Die holländischen Drucker ließen nicht ab von der fatalen Gewohnheit, ihren
Bestand an Holzstöcken wieder und wieder zu verwenden, und die Ausgaben sind
so selten geworden, daß das erste Auftreten einer Illustration nicht mit Gewißheit
festgestellt werden kann. Wir sind nicht sicher, die lückenlose Reihe der Bücher zu
überblicken.
Lucas macht es sich leicht, im Gefühle, daß die dienstbare Illustration mit
der linken Hand zu erledigen sei. Kirchenkunst und Andacht heischende Idole
lagen ihm nicht am Herzen.
Für den rührigen Leidener Drucker Jan Seversz. hat Lucas ziemlich viel ge-
arbeitet. Ein genaues Verzeichnis der Illustrationen stammt von G. Dodgson44.
Nachdem dieser Verleger um 1520 die Stadt verlassen hatte, ließ Lucas sich nur
noch selten und dann für Amsterdamer Drucker auf den Buchholzschnitt ein.
Mehr Anspannung und persönlichen Charakter als die Buchholzschnitte zeigen
die Einzelblätter, die beiden Folgen der „Weibermacht", die Helden der Vorzeit
sowie mehrere andere Darstellungen. Eine lärmende Drastik ist der Erzählung
eigen. Alle diese Schnitte scheinen zwischen 1512 und 1520 entstanden zu sein.
Da Lucas die Themata wählte, was ihm im Dienste des Buchdruckers nicht ver-
gönnt war, griff er zu den aus der Bibel und sonstigem Schriftwesen gerafften
Anekdoten von der Übermacht des Weibes, von der Frau als Verführerin, Heroine
und Siegerin. Diese Vorstellung beschäftigte im 15. und 16. Jahrhundert die Phan-
tasie des Volkes. Niemand aber hat sie mit soviel Begier wie er wieder und wieder
verbildlicht und sich dabei bis an die Grenzen des Grausamen, Skurrilen und
selbst Lüsternen locken lassen. Tief eingehend und scharfsichtig hat sich R. Kahn45
mit der stilkritischen Datierung dieser Folgen und Einzelblätter beschäftigt. Ihren
Ergebnissen schließe ich mich im großen und ganzen an.
Im Wesen der Sache, das will sagen: im Charakter des Holzschnittes — liegt es,
daß Analyse der Linienführung minder sichere Ergebnisse liefert als Prüfung der
Komposition, der Körperformen und der Bewegungsmotive. Wenn ich, in Über-
einstimmung mit R. Kahn, die eine Weibermacht-Folge, nämlich die im kleineren
Formate, für einige Jahre später entstanden halte als diejenige im größeren For-
mate, so werde ich dabei namentlich geleitet durch die Wandlung von steifer und
stockender zu fließender und welliger Bewegung. Wir vergleichen die Blätter mit
dem Sündenfall in dieser und jener Serie. In dem großen Holzschnitte: Der Baum- 76
stamm als senkrechte Achse, strack, säulenhaft, im kleineren: schraubenförmig ge-
wunden. Eva hier isoliert, aufrecht, schreitend, dort in verwickelter Haltung, die 75
Arme kreuzend, sich an den Baum lehnend, dessen schlangenhafte Windungen
sie mitzumachen scheint. Adam hier sitzend mit parallel gestreckten Beinen, dort
mit gekreuzten. Der Zusammenschluß von Baum, Mann und Frau ist fester, die
Herrschaft über den nackten Menschenleib sicherer geworden im kleineren Holz-
schnitte. Die Strichführung in der späteren Serie mehr bogig, der plastischen Form
44 C. Dogdson, Repertorium für Kunstwissenschaft XXIII (1900) S. 143 ff.
45 R. Kahn, Die Graphik des Lucas van Leyden. Straßburg: Heitz 1918.
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Bestand an Holzstöcken wieder und wieder zu verwenden, und die Ausgaben sind
so selten geworden, daß das erste Auftreten einer Illustration nicht mit Gewißheit
festgestellt werden kann. Wir sind nicht sicher, die lückenlose Reihe der Bücher zu
überblicken.
Lucas macht es sich leicht, im Gefühle, daß die dienstbare Illustration mit
der linken Hand zu erledigen sei. Kirchenkunst und Andacht heischende Idole
lagen ihm nicht am Herzen.
Für den rührigen Leidener Drucker Jan Seversz. hat Lucas ziemlich viel ge-
arbeitet. Ein genaues Verzeichnis der Illustrationen stammt von G. Dodgson44.
Nachdem dieser Verleger um 1520 die Stadt verlassen hatte, ließ Lucas sich nur
noch selten und dann für Amsterdamer Drucker auf den Buchholzschnitt ein.
Mehr Anspannung und persönlichen Charakter als die Buchholzschnitte zeigen
die Einzelblätter, die beiden Folgen der „Weibermacht", die Helden der Vorzeit
sowie mehrere andere Darstellungen. Eine lärmende Drastik ist der Erzählung
eigen. Alle diese Schnitte scheinen zwischen 1512 und 1520 entstanden zu sein.
Da Lucas die Themata wählte, was ihm im Dienste des Buchdruckers nicht ver-
gönnt war, griff er zu den aus der Bibel und sonstigem Schriftwesen gerafften
Anekdoten von der Übermacht des Weibes, von der Frau als Verführerin, Heroine
und Siegerin. Diese Vorstellung beschäftigte im 15. und 16. Jahrhundert die Phan-
tasie des Volkes. Niemand aber hat sie mit soviel Begier wie er wieder und wieder
verbildlicht und sich dabei bis an die Grenzen des Grausamen, Skurrilen und
selbst Lüsternen locken lassen. Tief eingehend und scharfsichtig hat sich R. Kahn45
mit der stilkritischen Datierung dieser Folgen und Einzelblätter beschäftigt. Ihren
Ergebnissen schließe ich mich im großen und ganzen an.
Im Wesen der Sache, das will sagen: im Charakter des Holzschnittes — liegt es,
daß Analyse der Linienführung minder sichere Ergebnisse liefert als Prüfung der
Komposition, der Körperformen und der Bewegungsmotive. Wenn ich, in Über-
einstimmung mit R. Kahn, die eine Weibermacht-Folge, nämlich die im kleineren
Formate, für einige Jahre später entstanden halte als diejenige im größeren For-
mate, so werde ich dabei namentlich geleitet durch die Wandlung von steifer und
stockender zu fließender und welliger Bewegung. Wir vergleichen die Blätter mit
dem Sündenfall in dieser und jener Serie. In dem großen Holzschnitte: Der Baum- 76
stamm als senkrechte Achse, strack, säulenhaft, im kleineren: schraubenförmig ge-
wunden. Eva hier isoliert, aufrecht, schreitend, dort in verwickelter Haltung, die 75
Arme kreuzend, sich an den Baum lehnend, dessen schlangenhafte Windungen
sie mitzumachen scheint. Adam hier sitzend mit parallel gestreckten Beinen, dort
mit gekreuzten. Der Zusammenschluß von Baum, Mann und Frau ist fester, die
Herrschaft über den nackten Menschenleib sicherer geworden im kleineren Holz-
schnitte. Die Strichführung in der späteren Serie mehr bogig, der plastischen Form
44 C. Dogdson, Repertorium für Kunstwissenschaft XXIII (1900) S. 143 ff.
45 R. Kahn, Die Graphik des Lucas van Leyden. Straßburg: Heitz 1918.
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