Wenigstens geht
die Tendenz aufdringlich darauf hin. Die natürliche Anmut, die Eurhythmie, durch
die ein Raphael solche Aktkompositionen veredelte, ja eigentlich legitimierte, ver-
13 Vergleiche die genauen Hinweise von Albert Oberheide in der Dissertation „Der Einfluß Marcan-
tonio Raimondis". Hamburg 1933.
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Lucas der Gefahr der Nüchternheit durch das Pathos des Lichtes. Dürer hatte
gerade 1520 und 1521, während seines Aufenthaltes in den Niederlanden, in seinen
Madonnenstichen und den beiden Blättern mit dem hl. Christoph (1521) durch
gewittrige Lichtphänomene die heiligen Gestalten über die profane Alltäglichkeit
erhoben. Den Christoph-Stich (B. 51) hat Lucas gekannt. Sein hl. Petrus in dem
Stiche von 1527 (B. 106) mit den beiden Aposteln erinnert im Typus an den Heili-
gen des Deutschen. Der Faltenwurf nähert sich dem Dürers, und Lucas verdunkelt
den Himmel, wetteifert in Lichtmagie mit Dürer.
Die bereits in der ersten Jugend bevorzugte Komposition wird jetzt systema-
tisch und gewohnheitsmäßig verwendet: vorn, unten eine dunkle Erdwelle, hinten
in mittlerer Höhe, lichtes Gelände mit Hügeln und Vegetation, darüber wolkiger
Himmel, und die Gestalten heben sich hier hell, dort dunkel vom Grunde.
In den letzten Lebensjahren war Lucas krank, wie van Mander berichtet, ließ
aber nicht davon ab, über Dürer und Gossart hinaus dem Ideale der italienischen
Renaissance zuzustreben. Er bildete in relativ großem Maßstabe nackte Figuren,
biblische und mythologische und sinnbildliche, nackte selbst dann, wenn der Vor-
wurf Nacktheit gar nicht erforderte. Einst hatte Marcanton ihn kopiert, nun hat
sich das Verhältnis umgekehrt. Bewegungsmotive aus des Italieners Stichen hat
er schon früh übernommen, in der stecherischen Arbeitsweise aber und in der
Formensprache schließt er sich in der Spätzeit enger an Marcanton an als irgend
ein deutscher oder niederländischer Zeitgenosse13.
Im Ergebnis ist die Widernatürlichkeit der Bemühung zu spüren. Des Meisters
Ende entbehrt nicht der Tragik. Mit seiner „Größe" sind Leere und Kahlheit ver-
bunden. Gewohnheiten der Sehweise widerstreiten den neuen Absichten. Die monu-
mentalen Verhältnisse vertragen sich schlecht mit des Meisters Grabstichelführung,
die jetzt im offenen Netze schematischer Schraffen ihre Feinheit und damit ihre
höchste Tugend fahren läßt. Lucas gesellt sich zu den Bildhauern, begibt sich damit
auf ein Feld, das zu bestellen, ihm alle Fähigkeit abgeht.
Der Stich mit Mars und Venus mag als lehrreiches Beispiel beschrieben werden 29
(B. 137, 1530). Rechts sitzend auf niedriger Steinbank der Kriegsgott, ein Bramar-
bas mit mächtigem Schnurrbart, unmotiviert den Kopf drohend dem Beschauer
zuwendend, wie ein Haremswächter ohne seelische Beziehung zu der Göttin, die
links auf einer Steinbank gemächlich, gefallsüchtig, wie ein gedungenes Modell,
posiert. Amor wendet sich ihr lebhaft zu. Mars hat mit weit ausladender Geste
sein übermächtiges Schwert genau in die Mitte der Bildfläche lotrecht aufgepflanzt.
Sowohl er, wie Venus, strecken das eine Bein steil von sich ab, während sie das
andere emporziehen. Den Gestalten ist durch äußerliche Mittel, exzentrische Hal-
tung und flatternde Bänder heroische Bedeutsamkeit verliehen. Wenigstens geht
die Tendenz aufdringlich darauf hin. Die natürliche Anmut, die Eurhythmie, durch
die ein Raphael solche Aktkompositionen veredelte, ja eigentlich legitimierte, ver-
13 Vergleiche die genauen Hinweise von Albert Oberheide in der Dissertation „Der Einfluß Marcan-
tonio Raimondis". Hamburg 1933.
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