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36 In der Galerie zu Braunschweig gibt es ein Bildnis, das Andreas Stock um 1620
als ein Selbstbildnis des Leidener Meisters gestochen hat — mit der Unterschrift,
Lucas habe sich im 15. Lebensjahr so gemalt. Verträgt sich dieses Portrait mit dem
von Dürer aufgenommenen? — Leicht wird es nicht, die Bildaussagen miteinander
in Einklang zu bringen. Der Mund mit der dicken Unterlippe im Braunschweiger
Bild ist größer als in Dürers Zeichnung. Objektivität ist von Selbstbildnissen nicht
zu erwarten. Lucas sah sich so. Es gibt ein Pathos des Selbstportraits. Anstrengung
bei scharfer Visierung, Geltungsbedürfnis, Schwermut unverstandener Jugend prä-
gen die Züge des nichts weniger als gefälligen Antlitzes. Das Kinn niedrig und zu-
rückweichend, der Mund groß, eine kurze, etwas gestülpte Nase, die breit in die
Stirne mündet, offene, dunkle Augen. Da das Gemälde dem Stile nach ein Werk
des Meisters und der Blickrichtung nach ein Selbstportrait zu sein scheint, müssen
wir der Aussage des Stechers glauben, wenn auch seine Altersangabe keineswegs
verbindlich ist.
Kann der 15jährige so ausgesehen haben? Daran möchte man zweifeln. Ein
etwas höheres Lebensalter ist wahrscheinlich. Rein stilkritisch beurteilt, in die Reihe
der Gemälde gestellt, scheint das spontan aufgenommene Werk eher um 1511 als
1509 entstanden zu sein, wie wir bei Betrachtung des Malwerkes beobachten wer-
den. Die Angabe in dem Stiche Stocks, Lucas sei 1533 im Alter von 39 Jahren
gestorben, stammt vermutlich aus der Lektüre van Manders, ist also schwerlich
als Bestätigung des Geburtsdatums zu verwerten.
Van Mander spricht von schmächtiger Leiblichkeit des Meisters, von lang-
währender Krankheit, die dem frühen Tode vorangegangen sei. Wir dürfen Lungen-
leiden vermuten. In Dürers Zeichnung sieht Lucas schwindsüchtig aus. Physische
Schwäche, zeitweiliges Leiden sind als Ursachen, als mitwirkende Kräfte von dem
Stilkritiker im Auge zu behalten.
Lucas starb, wie van Mander berichtet, im Jahre 1533 im Hochsommer. Er
erlebte noch, fügt der Biograph hinzu, den Tag der heißen Prozession von Leiden,
an den sich alte Leute noch wohl erinnern. Bei dieser Prozession starben viele Men-
schen am Hitzschlag. Aus dieser Angabe merkt man, daß der Biograph gewissen-
haft die Lebensumstände erforscht hat. Und die Kunde, die er übermittelt, daß
des Meisters Tochter neun Tage vor seinem Tode einem Sohne das Leben geschenkt
habe, kann auch nur aus Familientradition stammen.

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