Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Architekturgesetzlichkeit war ihm zeitlebens unbehaglich". So drückt sich Fraenger
aus52. Rembrandts Verhältnis zum Ornament ist schlechthin Abstandnahme.
Ein Holländer war es, nämlich Heemskerck, der, wie Van Mander erzählt, das
Wort oft im Munde führte: ein Maler der gedeihen will, vermeide „cieraten en
metselrijen". Der Biograph fügt freilich hinzu, Heemskerck selbst habe sich an
diesen Rat nicht gehalten, er sei ein guter Architekt gewesen. Heemskerck dachte
aber mit seiner Warnung weniger an Bauwerk, als an architektonisches Zier- und
Schmuckwerk.
Derjenige Nordniederländer, der die Zeit- und Landsgenossen an erfinderischer
Phantasie überragt, Hieronymus Bosch, denaturiert Fauna und Flora, spielt mit
den Naturgebilden, züchtet Mischgeschöpfe. Seine Bauten gleichen Gewächsen.
Das Ornament, das Jacob Cornelisz. bevorzugt, ist vegetabilisch.
Das Zierwerk, das Lucas verwendet, ist pflanzenhaft, stachlich, spitz ausladend
in der Frühzeit, später entlehnt — von Dürer gelegentlich, direkt oder mittelbar
von italienischen Niellen. Er bildet um 1528 Ornamentfelder im Geschmacke der
deutschen Kleinmeister, nimmt dabei aber relativ viel Figürliches, Animalisches
auf, wie er in der Jugend gerne bewegte Kinderkörper dem Blattwerk einfügt.
Dekorativ und zugleich manieristisch wird des Leideners Gestaltung insofern,
wie das Faltengeriesel, das namentlich zwischen 1512 und 1519 den Gesamtein-
druck vordringlich bestimmt, weniger der Sache, der Erzählung, dient als der Unter-
haltung des Auges, eher Melodie als Text. Spezifisch holländisch ist die Lust am
absoluten Formenspiele keineswegs.
Die zeitgemäße Freude an Bewegung äußert sich im „Werke" des Leideners
früher im Faltenwurf als im naturhaft organischen Menschenleibe.
Das feste, glatte, tote Mauerwerk, das in der mittleren und späten Zeit den
Tiefenraum begrenzt, trägt kontrastierend dazu bei, das Leben lebendiger erschei-
nen zu lassen. Das Organische rührt und regt sich auf dem Reliefgrunde des Unor-
ganischen.
Der Holländer ist kein Enthusiast für die Form. Sobald und soweit Lucas ein
Formalist wird, verliert er den Boden unter den Füßen, und dies Verhängnis
bestätigt, wie durchaus er ein Holländer war.
Der Lerneifer der Holländer ist dem Tatsächlichen zugewendet. Aus Wissens-
durst erwächst der Sinn für die Historie. Mit Turbanen und sonstiger fremdartiger
Ausstattung wird die biblische Vorwelt geschildert. Rembrandt schenkt seine Auf-
merksamkeit den Juden, die in seinem Gesichtsfelde wohnten, um zeitliche und
örtliche Ferne zu veranschaulichen.
Die biblische Erzählung selbständig durchdenkend, und dabei darüber nach-
sinnend, eindringend in die Zustände des Inneren kann Lucas, als ein Vorgänger
Rembrandts geehrt werden. Rembrandts „Saul und David", das Gemälde im Haag,
in dem die Macht der Töne auf das menschliche Gemüt ergreifend ausgedrückt ist,
stellen wir neben den Kupferstich, in dem Lucas, um 1508, denselben Vorgang,

52 Fraenger, Der junge Rembrandt, S. 8.

93
 
Annotationen